Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man die Bilder der Boeing 747 mit dem GE9X-Triebwerk von GE Aerospace unter der Tragfläche glatt für eine Fotomontage halten. Mit einem Durchmesser von 3,4 Metern ist der Antrieb fast so breit wie der Rumpf einer Boeing 737 und liefert annähernd doppelt so viel Schub wie das CF6 neben ihm am Jumbo. Nicht nur die Installation des Schubriesen an dem ehemaligen Airliner liefert so einige Herausforderungen. Trotzdem setzen GE wie auch die anderen Triebwerksbauer auf den Einsatz solcher fliegenden Teststände.

Das GE9X absolvierte seinen Erstflug an der Boeing 747 von GE Aerospace am 14. März 2018.
Vorteile der Flugerprobung
Die Erprobung an diesen Flying Testbeds ist nämlich nach wie vor ein unverzichtbarer Teil der Triebwerksentwicklung und des Zulassungsprogramms. Schließlich lassen sich in der Flugerprobung Bedingungen testen, die am Boden und selbst in einem Höhenprüfstand nicht zu erfassen sind. "Das Verhalten unter Manöverlasten, die Wechselwirkung von Triebwerken untereinander, die Strömung in den Einlauf und die Beeinflussung von Zellenstrukturen – das sind alles Dinge, die man im Flug unter realen Bedingungen sehen will", erklärt Dr.-Ing. Frank Grauer, Leiter Testing und Validation bei der MTU Aero Engines. Aber auch die Messung von Leistungsdaten und Wirkungsgraden oder das Wiederanlassen im Flug stehen auf dem Testplan.
HighTech an Bord
Das deutsche Unternehmen ist über seine Entwicklungsanteile auch bei den Flugtests der jeweiligen Antriebe von GE Aerospace und Pratt & Whitney mit von der Partie. Ein Schwerpunkt lag in den letzten Jahren vor allem auf dem Getriebefan (GTF): "Wir beteiligen uns an der Spezifizierung der erforderlichen Entwicklungstests und instrumentieren unsere Module – das Frontend des Hochdruckverdichters und die Niederdruckturbine – entsprechend, um die nötigen Daten für unsere Nachweise zu erhalten." Dabei kommt auch die spezielle Messtechnik der Firma zum Einsatz. Mit dem Berührungslosen-Schaufelschwingungs-Messsystem (BSSM) ließen sich beim GTF in der Niederdruckturbine wie auch im Hochdruckverdichter Spalte während transienter Flugmanöver ermitteln. "Das ist einzigartig. Wir konnten so sehr wichtige Daten für die Sicherheit des Triebwerksbetriebs generieren, weil das Einlaufverhalten und die Spalte wiederum Einfluss auf die Pumpgrenze, den Wirkungsgrad und weitere Faktoren haben. Diese unter Manöverbedingungen zu sehen, war für die Ingenieure ein Highlight."
Unverzichtbare Tests
Die Komponenten sind dabei in der Regel etwas weniger stark instrumentiert als bei den für Bodenversuche vorgesehenen Triebwerken. "Am Boden lassen sich aufgrund des größeren Platzes viel mehr Leitungen ausführen. In einem Flugzeug ist das eine echte Herausforderung. Man muss hier sehr genau überlegen, wie man die Leitungen verlegt. Außerdem sind bei einer Flugtestkampagne die Verbindungen sehr lang, weil die Aufnahmerechner nicht unmittelbar in der Nähe des Triebwerks stehen. Unter diesen Bedingungen eine gute Signalqualität sicherzustellen, ist eine weitere Herausforderung", sagt der Ingenieur. Bevor ein Aggregat in die Luft gehen kann, müssen jedoch am Boden bereits die Nachweise für einen mechanisch sicheren Betrieb erbracht sein. Je nachdem wie stark der fliegende Prüfstand auf das zu testende Triebwerk angewiesen ist, steigen die Hürden für die Flugfreigabe bis hin zu einer kleinen Triebwerkszulassung. Trotz weiterer Fortschritte in der Simulationsfähigkeit bleiben die Tests laut Dr.-Ing. Grauer auch in Zukunft unverzichtbar: "Da auch die Triebwerkssysteme immer komplexer werden, haben wir festgestellt, dass der Bedarf eher zunimmt." Das sieht auch Timothy Cormier so: "Wir testen mehr und lernen mehr, und auch noch zu einem früheren Zeitpunkt", meint der Vizepräsident des GTF-Advantage-Programms bei Pratt & Whitney. "Dies erfordert eine wesentlich umfangreichere Instrumentierung und die Erfassung von viel mehr Testparametern, was die Testplanung und -durchführung noch komplexer macht."

Riesen-Triebwerk unterm Jumbo-Flügel: Das GE9X für die Boeing 777X ist größentechnisch eine Klasse für sich.
Jumbo ist bestens geeignet
Die drei großen Triebwerksbauer GE Aerospace, Pratt & Whitney und Rolls-Royce setzen dabei alle auf den Jumbo Jet. Pratt & Whitney betreibt im kanadischen Mirabel gleich zwei 747SP. "Da sie vier Triebwerke hat, lässt sie sich bei den Tests leichter stabil halten. Wenn die Flugtestspezialisten den Schub am Probanden ändern, können die Piloten die Einstellungen am gegenüberliegenden Triebwerk anpassen, was zu genaueren Daten führt", erläutert Marc Kirner, Technologiebeauftragter in der Flugbetriebsabteilung von Pratt & Whitney Canada. "Das Flugzeug eignet sich aufgrund seiner Größe gut als Prüfstand, da es ausreichend Platz zur Montage von Testtriebwerken und zur Unterbringung der erforderlichen Messgeräte bietet. Außerdem verfügt es über einen großen Flugbereich, der ideal für Tests ist. Es kann in großen Höhen, mit hohen und niedrigen Geschwindigkeiten fliegen. Dies hilft uns, den Flugbereich einer großen Anzahl von Flugzeugen zu simulieren, für die unsere Triebwerke geeignet sind." Als Besonderheit verfügt eine der beiden 747SP über einen Stummelflügel an der rechten Seite des Rumpfbuckels, an dem sich kleinere Antriebe anbringen lassen. "Wir können ihn mit einem vertikal oder horizontal ausgerichteten Pylon ausstatten, sodass wir das Triebwerk so testen, wie es im endgültigen Flugzeug eingebaut sein wird", sagt Kirner.
Teamwork ist angesagt
Für einen typischen Einsatz erstellen die Ingenieure eine Testkarte mit den Bedingungen, die sie testen möchten. Am Tag des geplanten Fluges prüft die Besatzung das Wetter, entscheidet, ob (und inwieweit) die Testkarte durchgeführt werden kann und bereitet den Flug entsprechend vor. Während des Fluges koordinieren die Piloten und das Flugtestpersonal die jeweiligen Manöver. Wenn beispielsweise der Flugversuchsspezialist den Schub am Testaggregat erhöht, ergreifen die Piloten entsprechende Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Flugzeug trotz des asymmetrischen Schubs stabil bleibt. Nach dem Einsatz bespricht das Team, wie der Flug verlaufen ist, und überprüft, ob alle Punkte erledigt sind oder eine weitere Mission nötig ist. Üblicherweise befinden sich bei einem Flug zwischen 12 und 15 Personen an Bord: neben der dreiköpfigen Cockpitbesatzung vor allem Testingenieure und Messtechniker.

Nach wie vor spielt die 747SP eine wichtige Rolle bei der Erprobung und Zulassung von Getriebefans.
Open Rotor in der Luft
Auch GE Aerospace verfügte zeitweise über zwei Jumbos, die 747-121 landete allerdings im Jahr 2018 im Museum in Tucson, nachdem sie an der Zulassung von elf verschiedenen Triebwerksmodellen mitgewirkt hatte. In 24 Jahren absolvierte die ehemalige Pan-Am-Maschine insgesamt 3916 Teststunden. Nach ihrer Außerdienststellung fiel der neueren 747-446 die Ehre zu, mit dem GE9X das größte Jet-Triebwerk der Welt in der Luft zu erproben. Die Flight Test Organisation von GE ist im kalifornischen Victorville beheimatet. Das gute Wetter in den amerikanischen Wüstenregionen nutzt auch Rolls-Royce, das seine 747 in Tucson, Arizona, stationiert hat. Alle drei Unternehmen wollen ihren Jumbos treu bleiben und planen für die nähere Zukunft keinen Ersatz beziehungsweise haben entsprechende Pläne aufgegeben. Noch eine Nummer größer als beim Jumbo dürfte jedoch die Flugerprobung des OpenFans von CFM International im Rahmen des RISE-Programms (Revolutionary Innovation for Sustainable Engines) an einem Airbus A380 werden, die für Mitte dieses Jahrzehnts geplant ist. Aber bevor der OpenRotor an dem europäischen Airliner fliegt, geht es erst in die USA. Dort wartet nämlich schon die Boeing 747 von GE auf ihren nächsten ungewöhnlichen Probanden.