Das größte Triebwerk der Welt vor seiner Einführung zu testen ist sprichwörtlich eine Mammutaufgabe. Entsprechend gigantisch waren die Vorbereitungen auf den Erstlauf am 25. März bei GE Aviation in Peebles. Zehn Millionen US-Dollar (rund 9 Mio. Euro) investierte der US-amerikanische Triebwerkshersteller allein in sein Testzentrum in Ohio, um den Prüfstand für den Exklusivantrieb der Boeing 777X fit zu machen. „Das GE9X hat mit 3,40 Metern Durchmesser den größten jemals von GE entworfenen und gebauten Bläser, das sind 15 Zentimeter mehr als beim GE90-115B – dem aktuell weltgrößten Strahltriebwerk im Einsatz“, sagt Ted Ingling, General Manager des GE9X-Programms. Für den rund 8,3 Tonnen schweren Triebwerkskoloss wurden Transport- und Hebevorrichtungen sowie eine Wand im Vorbereitungsgebäude modifiziert, ein vierter Treibstofftank nachgerüstet, die Luftsysteme des Teststands für die hohen Temperaturen des Hochdruckverdichters (Druckverhältnis 27:1) ausgebaut, des Weiteren ein riesiger Lufteinlass entworfen und hergestellt.
2011 begann die Entwicklung des GE9X, und nichts sollte bei der Bodenpremiere des ersten kompletten Testtriebwerks dem Zufall überlassen werden. „Wir haben die Technologien für das GE9X in den vergangenen fünf Jahren vervollkommnet und das erste Triebwerk viel früher zum Erstlauf gebracht als in anderen Programmen – gerade einmal sechs Monate, nachdem der Entwurf abgeschlossen wurde“, sagt Ingling. Über den Sommer werden verschiedene Tests mit dem ersten Triebwerk durchgeführt. Begleitet werden sie von Boroskopuntersuchungen, um den Zustand im Motorinneren zu überwachen. „Noch in diesem Jahr werden wir das Triebwerk vorbereitenden Eistests unterziehen“, erklärt Ingling den weiteren Ablauf. In der ersten Hälfte des nächsten Jahres kommt ein zweiter Testantrieb auf den Prüfstand. „So können wir die Erkenntnisse aus den Tests mit dem ersten Triebwerk für das Feintuning verwenden.“
Herzstück ist der elfstufige Hochdruckverdichter
So wie die Boeing 777X das neue Widebody-Flaggschiff des Flugzeugbauers werden soll, sieht auch GE den Nachfolger des GE90-115B als künftiges Vorzeigetriebwerk. Um Boeings ehrgeizigen Verbrauchsvorgaben gerecht zu werden, muss das GE9X ein Rekord-Gesamtdruckverhältnis von 60:1 erreichen, 20 Prozent höher als beim GEnx der Boeing 787. Der Schlüssel dazu liegt in neuen Materialien, verbesserter Aerodynamik und hochentwickelten Simulationsprogrammen. „Dank der Modellierung können unsere Ingenieure vorhersagen, wie sich der Verdichter verhält, und auf dieser Basis Designverfeinerungen für eine höhere Effizienz vornehmen“, erklärt Ingling. Da höhere Drücke gleichzeitig höhere Temperaturen bedeuten, entwickelten GE-Materialwissenschaftler neue, hitzebeständige Legierungen für die hinteren Verdichterstufen und die ersten Stufen der Hochdruckturbine. Das Pulvermetall hält Temperaturen bis zu 760 Grad Celsius stand, fast 40 Grad mehr als die bisher verwendeten Werkstoffe. Hinzu kommen zahlreiche weitere Neuerungen vom Bläser bis zur Niederdruckturbine. Die Fanschaufeln bestehen aus Verbundwerkstoffen der vierten Generation mit einer rostfreien Stahlvorderkante. Durch das hochsteife Material können die Schaufeln dünner ausfallen, zudem kommt das GE9X mit 16 Stück aus (zum Vergleich: beim GEnx sind es 18, beim GE90 22). Das Bläsergehäuse besteht – wie das des LEAP-Triebwerks von CFM International – aus Verbundwerkstoffen, die nach dem Harzinjektionsverfahren (Resin Transfer Moulding, RTM) hergestellt werden. „Dadurch wird das Flugzeuggewicht um mehr als 450 Kilogramm reduziert“, sagt Ingling. Auch die Bläser-Auslassleitschaufeln bestehen erstmals aus RTM-Verbundstoffen.
Auf ein anderes leichtes und hitzebeständiges Material, nämlich keramische Faserverbundwerkstoffe (Ceramic Matrix Composite, CMC) setzt GE bei der inneren und äußeren Verkleidung der Brennkammer, den Leitschaufeln der ersten und zweiten Stufe sowie dem Deckband der ersten Stufe der Hochdruckturbine. „CMCs weisen nur ein Drittel der Dichte von Metalllegierungen auf und reduzieren das Gesamtgewicht des GE9X für eine verbesserte Treibstoffeffizienz. Zudem sind sie weitaus hitzebeständiger und erfordern weniger Kühlung in den heißen Bereichen des Triebwerks“, sagt Ingling. Das erhöht die Effizienz, da mehr Luft durch das Triebwerk geleitet werden kann.
Das GE9X besteht zudem aus mehr additiv gefertigten Bauteilen als bisherige Triebwerke. Wie das LEAP, das GE gemeinsam mit Safran Aircraft Engines (vormals Snecma) entwickelt hat, erhält der 777X-Antrieb gedruckte Einspritzdüsen. Erstmals additiv gefertigt werden die Schaufeln der Niederdruckturbine aus Titanaluminid, hergestellt in Italien von Avio Aero, seit 2012 ein GE-Tochterunternehmen.
Mitte 2017 soll die Flugerprobung an der firmeneigenen Boeing 747-400 beginnen. Schon seit 2011, als das Flugzeug angeschafft wurde, bereitet sich das GE-Flugtestteam in Victorville, Kalifornien, auf die Flugtests mit dem GE9X vor. Denn ähnlich wie bei den Prüfständen am Boden sind diverse Veränderungen an dem Jumbo nötig. „Das GE9X wird die extra große Lastbank benötigen, die bereits bei den Flugtests mit dem GEnx verwendet wurde“, sagt Ingling. So wird gewährleistet, dass die Überschussenergie, die das Triebwerk für den Betrieb an der Boeing 777X generiert, auch absorbiert wird. Die Flügelstruktur wurde modifiziert, und neue Displays und Schalter im Cockpit sorgen für eine bessere Triebwerkskontrolle. Damit sollte das GE-Testflugzeug gut gerüstet sein für die Mammutaufgabe, das größte Triebwerk der Welt erstmals in die Luft zu bringen.
FLUG REVUE Ausgabe 10/2016