Gute Dinge brauchen Zeit. Viel Zeit. Doch was bedeutet das schon, wenn das Ergebnis die Mühe wert ist? So ähnlich dachten wohl auch die Verantwortlichen der US Air Force, als sie beschlossen, eine in Nevada verunfallte und stark beschädigte F-22 Raptor wieder auf Vordermann bringen zu lassen. Der Stealth-Fighter mit der Hecknummer 07-146, der auf der Joint Base Elmendorf-Richardson in Alaska zu Hause ist, weilte im Frühjahr 2018 für eine Top Gun-Abschlussübung auf der Fallon Naval Air Station in Nevada. Der Routine-Aufenthalt nahm am 13. April 2018 ein verhängnisvolles Ende, als der Pilot der F-22 beim Startlauf mit zu wenig Fahrt abhob und sofort das Fahrwerk einfuhr, der Jet kurz darauf durchsackte, mit dem Bauch auf der Runway aufschlug – und fast zwei Kilometer über die Bahn schliff, bevor er zum Stehen kam.

Beschädigt und zerlegt
Während der Pilot im Anschluss unverletzt aus dem Cockpit kletterte, zeigte sich die Raptor durch das Missgeschick stark in Mitleidenschaft gezogen. Ob sie jemals wieder würde fliegen können, stand damals in den Sternen. Um die Chancen auf ein Comeback abschätzen zu können, wurde die F-22 an Ort und Stelle zerlegt, in eine C-5 Galaxy gepackt und zurück nach Alaska geflogen. Nach Angaben der USAF dauerte allein die Demontage etwa einen Monat. "Wir haben alles entfernt, was beschädigt war und alles, was von den Abmessungen her nicht [in den Frachtraum der Galaxy] passte", erinnerte sich Staff Sergeant Ethan Rentz von der 3rd Aircraft Maintenance Unit F-22, die auf der Joint-Base Elmendorf-Richardson mit dem Fall betraut war. So habe man Flügel und Seitenleitwerke sowie die Rumpfbeplankung entfernen müssen.

Nackt bis aufs Skelett
Eine eingehende Analyse des Wracks sollte anschließend darüber Aufschluss geben, ob sich eine Reparatur überhaupt lohnen würde. "In den Simulationen hat alles geklappt, also wurde das Flugzeug im Januar 2020 in unseren Hangar gebracht und auf Ständer gestellt", erzählt Technical Sergeant Kevin Fitch, der zusammen mit seinem Kameraden Rentz das Projekt verantwortete. In der Folgezeit entblößten die Techniker im Hangar den teuren Kampfjet bis auf sein Skelett, tauschten kaputte Teile aus – und ersetzten nach USAF-Angaben fast den gesamten Boden des Flugzeugs, Teile der Rumpfstruktur sowie gut 40 Kabelbäume.

Zweiter Erstflug am 4. Mai
Die Beschaffung der Ersatzteile sei allgemein die größte Herausforderung gewesen, machte Tech. Sergeant Fitch in einem Statement Ende 2021 klar. Die F-22 wird schließlich seit 2011 nicht mehr gebaut, die Versorgung mit Komponenten gestaltet sich entsprechend schwierig. Doch das Schicksal eilte dem Team aus Alaska zu Hilfe: Im März 2022 wurde eine weitere F-22 auf der Eglin Air Force Base in Florida beschädigt, weil beim Landen das Bugfahrwerk versagte. Zwar soll auch dieses Flugzeug perspektivisch wieder aufgebaut werden, musste laut Air Force zunächst jedoch für die Elmendorf-Raptor als Teilespender herhalten. Diverse Klappen, der Schleudersitz und weitere Komponenten wanderten an die 07-146. Mit Erfolg: Im Frühjahr 2023 war die Raptor nach insgesamt fünf Jahren endlich wieder vollständig und absolvierte erste Tests am Boden – gekrönt von ihrem zweiten Jungfernflug am 4. Mai, bei dem USAF-Testpilot Phlip Johnson am Steuer saß.
Künftig schwingt sich der regenerierte Stealth-Kampfjet wieder aktiv für die US Air Force in die Lüfte – als integraler und voll funktionsfähiger Bestandteil der 90th Fighter Squadron auf der Joint Base Elmendorf-Richardson.