Erstflug vor 71 Jahren
Amphibienflugzeug Grumman HU-16 Albatross

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Wenn Scott Glover die Tore seines Mid America Flight Museums öffnet, ist das wie ein Blick in eine Schatzkammer: Neben Ford TriMotor, Douglas DC-3 oder Mustang steht auch seine heimliche Leidenschaft, die Grumman HU-16 Albatross. Diese hatte vor 71 Jahren ihren Erstflug.

Amphibienflugzeug Grumman HU-16 Albatross

Das entfernte Dröhnen zweier Wright-Cyclone-Sternmotoren scheint wie ein Weckruf zu sein für die vielen kleinen Boote, die an diesem Sommerabend auf dem Lake Bob Sandlin, etwa 150 Kilometer östlich von Dallas, vor sich hindümpeln. Wie hungrige Möwen, die hoffen, dass vom Fang des großen, gerade zur Landung ansetzenden Vogels etwas für sie abfällt, schnellen sie in Richtung der Stelle, an der die Albatross auf dem Wasser aufsetzen wird. Nur ist es nicht die tollpatschige gefiederte Variante, die bei der Landung gerne mal Purzelbäume schlägt, sondern die zweimotorige HU-16 des Mid America Flight Museum (MAFM) in Mount Pleasant, Texas. „Es ist jedes Mal ein echtes Schauspiel, wenn wir mit der 0019 auf dem See landen“, erzählt Pilot Scott Glover. Beim Touchdown auf der Wasseroberfläche peitscht die Gischt hoch, schlägt durch die oben geöffneten Türen in den Rumpf und verpasst den Mitfliegern eine erste Erfrischung. Kaum sind die Motoren abgestellt, sammeln sich die Sportboote in der Nähe, um zu ergründen, wer dieses Mal zum Baden eingeflogen ist.

Tatsächlich ist es genau das, was das Museumsteam regelmäßig exerziert. Nach Feierabend und mit sinkenden Temperaturen starten die zwei Sternmotoren mit viel Qualm, und acht Mann steigen über die kleine Treppe in den silbernen Rumpf des Flugzeugs. Im Cockpit sitzen Scott Glover und Andrew Kiest. Der Flug dauert nur knapp fünf Minuten und ist wenig aufregend. Wenn die Albatross nach der aufsehenerregenden Landung schließlich ruhig im Wasser liegt, befreien sich die Männer von ihren T-Shirts und es geht direkt aus der Tür mit einem Kopfsprung in den See. „Die Abkühlung tut nach heißen Sommertagen wahnsinnig gut“, sagt Scott. „Wenn ich im Wasser ein paar Runden drehe und dann in den letzten Sonnenstrahlen dieses mächtige Amphibienflugzeug vor mir sehe, dann weiß ich genau, dass ich mit dieser Anschaffung alles richtig gemacht habe. Mehr Freude und Nutzen geht wohl kaum“, sagt er, nimmt auf der Fläche Anlauf und taucht eine Sekunde später ins kühle Wasser ein. Als Scott vor der Entscheidung stand, die Albatross zu kaufen, überlegte er nicht lang. Er hatte schon immer ein Faible für Wasser- und Amphibienflugzeuge – in seinem Hangar stehen noch eine Grumman Duck und eine Piper Apache auf Schwimmern –, und die HU-16 erfüllte noch einen weiteren wichtigen Punkt: Sie bietet genug Platz, um Freunde und Familie einzuladen und eben einfach mal auf den See zu fliegen. Eine Albatross als Familienkutsche – weiter hätte man das einst fürs Militär geplante Flugboot nicht von seinem ursprünglichen Zweck entfremden können.

Unsere Highlights

Ersatz für die JRF Goose der Navy

1944 lieferte Projekt­ingenieur William Wange einen Entwurf ab, der die in die Jahre gekommenen JRF Goose der Navy ersetzen sollte. Das herstellerintern als G-64 bezeichnete Flugboot verfügte auch über zwei Motoren, die oben auf dem Flügel angebracht waren, doch in Größe und Leistung übertraf die Konstruktion ihre Vorgänger deutlich: Die Spannweite wuchs, verglichen mit der Goose, von knapp 15 auf bei­nahe 30 Meter, die Startmasse von knapp vier auf mehr als 17 Tonnen. Erstmals kam auch ein herkömmliches Fahrwerk zum Einsatz, was für ein besseres Handling am Boden sorgte. Im Flug und für die Wasserung wurde es in den Rumpf eingefahren. Die Schwimmer am äußeren Ende waren fest installiert. Eine Bestellung zweier Prototypen erfolgte bereits im November desselben Jahres, doch mit Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Entwicklung und Erprobung nicht mehr wie zuvor mit Hochdruck verfolgt. Mit Verabschiedung des National Security Act am 26. Juli 1947 wurde die Neuausrichtung der amerikanischen Verteidigungspolitik forciert und Zuständigkeiten neu verteilt. Der neu geschaffenen Air Force wurde die Verantwortung für internationale Luftrettungseinsätze erteilt. Für Grumman bedeutete das, dass ein neuer Abnehmer für die noch „Pelikan“ genannten Vorserien­maschinen (BuNo. 82853 und 82854) bereitstand.

Am 1. Oktober 1947 starteten Fred Rowley und Carl Alber in Bethpage auf Long Island zum Erstflug – der Startschuss für den Erfolg des Modells. Air Force und Coast Guard waren die ersten Kunden, und in den nächsten zwölf Jahren stellte Grumman 464 Albatross her. Zu den Abnehmern gehörten unter anderem Italien, Deutschland und Norwegen, die alle ehemalige Air-Force-Maschinen nutzten.

Schlägt man das Logbuch der HU-16 des MAFM auf, findet man auf den ersten Blick keine großen Besonderheiten. Sie wurde als SA-16A gebaut, was bedeutet, dass sie zur ersten Serienausführung gehörte, die zwischen Juli 1949 und Dezember 1953 extra für die US Air Force (USAF) gefertigt worden war. Noch während der Produktion wurde sie auf den Standard SA-16B gebracht. Dieser beinhaltete eine größere Spannweite und ein geändertes Leitwerk. Bei welchen Einheiten sie wann eingesetzt wurde, geht aus den Dokumenten nicht klar hervor. Sicher ist nur, dass sie bis in die frühen 1970er Jahre bei der USAF diente. Zwischen 1973 und 1975 stand sie auf dem Gelände von Allied Aircraft Sales in Tucson, Arizona – noch in ihrer USAF-Lackierung. 1976 kaufte Diamond Aero Corp. die HU-16, die daraufhin die zivile Registrierung N5545 erhielt. Im Oktober 1978 kam sie auf die Philippinen und wurde von der dortigen Küstenwache eingesetzt.

In den nächsten Jahren folgten Einsätze in der Pazifikregion, bei denen abgeschossene Piloten gerettet oder MedEvac- und VIP-Transporte geflogen wurden. 1984 kam das militärische Ende für die 0019, und sie wurde in einer öffentlichen Auktion versteigert. Trans Corp. in Manila erhielt den Zuschlag. Mit der neuen Kennung RP-X459 stand sie bis 1989 flugtüchtig und ganz in Weiß auf dem Flughafen Manilas. Bis zum 14. Februar 2005 wurde sie ein weiteres Mal verkauft, dieses Mal an Air Asia, und war fortan auf der Tainan Air Base auf Taiwan stationiert. Am 4. Januar 2006 wurde sie schließlich von Robert P.
Ryan erworben und in die USA zurückgeholt.

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Restaurierung

Das Air Rescue Museum übernahm die Wiederherstellung der Flugtüchtigkeit, anschließend erfolgte in Tucson bis zum März 2011 die Restaurierung. Im selben Jahr nahm sie am EAA AirVenture in Oshkosh teil, damals noch ohne Lackierung. Die letzten Aufzeichnungen der Pre-Glover-Ära datieren aus dem Jahr 2014, als sie am 24. November in Boulder City ohne Fahrwerk landete. Wenige Tage später schlug Scott Glover zu, kaufte die Albatross, ließ sie reparieren und im Design der US Coast Guard lackieren.

Glover hatte ganz genaue Vorstellungen davon, was mit dem Flugzeug geschehen sollte. So ließ er seine Mechaniker gleich nach Re­paratur und Lackierung noch einmal Hand anlegen, um ein paar charakteristische Macken des Musters zu beseitigen. Er hatte in Gesprächen mit anderen Albatross-Besitzern nämlich erfahren, dass bereits in der Vergangenheit im Anschluss an die Einsätze auf See die Flugzeuge regelmäßig über einen längeren Zeitraum an den Boden gefesselt waren, da Feuchtigkeit und Salz die Systeme lahmgelegt hatten. Dem wollte er nun vorbeugen und ließ sämtliche Stellmotoren, Ansteuerungen und elektrischen Komponenten, die im Betrieb in Kontakt mit Wasser kommen, überarbeiten und für den Einsatz präparieren. Auch die beiden Wright-R-1820-76-Sternmotoren, die zum Schutz vor Wasser um drei Grad nach oben gekippt eingebaut sind, wurden nochmals vom museumseigenen Motor-„Guru“ Billy Packard überarbeitet. Die Turbolader der Motoren sind übrigens funktionsfähig, was heutzutage bei vielen Warbirds nicht mehr der Fall ist. Die Ar­beiten hatten natürlich einen besonderen Hintergrund, denn die Flugzeuge der Sammlung des Mid America Flight Museum werden geflogen und stehen nicht in einem klimatisierten Hangar. So auch die HU-16, die seit ihrer Ankunft und der Überarbeitung inzwischen rund 30 Stunden in der Luft gewesen ist – was bei der eindrucksvollen Auswahl des Museums schon eine Menge ist. Hauptsächlich nutzt Glover sie für Flüge mit Veteranen und Schulklassen, die immer wieder im Museum vorbeischauen und sich vom Personal die historischen Flugzeuge erklären lassen.

Allabendliche Badeausflüge

Glovers größte Freude sind jedoch die abendlichen „Pleasure Flights“ für Freunde und Familie. Sie führen häufig auf einen der umliegenden Seen, um sich im Sommer eine willkommene Abkühlung zu gönnen.

Neben Glover selbst sind inzwischen zwei seiner Mitarbeiter auf dem großen Flieger ausgecheckt und kommen regelmäßig in den Genuss, diesen Veteranen zu steuern. „Das Handling in der Luft ist einfach, da man zu zweit im Cockpit sitzt und der Copilot sich um die Bedienung der Motoren kümmert“, erzählt Glover. Auch am Boden lässt sich die Albatross mittels umgebauter Redline-Bremsen und steuer­baren Bugrads relativ einfach beherrschen. Schwieriger ist es hingegen, die Bewegungen auf der Wasseroberfläche sicher zu koordinieren. Das beginnt schon mit dem Abbremsen nach der Landung. „Dabei kommt die Schubumkehr der beiden Hamilton-Standard-Propeller, Modell 43D50, ins Spiel, denn anders lässt es sich auf dem Wasser nicht bremsen“, beschreibt Glover den Vorgang. „Im Anflug auf das Wasser checken wir bei einem ersten Überflug anhand der Wellen, aus welcher Richtung der Wind kommt, und dann drehen wir in einen langen Endanflug ein. Wir setzen volle Klappen und halten uns kurz vor dem Aufsetzen bei 70 Knoten und kommen so mithilfe der Schubumkehr in weniger als 600 Metern zum Stehen.“ Auf dem Wasser bewegt sich die Maschine selbst im Leerlauf beider Motoren noch mit fünf bis zehn Knoten.

„Wenn wir dann unseren Badeausflug beendet haben und alle wieder auf ihren Plätzen sitzen, wird es noch einmal spannend. Denn nachdem wir den Startlauf begonnen haben, die Klappen stehen dabei auf 15 Grad, flitzen wir mit 80 Knoten über die Wasseroberfläche. Beim Takeoff werden wir mächtig durchgeschüttelt und müssen ganze Arbeit leisten, um den Kurs zu halten. Doch sobald wir abheben, kehrt wieder eine himmlische Ruhe ein, und man hört nur noch das Brummen der Motoren. Nach Hause fliegen wir dann mit 120 Knoten, um mit den letzten Sonnenstrahlen auf der Piste in Mount Pleasant aufzu­setzen und das Abenteuer für diesen Tag zu beenden.“

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