Luftfahrt-Ingenieure: Tüftler zwischen Vision und Wirklichkeit

Ingenieure in der Luftfahrt
Tüftler zwischen Vision und Wirklichkeit

Veröffentlicht am 13.12.2024

Sie spielen eine zentrale Rolle in der Luft- und Raumfahrttechnik: Bei großen und kleineren Flugzeugherstellern sind sie genauso gefragt wie bei Triebwerksproduzenten, Zulieferern, und Maintenancebetrieben. Aber auch bei Airlines, in der Forschung an Hochschulen und bei Behörden auf nationaler und internationaler Ebene bietet sich Luft- und Raumfahrtingenieuren ein breites Betätigungsfeld mit unterschiedlichsten Aufgaben.

Vielfältige Aufgaben

Denkt man an den Beruf des Luft- und Raumfahrtingenieurs, kommt einem vielleicht als Erstes dessen Rolle bei der Entwicklung neuer Flugzeugmuster in den Sinn. Ob es um die Auslegung eines grundlegenden Designs, dessen Aerodynamik, um Festigkeitsberechnungen, neue Antriebe und die Konstruktion von tausenden einzelnen Komponenten oder Flugeigenschaftsuntersuchungen geht: Die vielfältigen Aufgaben verlangen, jede für sich, Spezialisten. Den Luft- und Raumfahrtingenieur, der alle Aufgaben bei der Entwicklung eines neuen Musters übernimmt, kann es bei der Komplexität des Gesamtsystems nicht geben. Das funktioniert allenfalls noch bei der Entwicklung eines Leichtflugzeuges.

© Dassault Aviation - V. Almansa     /     © Dassault Aviation - V. Almansa
Dassault Aviation

Spezialisten auf allen Ebenen

Längst nicht allein die Entwicklung neuer Flugzeuge und luftfahrtrelevanter Systeme – von Fahrwerk, Avionik, hydraulischen und elektrischen Systemen bis zur Kabinenausstattung – gehört zum Arbeitsfeld der Luft- und Raumfahrtingenieure, auch in der Maintenance ist ihr Fachwissen gefragt. Hier verantworten sie unter anderem die Planung, Umsetzung und Dokumentation der anstehenden Arbeiten und sorgen dabei für die Einhaltung der streng regulierten Wartungs- und Reparaturprozesse. Eng damit verbunden sind ihre Aufgaben im Bereich des Qualitätsmanagements, dem in der Luftfahrtindustrie allergrößte Bedeutung zukommt, um einheitliche Standards bei der Instandhaltung zu gewährleisten. Laufenden Bedarf an Luft- und Raumfahrtingenieuren haben auch Aufsichts- und Sicherheitsbehörden wie das Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig, die österreichische Austro Control, das schweizerische Bundesamt für Zivilluftfahrt oder die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA). Hier geht es für die Spezialisten vor allem um die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen neuer Muster und Modifikationen sowie deren Genehmigung, aber auch zum Beispiel um die Zertifizierung von Antrieben und alternativen Treibstoffen. Luft- und Raumfahrtingenieure haben die Chance, die Zukunft der Luftfahrt in Deutschland und weltweit mitzugestalten. Neben der Industrie – meist im Verbund mit ihr – entwickeln die Forschungsinstitute einiger Hochschulen und Einrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Technologien für neue Generationen umweltfreundlicher Flugzeuge. E-Flugzeuge, Wasserstoffantriebe und nachhaltige, synthetische Kraftstoffe sind dabei nur einige Schlagworte solcher Technologien, die von den Ingenieuren erforscht und realisiert werden.

Airbus

Königsweg Studium

So groß die Bandbreite der Aufgaben für Luft- und Raumfahrtingenieure ist, so anspruchsvoll ist auch der Weg in diesen Beruf. Er führt immer über ein Bachelor- und gegebenenfalls auch einen Masterstudiengang. Und in der Regel ist die akademische Ausbildung an die jeweiligen Fakultäten für Maschinenbau angegliedert beziehungsweise ein Teil von diesen. Etwa ein Dutzend Hochschulen zwischen München und Hamburg bieten derartige Studiengänge. Sie alle hier aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Deshalb nur einige Beispiele. So gilt die Technische Universität München (TUM) als eine der führenden deutschen Technischen Unis mit einem Schwerpunkt im Bereich Luft- und Raumfahrttechnik. Die Uni Stuttgart ist unter anderem mit speziellen Programmen wie dem hybridelektrischen Forschungsflugzeug e-Genius hervorgetreten, an dem auch viele Studenten beteiligt sind. Eng mit dem DLR ist die TU Braunschweig verbunden. Damit können sich für engagierte Studierenden ebenfalls schon während des Studiums interessante Forschungsperspektiven eröffnen. Die Hochschule Bremen gilt als eine der ältesten Hochschulen, die von Vornherein auf die Luft- und Raumfahrttechnik spezialisierte Bachelor- und Masterstudiengänge anbietet. Besonders für an der Raumfahrt interessierte Studierende ist Bremen eine gute Wahl. Hier sind allein acht Unternehmen der Raumfahrtindustrie beheimatet. Airbus Defence and Space mit dem Europäischen Kompetenzzentrum für bemannte Raumfahrt und Weltraumrobotik, die ArianeGroup und OHB sind dabei die bekanntesten Namen. Zu den renommierten Ausbildungsstätten für angehende Ingenieure in der Luft- und Raumfahrt gehört sicher auch die Hochschule Hamburg. Für Studierende ist hier die nicht nur räumliche Nähe zu Airbus, Lufthansa Technik und vielen weiteren Unternehmen der Branche im Luftfahrtcluster Hamburg attraktiv.

Lars Reinhold

Naturwissenschaften im Fokus

Der Fächerkanon und seine Schwerpunkte können sich an den einzelnen Hochschulen durchaus unterscheiden. Doch es gibt einige Kerninhalte, die praktisch überall vermittelt werden. Da sind zunächst die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer zu nennen. Dazu gehören höhere Mathematik mit zum Beispiel Differenzial- und Integralrechnung, ferner Physik, Chemie und Werkstoffkunde sowie Informatik. Der zweite große Bereich umfasst ingenieurwissenschaftliche Grundlagen: technische Mechanik, Strömungsmechanik und Aerodynamik, Thermodynamik und Antriebstechnik sowie Elektronik und Elektrotechnik. Je nach Hochschule variieren die angebotenen Schwerpunkte. Die wichtigsten sind Flugmechanik und Flugzeugbau, Raumfahrtsysteme und Orbitaltechnik, Leichtbau und Werkstofftechnik, Strukturmechanik und -design oder auch Antriebstechnologien. Auch Computersimulationen zur Entwicklung und Analyse von Flugzeugen und Raumfahrzeugen gehören zu den angebotenen Studieninhalten. Hinzu kommen betriebswirtschaftliche Fächer, in denen Studierenden unter anderem Grundlagen im Projekt- und Kostenmanagement vermittelt werden.

Modern Industrial Factory: Mechanical Engineer Wearing Virtual Reality Headset, Holding Controllers, Uses VR technology for Industrial Design, Development and Prototyping in CAD Software on Computer.
Rotax

Hoche Nachfrage

All das zeigt: Diese Ausbildung stellt hohe Ansprüche an die Studierenden. Dafür wartet auf erfolgreiche Absolventen ein attraktiver Arbeitsmarkt. Derzeit ist die Nachfrage nach Ingenieuren in der Luftfahrtwirtschaft hoch, ganz gleich, ob sie ab initio Luft- und Raumfahrttechnik studiert haben oder einen Abschluss als Maschinenbauer mit oder ohne Spezialisierung in diesem Bereich oder als Elektroingenieur in der Tasche haben. Auch Informatiker spielen in der Luft- und Raumfahrt eine immer wichtigere Rolle und sind in der Branche entsprechend begehrt. Das schlägt sich häufig in überdurchschnittlichen Gehältern nieder. Mit Blick auf die Zukunft sieht es nicht so aus, als ob sich diese Situation radikal ändern könnte. Sowohl Airbus als auch Boeing gehen in ihren Prognosen von einer Verdoppelung der weltweiten Passagier- und Frachtflugzeugflotte bis zum Jahr 2044 aus. In dieser Zeit müssten rund 40 000 bis 42 000 neue Flugzeuge ausgeliefert werden. Folgt man diesen Zahlen, dürfte der Bedarf an Ingenieuren in der Luft- und Raumfahrt auch weiterhin hoch bleiben.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem aktuellen Sonderheft "Crew only: Berufe in der Luftfahrt". Jetzt erhältlich im gut sortierten Kiosk oder direkt im Onlineshop der Motor Presse Stuttgart.