SNCAC NC 3021 Belphégor: Der französische Riesen-Dämon

SNCAC NC 3021 Belphégor
Der französische Riesen-Dämon

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Veröffentlicht am 10.02.2024

Mit der F.1000-Serie begann Farman in den frühen 1930er-Jahren eine Reihe von Flugzeugen zu bauen, um Höhenrekorde zu brechen. Am 5. August 1935 erreichte die F.1001 Berichten zufolge eine Höhe von etwa 10 400 Metern. Eines der kleinen Fenster in der Druckkabine des Flugzeugs platzte jedoch und durch die plötzliche Dekompression wurde der Pilot, Marcel Cognot, bewusstlos und stürzte daraufhin mit der Maschine zusammen ab. Die F.1000-Reihe war ein skurriler Entwurf, denn sie verfügte über eine Druckkabine, jedoch war dadurch die Sicht extrem eingeschränkt. Für die Landung öffnete der Pilot die obere Klappe der Kabine und kurbelte sich mit einem höhenverstellbaren Sitz nach draußen, um eine bessere Sicht zu haben. Im eigentlichen Cockpit verblieben dabei nur noch seine Beine.

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Gründung SNCAC

Ende 1936 begann Frankreich mit der Verstaatlichung seiner Rüstungsindustrie, der viele Flugzeughersteller zum Opfer fielen. Anfang 1937 wurde Farman mit Aéroplanes Hanriot zusammengelegt, um die staatliche Société Nationale des Constructions Aéronautiques du Centre (SNCAC oder Aérocentre, die nationale Gesellschaft für Luftfahrtkonstruktionen) zu gründen. Die SNCAC leitete die Entwicklung einiger fortschrittlicher Flugzeuge ein und konstruierte andere, die als Plattformen für neue Technologien dienen sollten. Eines dieser Flugzeuge war die Nationale Centre NC 130, ein zweimotoriger Eindecker, der um einen Druckbehälter herum gebaut wurde. Die NC 130 wurde von Marcel Roca, dem ehemaligen Leiter des Farman-Konstruktionsbüros, entworfen und hatte eine voraussichtliche Dienstgipfelhöhe von 10 600 m (34 777 ft). Sie absolvierte ihren Erstflug am 10. Oktober 1939, wurde aber zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zerstört. Roca und sein Team entwarfen auch die NC 160, einen Sturzkampfbomber mit gegenläufigen Propellern, der jedoch nicht über das Entwurfsstadium hinauskam.

Produktion in Kriegszeiten

Nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich am 10. Mai 1940 wurden das Personal und die Büros der SNCAC von Boulogne-Billancourt in der Nähe von Paris nach Süden, genauer nach Cannes am Mittelmeer verlagert. Die SNCAC, zusammen mit der Société Nationale des Constructions Aéronautiques du Sud-Est (SNCASE/Nationale Gesellschaft für Luftfahrtkonstruktionen des Südostens), der Société Nationale des Constructions Aéronautiques de l‘Ouest (SNCAO, Nationale Gesellschaft für Luftfahrtkonstruktionen des Westens) und dem Unternehmen Chantiers Aéro-Maritimes de la Seine (CAMS/Aero-Maritimes-Konstruktionsbüro an der Seine), wurden mit der Société Nationale des Constructions Aéronautiques du Sud-Ouest (SNCASO/Nationale Gesellschaft für Luftfahrtkonstruktionen des Südwestens) zusammengelegt und von dieser betrieben. Südfrankreich, unter Vichy-Einfluss, agierte zu dieser Zeit als unabhängiger und unbesetzter Verbündeter Deutschlands, aber die Unabhängigkeit des Staates von Deutschland war keineswegs absolut. Die deutschen Aufseher erlaubten nur die weitere Entwicklung von Verkehrs- und Zivilflugzeugen in Südfrankreich.

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Entwicklung von Spezialflugzeugen

Roca und das SNCAC-Team wurden mit der Leitung der Abteilung für Spezialflugzeuge betraut, die ihre Entwürfe unter der Bezeichnung SO 3000-Serie entwickelte, wobei SO für Sud-Ouest (Südwesten) stand. Bei der SO 3020 handelte es sich um ein experimentelles Höhenforschungsflugzeug zur Beobachtung der Stratosphäre und der meteorologischen Bedingungen. Die Grundkonstruktion des Flugzeugs basierte auf einer vergrößerten Version des Vorkriegs-Sturzkampfbombers NC 160.

Der Rumpf des großen Flugzeugs bestand aus drei Teilen. Der vordere Rumpf beherbergte zwei 1400 PS (1030 kW) starke Hispano-Suiza 12Z-Motoren, die nebeneinander auf einem Rohrrahmen montiert waren. Jeder Motor trieb die Hälfte eines sechsblättrigen, koaxialen, gegenläufigen Propellers über ein von der SNCAC entwickeltes Kombinationsgetriebe mit der Bezeichnung NC T1 an. Der Hauptrumpf war um einen geschweißten Druckbehälter mit einer Länge von 5,20 m und einem Durchmesser von 1,70 m gebaut. Eine Ausbuchtung auf dem Druckbehälter bildete das Cockpit, das über den Rumpf hinausragte. Eine Wanne im unteren Teil des Druckbehälters enthielt zwei Beobachtungsstationen für die Beobachtung und Fotografie der Stratosphäre. Die untere Ausbuchtung befand sich im Rumpf des Flugzeugs; der Rumpf war jedoch um die Ausbuchtung herum verglast. Der Kabinendruckbehälter bot Platz für fünf Personen: den Piloten, einen Funker/Navigator, einen Mechaniker und zwei Wissenschaftler/Beobachter. Die Druckbeaufschlagung der Kabine wurde durch zwei von der SNCAC entwickelte NC 41 Verdrängerkompressoren erreicht, die direkt von den Triebwerken angetrieben wurden. Der Zugang zur Kabine erfolgte über eine Tür im hinteren Rumpf, die zu einer Luke auf der Rückseite des Druckbehälters führte. Während der vordere und mittlere Rumpfteil in Ganzmetallbauweise ausgeführt waren, bestand der hintere Rumpf aus einem Fichtenholzrahmen, der mit Sperrholz verkleidet war. Die Höhen- und Seitenleitwerke waren ebenfalls aus Holz, während die Seiten- und Höhenruder Metallrahmen hatten, die mit Stoff bespannt waren.

KL-Dokumentation

Gewaltige Abmessungen

Der dreiteilige Flügel der SO 3020 wurde in Gemischtbauweise hergestellt, wobei der Hauptholm an einem Spant befestigt war, der am Druckbehälter im Mittelrumpf montiert war. Die Struktur des Flügels bestand größtenteils aus Metall, aber für die vorderen und hinteren Holme der äußeren Flügelteile wurde Fichtenholz verwendet. Die Beplankung der Flügel war aus Aluminium. Die Querruder hatten Metallrahmen und waren mit Stoff bespannt. Im eingefahrenen Zustand war das Fahrwerk mit dem Hauptfahrwerk, das eine Spur von 5,71 Metern hatte, in der Tragfläche und dem Spornrad im Rumpf vollständig verschwunden. Im Flügel befanden sich auch die rund 7000 Liter fassenden Treibstofftanks. Die SO 3020 hatte eine Spannweite von 22,32 m, eine Länge von 17,90 m und eine Höhe von 5,83 m. Die geplante Reisegeschwindigkeit von 500 km/h sollte zwischen einer Flughöhe von 10 300 und der maximalen Flughöhe von 14 000 erreicht werden. Die Reichweite betrug 6710 km.

Der Dämon wird geboren

Die Arbeiten an der SO 3020 wurden Mitte 1941 aufgenommen, kamen aber aufgrund der Kriegslage nur langsam voran. Ein Holzmodell in Originalgröße wurde Ende 1942 fertiggestellt. Als Deutschland Anfang November 1942 in Vichy-Frankreich einmarschierte, verlangsamte sich die Entwicklung der SO 3020 weiter. Im März 1943 wurde den Flugzeugen der SNCASO die Buchstabenbezeichnung "B" zugewiesen, und die SO 3020 erhielt den Namen "Belphégor", nach dem Dämon, der im christlich-biblischen Kontext die Menschen verführt, indem er ihnen geniale Erfindungen vorschlägt, die sie reich machen werden. Der Bau der SO 3020 wurde während des gesamten Krieges fortgesetzt. Das Flugzeug, seine Konstrukteure und die anderen Abteilungen der SNCASO wurden Anfang 1944 nach Le Flayosquet in den Westen verlegt. Dieser Umzug war die Folge eines britischen Luftangriffs auf Cannes im November 1943 und wurde schließlich im Mai 1944 abgeschlossen. Nach der Landung der Alliierten und der Befreiung Frankreichs wurde jedoch zwischen November 1944 und Januar 1945 alles noch einmal zurück nach Cannes gebracht. Nach der Befreiung Frankreichs erlangten die verstaatlichten Flugzeughersteller ihre Unabhängigkeit wieder und die SNCAC löste sich von der SNCASO.

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Neuanfang nach der Befreiung

Die SO 3020 und alles andere, was mit der SNCAC zusammenhing, wurde nach Boulogne-Billancourt zurückverlegt. Anfang 1946 war die SO 3020 bis auf die Motoren fertiggestellt. Der Krieg hatte die Arbeiten am für den Einbau geplanten Hispano-Suiza 12Z verzögert, und es würde noch einige Zeit dauern, bis die Motoren verfügbar sein würden. Daher entschied man sich für einen einzigen 2950 PS (2170 kW) starken Daimler-Benz-Motor DB 610. Der DB 610 bestand aus zwei miteinander gekoppelten DB 605 und entsprach dem, was mit den beiden 12Z-Motoren und dem NC T1-Getriebe geplant war. Die Daimler-Benz-Motoren waren kurz nach dem Kriegsende für Frankreich und die SNCAC verfügbar. Mit dieser neuen Konfiguration wurde auch eine neue Bezeichnung gewählt. Fortan nannte man die "Belphégor" NC 3021. Zu dieser Zeit war sie für den experimentellen Einsatz zur Untersuchung der kosmischen Strahlung und ihrer Wechselwirkung mit der Atmosphäre vorgesehen.

Überführung zur Endmontage

Im März 1946 wurde die NC 3021 von Boulogne-Billancourt zum Flugplatz Toussus-le-Noble zur Endmontage überführt. Mit dem DB 610-Motor entfielen die gegenläufigen Propeller, und es wurde ein einziger Vierblatt-Propeller verwendet. Dieser VDM-Propeller hatte einen Durchmesser von 4,5 m und war vermutlich einst für die Heinkel He 177 geplant. Der DB 610 war auf einem Rohrrahmen an der Vorderseite des Flugzeugs montiert und um die Verlängerungswelle des Propellers war ein ringförmiger Kühler angebracht. Kanäle auf jeder Seite der Motorhaube leiteten die Luft zu den quer eingebauten Kompressoren am Ende des Motors. Die Luft für die Kabine und deren Druckbeaufschlagung wurde über einen Kanal unter dem Spinner zugeführt. Dieser versiegelte Kanal führte um die unteren Auspuffrohre herum, was zur Erwärmung der Luft beitrug. Die NC 3021 sollte eine geplante Landegeschwindigkeit von 140 km/h, eine anfängliche Steigrate von 10 m/s (1.968 fpm) und eine Dienstgipfelhöhe von 12 800 m erreichen. Im Vergleich zur SO 3020 hatte sich das Leergewicht der NC 3021 um 1760 kg auf 7830 kg erhöht und das Startgewicht um 1394 kg auf 10 406 kg verringert.

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Fertigstellung

Die NC 3021 wurde Ende Mai 1946 fertiggestellt und als F-WBBL registriert. Anfang Juni begannen die Rollversuche, und am 6. Juni 1946 absolvierte Joanny Burtin den Erstflug. Das Flugzeug litt unter Richtungsinstabilität, und bald wurde eine Rückenverkleidung vor dem Leitwerk angebracht, um die Seitenleitwerksfläche zu vergrößern. Die Erprobung wurde im Spätsommer 1946 unterbrochen, als das rechte Hauptfahrwerk kollabierte. Der Fahrwerkshersteller lieferte nur zögerlich ein neues Hauptfahrwerksbein, und die SNCAC nahm die Flugtests, so gut es ging, mit einem provisorisch reparierten und ausgefahrenen Hauptfahrwerk wieder auf. Probleme mit dem Motor und auftretende finanzielle Engpässe der SNCAC verlangsamten die Erprobung weiter. Als die SNCAC die NC 3021 am 12. Oktober 1948 an das Centre d‘Essais en Vol (CEV) in Brétigny-sur-Orge übergab, war die "Belphégor" nur für 45 Flüge mit insgesamt 40 Stunden Flugzeit in der Luft. Das CEV arbeitete weiter an der Maschine und investierte bis April 1949 rund 1500 Stunden. Doch sie flog insgesamt nur 2 Stunden und 45 Minuten. Das CEV hatte keine Interesse mehr an dem großen Testflugzeug. Zudem meldete die SNCAC und im Juli 1949 Insolvenz an. Die "Belphégor" stand noch bis Ende 1950 herum und wurde dann verschrottet.

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Technische Daten NC 3021 Belphégor

Hersteller: SNCAC
Verwendung: Höhenaufklärer
Besatzung: 3 (Pilot, 2 Beobachter)
Triebwerk: 1 × Daimler-Benz DB 610AW mit 2200 kW (2950 PS)
Spannweite: 23,55 m
Länge: 17,50 m
Höhe: 5,82 m
Flügelfläche: 49,8 m²
Leermasse: 7830 kg
Zuladung: 2500 kg
max. Startmasse: 10 405 kg
max. Geschwindigkeit: 560 km/h
Dienstgipfelhöhe: 13 000 m
Flugdauer: 4 Stunden
Bewaffnung: keine