In den 80er Jahren suchte die US Navy einen Nachfolger für die als fliegende Kommandostände verwendeten EC-130Q Hercules. Im Fall einer Krise oder eines Krieges sollten die Spezialflugzeuge aufsteigen und die Führung übernehmen – daher auch die Bezeichnung TACAMO: Take Charge and Move out. Die Wahl fiel am 29. April 1983 auf einen Vorschlag von Boeing – das Unternehmen hatte den einzigen Kandidaten ins Rennen geschickt.
Kilometerlange Antennen
Die Hauptaufgabe der E-6A lag in der Kommunikation mit den strategischen Trident- und Poseidon-U-Booten der US Navy. Damit die Signale auch zu den untergetauchten Gefährten durchdringen, verfügt die Mercury über zwei Antennen in Form von ausrollbaren Kabeln. Im Heck ist die kürzere VLF-Antenne (Very Low Frequency) mit einer Länge von rund 1500 Metern untergebracht. Die längere Ausführung mit 8500 Metern befindet sich an der Unterseite des hinteren Rumpfes. Weitere Sensoren und Antennen sind in Behältern an den Flügelspitzen untergebracht. Sämtliche Systeme sind gegen elektromagnetische Impulse wie bei einer nuklearen Explosion abgeschirmt.

Zwei Längstwellen-Schleppantennen lassen sich auf Längen von 1500 und 8500 Meter ausrollen.
Zivile 707 als Basis
Im Gegensatz zu vielen Sonderversionen des Stratotankers baut die E-6 nicht auf der KC-135 auf. Stattdessen kommt mit der 707-320B die zivile Zelle zur Anwendung, in Verbindung mit den effizienteren CFM56-Triebwerken. Anfangs war auch die 747SP im Gespräch, hatte sich aber bei nur marginal besseren Leistungen als doppelt so teuer erweisen. Insgesamt bestellte die Navy 16 neu zu bauende Einheiten. Mit dem Auftrag durchbrach die 707 die Marke von 1000 Flugzeugen.
Startschwierigkeiten
Der Prototyp mit der Seriennummer 62782 verließ am 18. Dezember 1986 erstmals die Halle und hob am 19. Februar 1987 zu seinem Jungfernflug ab. Mitte 1989 übernahm die Marine ihr erstes Exemplar, nachdem Strukturprobleme für eine Verzögerung gesorgt hatten. Bei den Flugversuchen brach nämlich ein großes Stück des Seitenleitwerks ab. Die anfängliche Einsatzbereitschaft erreichte das Muster schließlich im Oktober 1990. Zwei auf der Tinker AFB in Oklahoma beheimatete Staffeln betreiben den Jet: die VQ-3 "Ironmen" für den Pazifik-Raum und die VQ-4 "Shadows" im Atlantik-Gebiet.
Zweitrolle für die US Air Force
Auch die US Air Force zeigte Interesse an der E-6A, da ihre als fliegende Befehlsstände verwendeten EC-135 in die Jahre gekommen waren. Daher erhielt die Mercury eine entsprechende Zweitrolle und zusätzliche Ausrüstung, um den bodengestützten Interkontinental-Raketen der USAF den Startbefehl geben zu können. Nach der Installation des Airborne Launch Control Systems (ALCS) bekamen sie die Bezeichnung E-6B. Raytheon übergab das erste Exemplar im Dezember 1997. Bis 2003 war die komplette Flotte umgerüstet, bei einem damaligen Stückpreis von 141,7 Millionen Dollar. Die letzten in der sogenannten "Looking-Glass"-Rolle verwendeten EC-135C gingen am 25. September 1998 in Offut, Nebraska, außer Dienst. Bis dahin war immer mindestens ein solches Flugzeug in der Luft – egal zu welchem Zeitpunkt.
Zurück zu den Wurzeln
Im Jahr 2003 begann ein Upgrade der E-6B mit einem neuen Cockpit samt Multifunktions-Displays (entlehnt von der 737 Next Generation) und verbesserter Kommunikationsausrüstung. Der Erstflug erfolgte am 1. August 2003 in Wichita. Mit der Version E-6C war die Einführung weiterer Modifikationen geplant. Aber letztendlich fiel die Wahl auf ein neues Flugzeug: die E-130 Hercules auf der Basis der C-130J-30 von Lockheed Martin. Damit kehrt das TACAMO-Programm zu seinen Wurzeln zurück. Der Bau der ersten Turboprops hat bereits begonnen. Doch damit gehört die Mercury noch längst nicht zum alten Eisen, denn derzeit läuft bei Northrop Grumman ein Upgrade der Flotte auf den Block-II-Standard mit modernisierten Kommunikationssystemen. Im Juni 2023 übernahm die US Navy die erste Maschine, bis 2027 sollen alle E-6B umgerüstet sein.

Die E-6A entstand auf Basis der Boeing 707-320B.
Technische Daten E-6B
Besatzung: 22
Antrieb: vier CFM56-2A-2 mit je 97,9 kN Schub
Länge: 45,8 m
Höhe: 12,9 m
Spannweite: 45,2 m
Flügelfläche: 283,4 m²
Startmasse: 154400 kg
Reisegeschwindigkeit: 960 km/h
Reichweite: 12144 km
max. Einsatzdauer: 72 Stunden