Gefechtsbericht: Per "Express" durch den Eiffelturm

Riskantes Manöver
Per „Express“ durch den Eiffelturm

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Veröffentlicht am 06.12.2020
Per „Express“ durch den Eiffelturm
Foto: USAF

Am Tag des Angriffs auf Pearl Harbor meldeten sich Tausende junge Amerikaner freiwillig, um ihr Land zu verteidigen. Unter ihnen war auch der 20-jährige William "Bill" Overstreet Jr. aus Clifton Forge in Virginia. Der Student wollte unbedingt in das Air Corps eintreten und setzte alles daran, seinem Land als Pilot dienen zu dürfen. Im Februar 1942 wurde er Soldat und hoffte, seine Laufbahn als Aviation Cadet beginnen zu können.

Militärische Grundausbildung

Seine militärische Grundausbildung startete im sonnigen Santa Ana, Kalifornien, die fliegerische Ausbildung erfolgte anschließend auf der Boeing Stearman an der Rankin Aeronautical Academy in Tulare. Gründer und Chefausbilder der Schule war Kunstflugmeister Tex Rankin, der bei der Ausbildung einen ganz besonderen Weg verfolgte. Er ließ keine Gelegenheit aus, sein Können zu demonstrieren. Die Ausbilder sahen es als ihre Aufgabe, die besten Piloten auszubilden – dafür wurde auch mal die Boeing Stearman im Gegenanflug auf den Rücken gedreht, der Motor abgestellt und der Schüler aufgefordert: "So, jetzt bring uns heile an den Boden!" Für Overstreet war es eine leichte Übung, mit einer viertel Rolle in die Linkskurve zu drehen, das Flugzeug auf die Bahn auszurichten und zu landen. Ihm lag die Fliegerei im Blut, und er merkte schnell, dass solche Tests eher der Prüfung seiner Reaktionen dienten, ohne sein fliegerisches Können wirklich zu fordern. Stets punktete er mit messerscharfen Instinkten.

Basisschulung auf der BT-13

Im Rahmen der Ausbildung ging es weiter nach Lemoore, um die Basisschulung auf der BT-13 zu absolvieren. Die Vultee war schon etwas schwerer und vor allem schneller als die gelben Boeing-Doppeldecker. Neben dem Handling komplexerer Flugzeuge lernten die Kadetten hier erstmals den Umgang mit den Bodenfunkstellen. Mit Flügen auf der North American AT-6, der "Pilot Maker", schloss jeder angehende Jagdflieger seine Fortgeschrittenenschulung ab. Später fand sich Overstreet im Cockpit der Curtiss P-40 Warhawk wieder und sammelte erste Jägererfahrungen. Sein Kommandeur wollte ihn eigentlich noch zur Multi-Engine-Ausbildung schicken, doch Overstreet konnte ihn überzeugen, dass er im Cockpit eines Jagdflugzeugs besser aufgehoben wäre als in einem Bomber.

Inmitten des Trümmerhaufens

Nach erfolgreichem Abschluss der Schulung wurde er der 357 Fighter Group zugeteilt, welche gerade in Santa Rosa stationiert war und mit ihren P-39 Airacobra auf die Verlegung an die Front wartete. Am 28. Juni 1943 geriet Overstreet erstmals in eine brenzlige Situation: Es gelang ihm nicht, das Flachtrudeln, in das seine Maschine geraten war, auszuleiten, und so musste er mit dem Fallschirm aussteigen – kein leichtes Unterfangen. Erst im allerletzten Moment schaffte es der junge Pilot, die Bell durch die Tür zu verlassen.Sekunden später stand er inmitten des Trümmerhaufens seiner P-39.

Geleitschutz für die Bomber

Im Januar 1944 traf Bill Overstreet nach der Überfahrt auf der "Queen Elizabeth" auf seiner neuen Basis in England ein. Dort unternahm er noch am selben Tag einen ersten Flug in der North American P-51 Mustang, jenem Flugzeug, demer lange verbunden sein würde. Die kommenden Monate bestanden darin, Geleitschutz für die Bomber der 8. US-Luftflotte zu fliegen. Diese langen Einsätze führten ihn weit hinter die feindlichen Linien.

"Berlin Express"

Zum Ende des Frühlings 1944 befand sich Overstreet wieder einmal über Frankreich. Er flog die P-51C "Berlin Express", als er und seine Gruppe eine Reihe von Messerschmitt Bf 109 unter sich entdeckten. Der Vorteil lag auf ihrer Seite und sie stürzten sich in den Kampf. Eine der 109 versuchte sich abzusetzen, Overstreet nahm die Verfolgung auf. Der Deutsche flog in Richtung Paris und hoffte vermutlich, dass er den Verfolger im schweren Flakfeuer über der Hauptstadt abschütteln konnte. Doch Overstreet blieb dran und konnte sogar die ersten Treffer erzielen – die Bf zog eine dicke schwarze Rauchfahne hinter sich her.

Immer tiefer über das Stadtgebiet

Overstreet traute seinen Augen kaum, als der Deutsche immer tiefer über das Stadtgebiet flog. Der Eiffelturm kam in Sicht und der Gegner steuerte direkt darauf zu. Unbeirrt jagte der junge Amerikaner hinterher, und so flogen die beiden Jäger durch den untersten Bogen des Eiffelturms. Overstreet feuerte aus vollen Rohren und brachte die 109 kurz darauf zum Absturz.

Ausbilder in der Waffenschule Pinellas

Im Oktober 1944 kehrte Bill Overstreet nach dem Ende seiner Einsatztour in die USA zurück und verbrachte noch ein paar Monate als Ausbilder in der Waffenschule Pinellas. Er verließ die Streitkräfte und ging zurück in seine Heimat nach Virginia. Overstreet arbeitete bis 1984 wie bereits vor dem Krieg in der Baubranche. Entgegen seiner Kameraden bei der 357., Bud Anderson, Chuck Yeager und Leonard Carson, die über zehn Abschüsse erzielten, war Overstreet kein Top-Scorer. Er erlangte nur durch seine haarsträubenden Einsätze Berühmtheit. Er flog auch 90 Minuten lang hinter den deutschen Linien herum, ohne es zu wissen. Sein Sauerstoff war ausgegangen und er flog nur nach Reflexen. Er starb am 29. Dezember 2013 im Alter von 92 Jahren.