Künstliche Intelligenz in der Luftfahrt: Anwendungen, Chancen und Herausforderungen

Künstliche Intelligenz in der Luftfahrt
Wie KI die Luftfahrt verändert

ArtikeldatumVeröffentlicht am 05.10.2025
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KI beeinflusst sämtliche Lebensbereiche, auch die Luftfahrt. Die europäische Luftfahrtbehörde EASA hat 2020 eine entsprechende Roadmap veröffentlicht und 2023 aktualisiert, die US-Luftfahrtbehörde FAA zog im Jahr 2024 nach. Beide Dokumente beschäftigen sich mit den Vorteilen und Herausforderungen von KI sowie mit den Sicherheitsanforderungen bei einem Einsatz in der Luftfahrt.

KI in Entwicklung und Fertigung: Generatives Design und digitale Zwillinge bei Dassault Systèmes

Dabei ist KI in der Branche gar nicht so neu. "Sie wird bereits seit 20 Jahren genutzt", sagt David Ziegler, Vice President Aerospace Defense Industry bei Dassault Systèmes. Ziegler spricht vor allem von der Entwicklung von Fluggeräten, wo Technologien wie generatives Design oder neuronale Netze schon länger eingesetzt werden. Generatives Design bezeichnet ein Entwurfsverfahren, das mithilfe von KI mehrere Gestaltungslösungen erstellt, die bestimmte Anforderungen erfüllen. "Wir nutzen das in der Luftfahrt seit geraumer Zeit, sei es für das Design mechanischer Teile oder für die Fertigung, um mithilfe von maschinellem Sehen produzierte Teile mit einem virtuellen Tool zu vergleichen", so Ziegler.

Bei der Konstruktion eines mechanischen Bauteils werden beispielsweise zu Beginn der vorhandene Raum, die Aufhängungspunkte, die Lasten und der Fertigungsprozess spezifiziert. Für die Produktion nennt Ziegler als Beispiel die Endmontagelinie des CFM56 in Villaroche. Zusammen mit Safran Aircraft Engines hat Dassault Systèmes dort einen Roboter installiert, der das fertige Triebwerk mit dem virtuellen Zwilling vergleicht. Dieser automatische Prozess erspart visuelle, menschliche Inspektionen. Man dürfe aber nicht glauben, dass KI alles automatisiere. "KI wird kein Zauberstab sein, dem man sagt: ‚Entwirf mir bitte ein Flugzeug!‘ und dann erscheint ein Flugzeug", sagt Ziegler. Man brauche am Ende eine menschenzentrierte KI und einen kollaborativen Workflow.

Autonomes Fliegen: Airbus testet ATTOL und DragonFly mit A350

Flugzeughersteller nutzen KI auch über die reine Entwicklung von Luftfahrzeugen hinaus. Für Airbus beispielsweise sind Automatisierung und autonomes Fliegen wichtige Experimentierfelder. So wurde bereits zwischen 2018 und 2020 das ATTOL-Projekt (Autonomous Taxi, Take-off and Landing) mit einer A350 durchgeführt. Dabei setzte der europäische Hersteller auf vollautomatische Bilderkennung und maschinelles Lernen für autonomes Rollen, Starten und Landen.

Im Projekt DragonFly (deutsch: Libelle) wurde ebenfalls eine A350 mit Kameras und KI ausgestattet und 2022/2023 getestet. Erprobt wurde unter anderem eine automatisierte Notfallumleitung, inklusive Landen und Rollen. Speziell im Fall einer handlungsunfähigen Crew wurden autonome Fähigkeiten erprobt; bei den Tests kam eine A350-1000 zum Einsatz. Laut Airbus UpNext führen die Tests dazu, dass die Technologien mit Blick auf die Integration in künftige Flugzeugprogramme bestätigt oder weiter verbessert werden. Ob und wann solche Lösungen in Verkehrsflugzeuge integriert werden, ist noch offen.

Effizientere Abläufe im Betrieb: Lufthansa OPSD und KI-basierte Kameralösung "seer"

Den Flugbetrieb und die Bodenabfertigung kann KI jedoch schon heute effizienter und robuster machen. Die Lufthansa-Gruppe hat beispielsweise zusammen mit Google Cloud die Operations Decision Support Suite (OPSD) entwickelt. Sie hilft den Flugdienstberatern dabei, Entscheidungen zu treffen. Dafür werden unterschiedliche Daten des Flugbetriebs, darunter Crew-Verfügbarkeit, Passagiernachfrage, Wartungszustand des Flugzeugs, Wetter und viele weitere Parameter, von einer KI in der Cloud analysiert. Anschließend schlägt sie verschiedene Szenarien vor, zum Beispiel ein bestimmtes Flugzeug für einen bestimmten Flug. Berücksichtigt wird dabei unter anderem auch, ob ein Flugzeug mit Leasing-Triebwerken ausgestattet ist, die teurer im Betrieb sind. Zuvor hatten die Flugdienstberater solche Informationen nicht. Nach Angaben der Lufthansa Group akzeptieren die Flugdienstberater die Vorschläge der KI in neun von zehn Fällen.

Für eine effizientere Abfertigung nutzen Lufthansa und Fraport seit kurzem die KI-basierte Kameralösung "seer". Dabei wird jeder Schritt der Abfertigung – vom Andocken der Fluggastbrücke über die Gepäckverladung bis zur Betankung – von einer Kamera erfasst. Die KI versieht die jeweiligen Prozessschritte mit Zeitstempeln. Dadurch entsteht ein präzises Bild der Abfertigung, auf dessen Basis weitere Arbeitsschritte angepasst werden können. "Flugzeuge verdienen am Boden kein Geld – gleichzeitig finden hier die komplexesten Prozesse unter hohem Zeitdruck statt. Genau hier setzt unsere Lösung an: Mit Hilfe kameragestützter KI-Modelle machen wir Prozesse sichtbar, analysierbar und steuerbar – in Echtzeit. Das bringt nicht nur mehr Transparenz für Airlines und Flughafenbetreiber, sondern verbessert auch Pünktlichkeit und Ressourceneinsatz", so Manuel van Esch, Geschäftsführer der Lufthansa-Tochter zeroG, die "seer" entwickelt hat.

Flugverkehrsmanagement: Eurocontrol-Katalog und EDDY als EASA-Level-1-Anwendung

Ein weiteres Anwendungsfeld von KI ist das Flugverkehrsmanagement. Eurocontrol listet 27 Anwendungen in einem online einsehbaren Katalog, davon sind 15 in Betrieb und in Entwicklung. Zu den bereits genutzten Anwendungen gehört EDDY (Early Diversion Detection System). Mithilfe von maschinellem Lernen wurde ein KI-Modell so trainiert, dass es für Flüge eine Wahrscheinlichkeit für eine wetterbedingte Umleitung zu einem Ausweichflughafen berechnen kann. Für Flughäfen ergibt sich dadurch eine bessere Einschätzung des zu erwartenden Verkehrsflusses, Airlines können die Entscheidungsfindung der Crew unterstützen und bereits die Logistik im Fall einer Umleitung planen.

EDDY ist eine Anwendung des Levels 1 gemäß der Klassifikation der EASA. Sie hat drei Level von KI definiert: Level 1 zur Unterstützung von Menschen, Level 2 als Zusammenarbeit von Menschen und KI und Level 3 für fortgeschrittene Automatisierung.

Instandhaltung: Lufthansa Technik AVIATAR und mehr Potenzial für Predictive Maintenance

KI kommt auch in der Instandhaltung zum Einsatz. Lufthansa Technik beispielsweise hat ihre Datenanalyse-Plattform AVIATAR um eine KI-Anwendung ergänzt, die sogenannte Technical Repetitives Examination. Sie dient dazu, wiederkehrende technische Fehler am Flugzeug ("repetitives") in Logbuch-Einträgen transparent zu machen und zu überwachen.

Die Auswertung solcher Fehler ist nicht einfach. Denn die meist manuell erstellten Logbuch-Einträge können Rechtschreibfehler oder falsche Zuordnungen zu den einzelnen technischen Systemgruppen (sogenannte ATA-Kapitel) enthalten, in unterschiedlichen Sprachen und Schreibweisen erfolgen und ein und dasselbe Bauteil anders bezeichnen oder abkürzen. Lufthansa Technik nennt als Beispiel die Kaffeemaschine an Bord, die als "Coffee machine", "Coffee brewer" oder "Espresso maker" in den Logbuch-Einträgen zu finden ist. Die Ingenieure, die sich solcher wiederkehrenden Fehler annehmen, waren bislang oft im Unklaren, ob sie alle Fehler-Dokumentationen zu einem bestimmten System erfasst haben.

Die KI erkennt nach dem Training durch Lufthansa-Technik-Ingenieure, um welche Komponente es sich handelt und ordnet die Einträge den richtigen ATA-Kapiteln zu. So wird sichergestellt, dass sämtliche Defekte eines Bauteils für einen gewählten Zeitraum und die gesamte Flotte lückenlos erfasst und ausgewertet werden. Zudem wird eine frühzeitige und effektive Identifikation der Fehler ermöglicht, was auch Rückschlüsse auf eventuelle flottenübergreifende Probleme zulässt. Auf der Basis einer verbesserten grafischen Übersicht können die Ingenieure Empfehlungen für die Fehlerdiagnose und -behebung abgeben und damit die Zuverlässigkeit im technischen Flugbetrieb erhöhen. "Die positive Resonanz unserer Kunden und Entwicklungspartner bestätigt uns in der Annahme, dass wir hier eine KI-gestützte Lösung geschaffen haben, welche die Maintenance Control Center und das Engineering der Airlines spürbar von sehr zeitaufwendiger Arbeit entlastet und ihnen gleichzeitig effizientere Instandhaltungsmaßnahmen ermöglicht", sagt Dr. Jan Philipp Graesch, Product Lead der AVIATAR Reliability Suite bei Lufthansa Technik.

In der Instandhaltung gibt es noch weiteres Potenzial. Nach Angaben von Ziegler wird Big Data Analytics, also die Untersuchung großer Datenmengen aus verschiedensten Quellen auf bestimmte Muster, genutzt, um die vorausschauende Wartung ("predictive maintenance") zu verbessern. Auch für eine automatisierte Befundung von Bauteilen kann KI, beispielsweise mithilfe von Bildverarbeitungsmethoden, in Zukunft sinnvoll sein. Bei Triebwerksteilen können so zum Beispiel nach Angaben von MTU Maintenance Beschichtungsabplatzungen oder Risslängen erfasst werden. Aus den Daten lassen sich Wahrscheinlichkeiten ableiten, an welchen Stellen am häufigsten Schäden auftreten.

Software führt Luftkampf: X-62A VISTA und Gripen E mit KI-Agenten

Auch in der Militärluftfahrt wird KI bereits genutzt. Nach Angaben von Ziegler werten Computer Radarsignaturen und Bilder aus, die für eine Freund-Feind-Erkennung nötig sind. Luftstreitkräfte und Flugzeughersteller experimentieren aber auch mit neuen Möglichkeiten. Bereits 2023 hat in den USA eine KI an Bord einer speziell modifizierten F-16 eigenständig einen Luftkampf gegen menschliche Gegner geführt. Es handelte sich um die von den Lockheed Martin Skunk Works entwickelte X-62A VISTA (Variable Stability In-flight Simulator Test Aircraft), die über eine variable Flugsteuerung verfügt, mit der sich verschiedene Flugzeugmuster simulieren lassen. Für die autonomen Versuche erhielt sie im Rahmen des Air-Combat-Evolution-Programms (ACE) der US-Militärforschungsbehörde DARPA eine spezielle Software, die eigenständig Luftkampfmanöver durchführen kann. Aus Sicherheitsgründen waren während der Tests Piloten an Bord. Der Ausgang der Luftkämpfe ist allerdings geheim.

Auch der schwedische Flugzeughersteller SAAB hat eine Gripen E mit dem vom deutschen Softwareunternehmen Helsing entwickelten KI-Agenten Centaur ausgestattet und sie im Frühjahr damit Luftkampfmanöver fliegen lassen. Auch hier war ein Sicherheitspilot an Bord. Lediglich das (simulierte) Abfeuern der Waffen übernahm der Pilot. Derzeit arbeiten die Ingenieure an der Auswertung der Daten, um die KI weiter zu trainieren. Zusätzlich sind für dieses Jahr weitere Flüge geplant.

Was ist KI? Definitionen, Konzepte und Ansätze

Grundverständnis: Was Künstliche Intelligenz leistet

Künstliche Intelligenz bezieht sich auf Computersysteme, die komplexe Aufgaben ausführen, die normalerweise von Menschen erledigt werden, also denken, entscheiden, Dinge erschaffen.

EU-Definition der KI in der KI-Verordnung

In der KI-Verordnung der EU wird KI definiert als "maschinengestütztes System, das so konzipiert ist, dass es mit unterschiedlichem Grad an Autonomie betrieben werden kann und nach seiner Einführung Anpassungsfähigkeit zeigt, und das für explizite oder implizite Ziele aus den Eingaben, die es erhält, ableitet, wie es Ausgaben wie Vorhersagen, Inhalte, Empfehlungen oder Entscheidungen generieren kann, die physische oder virtuelle Umgebungen beeinflussen können."

Hauptansätze: Maschinelles Lernen, symbolische KI und Statistik

KI lässt sich unterteilen in Maschinelles Lernen (auch datengetriebene KI genannt), logik- und wissensgestützte Konzepte (auch als symbolische KI bezeichnet) sowie statistische Ansätze. Maschinelles Lernen bezeichnet Algorithmen, deren Leistung sich durch das Trainieren mit Daten verbessert. Dazu gehört auch das sogenannte Deep Learning. Dabei handelt es sich um Maschinelles Lernen auf der Basis verschiedener Schichten neuronaler Netze. Künstliche neuronale Netze bestehen, ähnlich wie das menschliche Gehirn, aus Neuronen, die miteinander verbunden sind. Große Sprachmodelle (Large Language Models, LLM) sind eine spezielle Art des Maschinellen Lernens und darauf ausgelegt, menschliche Sprache zu verstehen und zu generieren. Sogenannte Generative Pre-trained Transformers (GPT) wie ChatGPT von OpenAI gehören zu den großen Sprachmodellen.

Logik- und wissensgestützte Konzepte setzen auf Problemlösung durch Schlussfolgerungen aus einer Logik- oder Wissensbasis, darunter fallen unter anderem Wissensrepräsentation sowie Schlussfolgerungs- und Expertensysteme.

Statistische Ansätze nutzen eine Reihe vorbestimmter Gleichungen, um herauszufinden, wie man die Daten anpasst.

Ausblick: Transparente KI, Zulassung und Rolle des Menschen

Welche Rolle wird KI in Zukunft spielen? Insgesamt könne KI Automatisierungsbestrebungen beschleunigen, die Lebenszyklusentwicklung verkürzen und den Treibstoffverbrauch verbessern, so Ziegler. "Mit Blick auf die Zulassung müssen wir aber sicherstellen, dass wir in Richtung einer transparenten KI arbeiten." Dabei gilt es, zwei zentrale Fragen zu beantworten:

  • Wie kann KI die strengen Sicherheitsanforderungen der Luftfahrt erfüllen?
  • Und welche Rolle soll der Mensch spielen?