Was ich auf der Airshow China 2024 in Zhuhai erlebte

Eine Luftfahrtmesse wie keine andere
Was ich auf der Airshow China 2024 in Zhuhai erlebte

Veröffentlicht am 23.11.2024

Über 100.000 Chinesen hier. Vielleicht auch noch mehr, keine Ahnung. Es ist Publikumstag auf der Airshow China, der letzte Messetag überhaupt. Familien mit kleinen Kindern, die sich ihren Weg bahnen, Schwärme von Studenten, Frauen, Männer, Omas, Opas – alle da. Alles dicht gedrängt. Und mittendrin wir, das versprengte Häufchen Westler, das unter all den fernöstlichen Gesichtern heraussticht, wie ein Pinguin am Nordpol. Alle Blicke auf uns, natürlich. Verstecken können wir uns schlecht. Aber das brauchen wir auch gar nicht. Denn da ist nichts Reserviertes in diesen Blicken, allenfalls Neugier. Keinerlei Argwohn oder gar Feindseligkeit. Ganz im Gegenteil!

Ein junges Mädchen mit schussbereitem Smartphone auf dem Selfie-Stick bestaunt lächelnd unsere großen Teleobjektive. Ein junger Mann reckt im Vorbeigehen den Daumen nach oben, auch er lacht uns an. Ein anderer trägt seinen Sohn auf den Schultern, damit der über die Köpfe der anderen Besucher hinweg in Richtung Flightline spähen kann, ob sich was tut. Zwei Studenten, sie kommen aus Chengdu, fragen derweil schüchtern nach einem gemeinsamen Foto mit uns. Nicht zum ersten Mal passiert uns das. Wir machen selbstverständlich gerne mit, jedes Mal. Warum auch nicht? Damit leisten wir in wenigen Momenten mehr für die Völkerverständigung als mancher Politiker in seiner ganzen Karriere. Woher wir kommen, wollen die Jungs von uns wissen. Wie es uns gefällt in China. Und ob wir zum ersten Mal hier wären. Was wir eigentlich von chinesischen Kampfjets halten. Und ob es für uns ein Problem sei, dass auch Flugzeuge aus Russland hier zu sehen sind. Wegen der Ukraine und so.

Eindrücke vom Veranstaltungsgelände der Airshow China 2024 in Zhuhai.
Patrick Zwerger

Flucht vor dem Regen

Wir beantworten alle Fragen geduldig, stellen selbst welche, lachen – und blicken dann kollektiv skeptisch in den dunkelgrauen Himmel über uns. Der Regen prasselt uns einmal mehr in die Gesichter. Er ist wieder stärker geworden. Regenschirme ploppen auf, links, rechts, vor und hinter uns. Bis wir außer bunten Schirmen um uns herum fast gar nichts mehr sehen. Aber halb so wild, geflogen wird bis auf Weiteres sowieso nicht. Gestern und vorgestern hatten wir noch Glück mit dem Wetter, heute sieht es schlecht aus. Die nassen Ausläufer des Taifuns, der über dem Meer sein Unwesen treibt, lassen das Flugprogramm, auf das so viele warten, an diesem Tag buchstäblich ins Wasser fallen.

Das ist einerseits natürlich schade, bietet auf der anderen Seite aber auch die Gelegenheit, ohne schlechtes Gewissen in den Hallen zu verschwinden und die Messestände abzuklappern. Dass auf die Idee gleichzeitig mit uns auch gefühlte drei Millionen andere Besucher kommen, macht dieses Unterfangen zwar nicht einfacher – aber eine große Auswahl an Alternativen haben wir eh nicht. Außerdem war es – für Ausländer wie Einheimische gleichermaßen – schwer genug, an Tickets für die Messe zu kommen, weil pro Tag im Vorfeld stets nur ein kleines Kartenkontingent zum Verkauf freigegeben worden war. Da sollte man sich vom Treiben im Innenteil der Airshow China möglichst schon ein Bild machen – auch wenn dieses Bild heute vor allem durch einen nicht enden wollenden Menschenstrom geprägt ist, der mit Wucht die Hallen flutet. Vielleicht bin ich das aber auch einfach nicht mehr gewöhnt, vergleichbaren Veranstaltungen in Europa habe ich in den vergangenen Jahren immer nur an Fachbesuchertagen beigewohnt.

Eindrücke vom Veranstaltungsgelände der Airshow China 2024 in Zhuhai.
Patrick Zwerger

Messerundgang im Menschenstrom

Trotz der schieren Flut an Menschen geht es zwischen den Ständen angenehm gesittet zu. Kein Hauen und Stechen, kein Geschubse, kein Gemecker. Immer wieder wuseln Kinder zwischen den Erwachsenen hindurch, der Veranstalter hat sie auf eine Art Schnitzeljagd geschickt. An ausgewählten Messeständen müssen sie sich melden und einen Anstecker einsacken – zum Abschluss wartet für die sorgsam gesammelten Pins eine Überraschung.

Wir wollen wissen, was für Überraschungen die Messestände für uns bereithalten und beginnen unseren Rundgang in der Halle 1, die komplett vom Konzern Avic vereinnahmt wird – der Aviation Industry Corporation of China. Avic zeigt dort die gesamte Bandbreite seines Portfolios im Modell, von Drohnen über Hubschrauber und Kampfjets bis zum Wasserbomber AG600M. Im Zentrum des Interesses steht beim Publikum das 1:2-Modell des neuen Stealth-Fighters J-35, daneben hat Avic die Zweisitzer-Version der größeren J-20 ausgestellt – ebenfalls im Maßstab 1:2.

Eindrücke vom Veranstaltungsgelände der Airshow China 2024 in Zhuhai.
Patrick Zwerger

Die Russen "fliegen" selber

Eine Halle weiter wartet die Motorensparte der chinesischen Luftfahrtindustrie mit ihren Produkten auf, auch hier sieht man das Repertoire allerdings nur im Modell. Modelle gibt es am Stand von Comac auch von den chinesischen Passagierjets C909, C919 und C929 – während man am Messestand des russischen Rüstungsexporteurs Rosoboronexport die Suchoi Su-57 im Simulator mit VR-Brille fliegen kann. Die Bezeichnung "man" ist an diesem Tag jedoch eng eingegrenzt, denn am Steuerknüppel sitzen heute nur die Russen selbst, der "Pöbel" steht staunend daneben und schaut zu. Den Anblick der adretten russischen Hostessen nehmen wir als Entschädigung aber gerne an – und ziehen weiter.

Es folgen ganze Hallen voller Drohnen für alle möglichen Zwecke, von miniklein bis riesengroß, außerdem Lenkwaffen und Flugabwehr, Zubehör – und zwischendrin auch eine Menge schon leergeräumter Stände. Letzter Messetag, wie schon erwähnt. Hersteller aus dem Westen sind ebenfalls vertreten, wenn auch eher spärlich. Wir erblicken Airbus, Embraer, Liebherr, Lufthansa Technik und MTU. Airbus konzentriert sich vor allem auf den neuen Großfrachter A350F, Embraer will den Chinesen seinen E2-Jet schmackhaft machen. Boeing dagegen sehen wir nirgends.

Eindrücke vom Veranstaltungsgelände der Airshow China 2024 in Zhuhai.
Patrick Zwerger

Zurück ins Freie

Durch die fernen Hallentore meinen wir zu erkennen, dass der Regen inzwischen wieder aufgehört hat. Also schieben wir uns durch die Massen ins Freie – und purzeln geradewegs auf eine kleine Empore, an deren Geländer sich schon diverse Chinesen mit Blick zur Flightline niedergelassen haben. Über die Lautsprecher dringt eine für uns unverständliche Botschaft an unsere Ohren, am Himmel wird es heller, es ist tatsächlich trocken. Zumindest von oben. Zu unseren Füßen machen zentimetertiefe Pfützen das Gehen dagegen zum Spießrutenlauf. Aber da die Schuhe eh schon längst durchnässt sind, waten wir irgendwann einfach mittendurch. Immerhin ist es hier draußen deutlich wärmer als in den herunterklimatisierten Hallen. Und als dann gegen 15 Uhr tatsächlich auch die Sonne durchs Gewölk blinzelt, entschließen wir uns kurzerhand, dieses unverhoffte Wetterglück zu nutzen und im Freien das Static Display abzulaufen.

Eindrücke vom Veranstaltungsgelände der Airshow China 2024 in Zhuhai.
Patrick Zwerger

Kinder dürfen das

Dort reiben wir uns abermals die Augen vor Verwunderung: Da lichten stolze chinesische Eltern doch glatt ihre Kinder vor den einzelnen Flugzeugen der chinesischen Luftwaffe ab – allerdings nicht brav hinter der Absperrung. Nein, für das bestmögliche Foto lupfen sie ihre Sprösslinge reihenweise über die Zäune, sodass diese sich direkt an den Objekten der Begierde aufstellen können. Und niemand greift ein, kein Sicherheitspersonal, keine Soldaten. Die Kinder dürfen das. Auch der Militärtransporter Xian Y-20 öffnet seinen Laderaum in diesen Tagen allein für Kinderaugen. Erwachsene – Chinesen wie Europäer – müssen draußen bleiben. Kinder unter sich im großen, grauen Flugzeug. So gewinnt man Nachwuchs.

Eindrücke vom Veranstaltungsgelände der Airshow China 2024 in Zhuhai.
Patrick Zwerger

Highlights im Static Display

Für uns in der statischen Ausstellung besonders spannend ist – neben dem gepflegten Uralt-Bomber H-6K – vor allem die Shenyang J-15T, der Träger-Kampfjet für den neuen chinesischen Flugzeugträger Fujian. Leider zeigt sie sich, wegen des feuchten Wetters tagsüber, mit abgedecktem Canopy, wenngleich immerhin mit hochgeklappten Tragflächen und ebenso gefaltetem Höhenleitwerk. Die Katapultstange am Bugfahrwerk sticht uns ins Auge, genau wie ein paar Meter weiter die ECM-Pods des EloKa-Flugzeugs J-16D der chinesischen Luftwaffe. Ein Luftraumüberwachungsflugzeug KJ-500A parkt ebenfalls in der Reihe, genau wie ein Y-9-Transporter sowie ein Seefernaufklärer KQ-200 der chinesischen Marine. Außerdem hat sich ein Y-5-Lizenzbau der unverwüstlichen Antonow An-2 in die Ausstellung gemischt, um den herum die Wasserlachen am Boden in besonders bunten Farben schillern.

Eindrücke vom Veranstaltungsgelände der Airshow China 2024 in Zhuhai.
Patrick Zwerger

Unsere letzten Meter

Was den zivilen Bereich anbelangt, ist das Angebot überschaubar. Gleich vier Exemplare des kleinen Zweistrahlers Comac C909 (vormals ARJ21) stehen am Westende des Geländes – eine in VIP-Ausführung, zwei mit Werkslackierung, eine vierte im Farbkleid der 2022 insolvent gegangenen Ghengis Khan Airlines. Überdies steht ein Prototyp des A320-Konkurrenten C919 auf der Rampe, auf dessen Flugvorführung wir in den vergangenen Tagen leider stets vergeblich gewartet haben.

Vergeblich warten unterdessen auch schon unsere Mitreisenden auf uns – am Ausgang auf dem Parkplatz, in unserem Minibus. Als wir per SMS aufs Smartphone freundlich auf diesen Umstand hingewiesen werden, sind wir aber sowieso schon so gut wie auf dem Rückweg und die Sonne ist auch wieder zurück in ihrem wolkigen Versteck. Ein letztes Mal lassen wir unsere Blicke über das sich nun schnell leerende Gelände schweifen, hauen im Souvenirshop, den wir kurz vorm Ausgang kreuzen, mit der Bezahl-App AliPay noch ein paar virtuelle Yuans für Patches und Modelle auf den Kopf – und kommen schließlich, immer noch mit tropfnassen Schuhen, kurz vor Sonnenuntergang am ausgemachten Treffpunkt an, wo der Bus unserer kleinen Reisegruppe schon abfahrbereit vor sich hin scheppert.

Auf ein Wiedersehen?!

Unterwegs zurück ins Hotel ziehen Fischfarmen, Hochhäuser, Brücken am Busfenster vorbei. Der Regen prasselt wieder an die Scheiben. Irgendwann fallen mir die Augen zu. Unser China-Abenteuer neigt sich seinem Ende. Morgen um diese Zeit werden wir schon am Flughafen auf die Heimreise warten."zài jiàn", Zhuhai! Auf Wiedersehen. Vielleicht schon in zwei Jahren, zur nächsten Airshow China?