Piste 25 in Nörvenich. Fluglehrer Sebastian Rosenstock gibt mir noch ein paar Anweisungen. "Bei einer Geschwindigkeit von 145 Knoten ziehen Sie den Steuerknüppel etwas nach hinten und nehmen die Nase auf Fünf", sagt der ehemalige Tornado-Pilot. Fünf ist der unterste Wert auf der Steigleiter im Head-up-Display (HUD). Rosenstock löst die Parkbremse, einen Kippschalter zu meiner Linken, und beruhigt mich: "Den Eurofighter kann eigentlich jeder fliegen." Schubhebel auf die erste Stufe, 145 Knoten sind schnell erreicht. Vorsichtig ziehe ich am Steuerknüppel, der Eurofighter hebt ab.
Pilot Synthetic Training System
Der Cockpittrainer, in dem ich sitze, steht in Nörvenich beim Taktischen Luftwaffengeschwader (TaktLwG) 31 "Boelcke". Zusammen mit dem noch umfangreicheren Full-Mission-Simulator bildet er das Pilot Synthetic Training System (PSTS). Drei weitere stehen in Laage, Wittmund und Neuburg. Auf ihnen finden beispielsweise Luftkampfübungen und Waffentraining statt, simuliert werden aber auch komplette Missionen. Piloten können sich auf Auslandseinsätze vorbereiten und sich bereits zu Hause mit der fremden Umgebung vertraut machen.
Erhalt des Einsatzstatus
Durchschnittlich verbringen Piloten rund 40 Stunden jährlich im Simulator, so die Luftwaffe auf Anfrage der FLUG REVUE. Das Verhältnis von Simulator- zu Realflugstunden liege bei etwa 20 Prozent, es könne aber in Spitzen bis zu 50 Prozent betragen. Von den insgesamt 70 jährlich zu leistenden Flugstunden für den Lizenzerhalt können sich Piloten bei Luftwaffe und Marine bis zu 30 Stunden im Simulator anrechnen lassen, für die Piloten des Heeres sind es bis zu 20 Stunden. Hinzu kommen weitere Simulatorstunden für den Erhalt oder die Weiterqualifizierung des Einsatzstatus.

Höhere Verfügbarkeit
Dass Simulatoren für die fliegerische Aus- und Weiterbildung bei der Bundeswehr wichtig sind, hat mehrere Gründe. Simulatorstunden sind recht günstig: Je nach Fluggerät kosten sie nur etwa ein Zehntel oder sogar nur ein Zwanzigstel einer Realflugstunde. Zudem ist Simulatortraining sicher, verbraucht keinen Kraftstoff, macht keinen Fluglärm. Bestimmte Situationen können nur im Simulator geübt werden, zum Beispiel Triebwerksausfälle oder Feuer an Bord. Interessant sind aber eben auch Taktikübungen und die Vorbereitung auf echte Missionen. Netter Nebeneffekt: Weniger Realflugstunden zu Übungszwecken bedeuten weniger Verschleiß des Fluggeräts und dadurch theoretisch höhere Verfügbarkeit für Einsätze und Manöver.
Stattliche Simulator-Flotte
Dafür betreibt die Bundeswehr eine stattliche Simulator-Flotte in ganz Deutschland. Besser gesagt, sie lässt sie betreiben. Im Fall des Eurofighter-PSTS ist dafür die Airbus-Tochter GFD zuständig. In Nörvenich beispielsweise kümmern sich zwölf zivile Fluglehrer um die Simulatorausbildung. Drei bis vier Slots à 1,75 Stunden stehen täglich auf dem Programm.
PSTS-Programm
"Simulation ist so gut geworden, dass man viele Dinge üben kann, teilweise sogar besser als im zivilen Luftraum", sagt Michael Sauer, Director Strategy & Business Development Europe, Defence & Security bei der CAE GmbH in Stolberg. "Viele Szenarien, die Piloten im Simulator üben können, finden wir in der realen Welt ja eigentlich nicht vor." Das deutsche Tochterunternehmen des kanadischen CAE-Konzerns entwickelt, betreibt und wartet seit 60 Jahren für die Bundeswehr und andere NATO-Länder Simulatoren. CAE gehörte auch zum ASTA-Konsortium (Aircrew Synthetic Training Aids), das die Eurofighter-Simulatoren für Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien gebaut und in Betrieb genommen hat. Seit Mitte 2020 entwickeln Deutschland und Spanien im PSTS-Programm gemeinsam ihre Eurofighter-Simulatoren weiter. Beteiligt sind neben dem Hauptauftragnehmer Airbus Defence and Space auch Indra und CAE.

Flug im Cockpittrainer
Von Südwesten kommend fliege ich auf Köln zu. Über mir blauer Himmel, unter mir Wälder, Wiesen, Ortschaften – und ein Verkehrsflugzeug. Ich erkenne den Rhein. Den Kölner Dom suche ich vergeblich. Der sei nicht programmiert worden, erklärt Rosenstock. Andere Bauwerke sind gut erkennbar, das Fußballstadion zum Beispiel. Ich drehe nach links ab, fliege über die A 1. Dort unten rollt der Verkehr. Durch die Bewegung des Horizonts sagt mein Hirn mir, dass ich wirklich fliege.
Ausgeklügeltes Sichtsystem
Dass der Flug im Cockpittrainer optisch der Realität nahekommt, liegt unter anderem am ausgeklügelten Sichtsystem. Im Dome, einer Glasfaserkuppel, steht eine originalgetreue Nachbildung des Eurofighter-Cockpits. Zwölf Projektoren werfen die computergenerierte Umgebung auf die 300-Grad-Leinwand. Im Full-Mission-Simulator sind es sogar 18 Projektoren, die eine 360-Grad- Außenansicht erzeugen. Jeder dieser Sichtsystemkanäle bietet eine WQXGA-Auflösung (Wide Quadruple Extended Graphics Array) von 2500 x 1536 Bildpunkten – deutlich mehr als ein Full-HD- Beamer für den Heimgebrauch. Im Hintergrund sorgt ein Cluster aus mehr als 100 Computern mit High-End-Grafikkarten aus dem Gaming-Bereich für die nötige Rechnerleistung.
Eurofighter sicher gelandet
Endanflug, ich sinke auf 2000 Fuß. Plötzlich materialisiert sich die Landebahn aus einem grauen Pixelbrei. Ich schlingere nach rechts und links, bis der Eurofighter gerade ausgerichtet ist. Rosenstock übernimmt die Schubregulierung, ich darf mich aufs Abfangen konzentrieren. Die Bahn wird größer, ich nehme die Flugzeugnase etwas hoch. 160 Knoten. "Ausflaren. Und jetzt die Nase runter. Die Bremsen gleichmäßig drücken", so Rosenstock. Ok, wow, ich habe einen Eurofighter sicher gelandet. Zugegeben mit Unterstützung. Den Moment des Aufsetzens habe ich aber verpasst. Das Gefühl im Hosenboden fehlt.

Full-Flight-Simulatoren
Simulatorkuppeln für Transportflugzeuge oder Hubschrauber stehen auf Hexapods – Plattformen mit sechs Beinen, die mithilfe eines elektrohydraulischen Systems bewegt werden. Dann spricht man von Full-Flight-Simulatoren. "Das lässt sich für hochagile Flugzeuge nicht darstellen. Wie wollen Sie eine Rolle im Simulator nachahmen?", fragt Rosenstock. Eine Möglichkeit zu mehr Hosenboden-Gefühl gibt es aber: das Motion-Cueing-System, wie es im Full-Mission-Simulator des Eurofighter zum Einsatz kommt. Ein beweglicher Sitz, der die wirkenden Kräfte simuliert.
Synthetische Umgebungsdarstellung
Bei positiven g-Kräften fährt der Sitz abwärts, damit der Blickpunkt nach unten wandert, das Polster wird hart, das Gurtzeug locker. Der Eindruck entsteht, dass der Pilot in den Sitz gedrückt wird. Bei negativen g-Kräften hebt sich der Sitz nach oben, das Polster wird weich, die Gurte gestrafft. Ein spezieller Anti-g-Anzug kann die Simulation unterstützen. "Das ergibt einen sehr realistischen Effekt", sagt Daniel von Bernuth, Manager Training Services bei der CAE GmbH. Der Spezialist für synthetische Umgebungsdarstellung und CAE ist unter anderem für den Service der Eurofighter- und Tornado-Simulatoren zuständig. "Ich habe schon Piloten erlebt, die im Simulator mit Pressatmung angefangen haben, um dem vermeintlichen Absacken des Blutdrucks entgegenzuwirken."
Zusätzliche Eurofighter-Full-Mission-Simulatoren
Weil die Bedeutung des simulatorgestützten Trainings auch in Zukunft zunehmen wird, investiert die Bundeswehr in den kommenden Jahren Millionenbeträge in ihre digitale Flotte. Das TaktLwG 73 in Laage bekommt zwei zusätzliche Eurofighter-Full-Mission-Simulatoren, der bereits vorhandene soll modernisiert und der Cockpittrainer hochgerüstet werden. Ab 2024 stehen dort vier Full-Mission-Simulatoren zur Verfügung, die für gemeinsame Trainings auch untereinander vernetzt werden können (bisher ist das nur mit zwei Simulatoren möglich). Zudem werden an allen Eurofighter-Standorten die Cockpits ausgetauscht und Modifikationen vorgenommen, damit auch der Einsatz von Meteor-Lenkflugkörpern geübt werden kann. 133 Millionen Euro wurden dafür bereits 2018 bewilligt.

Nachtsichtfähigkeit
Auch die Tornado-Simulatoren in Jagel und Büchel sollen näher an den echten Tornado gebracht werden. "Ideal wäre es natürlich, wenn ein Simulator immer etwas weiter wäre als das echte Flugzeug", sagt Michael Sauer. In der Realität sei das aber schwer umzusetzen. Beim Tornado befinde man sich seit einigen Jahren in einer Aufholjagd. 2020 wurde in die Simulatoren die Nachtsichtfähigkeit integriert. Im Augenblick werden unter anderem die schon lange im Einsatz befindlichen Laser Designator Pods eingerüstet, demnächst soll das Future Dispenser System integriert werden. Hinzu kommen ein Update der Flugsoftware und digitale Displays.
NH90-Full-Mission-Simulatoren
Die vier NH90-Full-Mission-Simulatoren des Heeres erhalten ein Upgrade auf den Standard MR-1. Gleichzeitig werden die Fluglehrerkonsole und die Animationssoftware für die taktische Situation erneuert. In Nordholz baut CAE derweil ein Ausbildungszentrum mit vier Simulatoren des neuen Marinehubschraubers NH90 Sea Lion, das 2022 fertiggestellt werden sein soll.
Lieber im echten Flugzeug
Auch wenn Simulatoren immer besser werden, das reale Fliegen können sie nicht ganz ersetzen. Das sieht auch Michael Sauer so, ehemaliger Tornado-Pilot bei der Luftwaffe: "Auch junge Eurofighter-Piloten denken wie ich: Man sitzt lieber im echten Flugzeug."
Höchstes Niveau
Simulatorflugstunden werden bei Ausbildung und Lizenzerhaltung nur dann wie eine Realflugstunde behandelt, wenn der Simulator nach den höchsten Standards der europäischen Flugsicherheitsagentur EASA, Level C und D, qualifiziert ist. Im Fall von Simulatoren für nicht zivil zugelassene Luftfahrzeuge muss nach Angaben der Bundeswehr ein entsprechender Nachweis der Leistungsdaten erbracht werden. Level C und D unterscheiden sich nur in wenigen Punkten, darunter zusätzliche Einstellmöglichkeiten durch das Lehrpersonal, die Größe des Sichtfelds und die Authentizität der Geräuschkulisse. Die beiden A400M-Full-Flight-Simulatoren der Luftwaffe sind als bisher einzige der Bundeswehr nach dem höchsten Standard Level D zugelassen. Weitere Simulatoren sollen folgen.