Der Vorbeiflug einer F-14 dicht am Tower, der Ritt einer F-18 durch einen Canyon oder alte Doppeldecker, die in Scheunen fliegen – so etwas gab es eigentlich nur in Filmen. Oder hat es einfach niemand gefilmt oder fotografiert? Das ist eine Frage, die man sich auch bei der Geschichte von Captain John Stanley Lappo stellen könnte. Am 24. April 1959, so will es die Legende, ereignete sich im US-Bundesstaat Michigan ein Husarenstück, das kaum zu glauben ist: Ein RB-47E Stratojet der US Air Force soll unter der Mackinac-Bridge hindurchgeflogen sein – jener gewaltigen Hängebrücke, welche die obere und untere Halbinsel am Michigansee miteinander verbindet, genau dort, wo der Michigansee und der Huronsee zusammentreffen. Fotos existieren von diesem Stunt nicht. Denn es gab damals keine Smartphones, kein Social Media oder Ähnliches.
Riskantes Manöver
Technisch wäre der Flug eine Meisterleistung gewesen: Die größte Höhe zwischen Wasseroberfläche und Brückenunterseite beträgt 47,24 Meter. Das Leitwerk einer RB-47E ist 8,51 Meter hoch. Bleiben nur knapp 39 Meter Spielraum. Bei einer Mindestgeschwindigkeit von 240 bis über 300 km/h hätte die Maschine die Passage in ein bis zwei Sekunden durchquert – ohne Fehlertoleranz. Sowohl die RB-47E als auch die RB-47H waren Varianten der Boeing B-47 Stratojet, einem strategischen Bomber, der von der US-Luftwaffe während des Kalten Krieges eingesetzt wurde. Obwohl sie die gleiche Grundkonstruktion hatten, gab es einige wesentliche Unterschiede zwischen der RB-47E und der RB-47H: So wurde die E-Version hauptsächlich für Fotoaufklärung genutzt, die H-Version dagegen für elektronische Feindaufklärung. Außerdem variierten Ausstattung und Einsatz. Air-Force-Pilot Lappo war Aufklärungspilot im Strategic Air Command für angeblich streng geheime Aufklärungsmissionen. Es wird erzählt, dass der ebenfalls an Bord der Boeing befindliche Navigator ihn verraten haben soll. Fliegen sollte er danach nicht mehr, andere Konsequenzen gab es jedoch nicht. Lappo wurde später sogar stellvertretender Kommandeur der Elmendorf Air Force Base in Alaska und stieg bis zum Oberstleutnant auf.
Mythos oder Wahtheit?
Belegen lässt sich der Vorfall übrigens nicht. Zwar erwähnt die Detroit Free Press am 26. August 1959 in einem kurzen Artikel die Bestrafung eines Air-Force-Captains, der unter der "Mac", so wird die Brücke landläufig genannt, hindurchgeflogen sei. Doch andere Quellen vor 2019 sind rar. Viele Hinweise tauchten erst infolge eines anderen, belegten Ereignisses vom 28. Juni 2020 auf: Damals filmten Küstenwache und Polizei eine einmotorige Maschine, die tatsächlich unter der Brücke hindurchflog – das Video kursiert bis heute auf Videoplattformen. Es wird aus verschiedenen Quellen zudem behauptet, dass die Geschichte nicht stimme und dass es lediglich eine Bestätigung von Flügen verschiedener Bell P-39 Airacobra in der Zeit des Zweiten Weltkriegs unter der Ambassador Bridge in Windsor, Kanada, gebe. In Deutschland kursieren ähnliche Geschichten, die aber ebenfalls nicht bestätigt sind. So sollen die Hawker-Sea-Fury-Zieldarsteller mehrfach unter Brücken nahe der Nord- und Ostsee durchgeflogen sein. Wir haben darüber im Klassiker der Luftfahrt (Ausgabe 5/2025) berichtet.