Russlands Luftwaffe fehlen Transportflugzeuge: Frachter sind Mangelware

Eklatanter Frachter-Mangel
Russlands Luftwaffe fehlen die Transportflugzeuge

ArtikeldatumVeröffentlicht am 21.12.2025
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Russlands Luftwaffe fehlen die Transportflugzeuge
Foto: Russische Luftwaffe

Spätestens mit dem Absturz der mutmaßlich letzten flugfähigen Antonow An-22 Antei am 9. Dezember in der Oblast Iwanowo, bei dem alle sieben Besatzungsmitglieder starben, müssen sich die Verantwortlichen in Russland einer unangenehmen Frage stellen: Wie soll die russische Luftwaffe die ihr übertragenen Transportaufgaben lösen, wenn ihr dafür offenbar so wenig Flugzeuge zur Verfügung stehen, dass sie sogar totgeglaubte Fracht-Fossilien wie die An-22 auf Biegen und Brechen am Leben halten muss?

"Wo bleiben die neuen russischen Flugzeuge für die militärische Transportluftfahrt?", fragt sich nicht nur die russische Webseite Topwar, deren Autoren bekannt dafür sind, mit Kritik in Richtung der zuständigen Stellen nicht zu sparen. Auch andere Kommentatoren blasen ins gleiche Horn – zumal die Problematik nicht allein auf den Militärsektor beschränkt ist. Erst Ende November beklagten Vertreter ziviler russischer Frachtfluggesellschaften bei einem Runden Tisch der Öffentlichen Kammer Russlands, ihrer Branche drohe in wenigen Jahren der Zusammenbruch. Überalterte Flugzeuge, Teilemangel, Wartungsschwierigkeiten und Konkurrenzdruck durch ausländische Mitbewerber seien die Gründe dafür.

Frachtsektor vor dem Zusammenbruch?

Die Vertreter der Cargo-Airlines forderten als staatliche Notfallmaßnahmen unter anderem eine Heraufsetzung der maximalen Nutzungsdauer benötigter Flugzeugmuster – im Falle des Großraumtransporters Iljuschin Il-76 beispielsweise von 40 auf 45 Jahre. Auch die Maximallaufzeiten der Triebwerke sollen entsprechend erhöht werden. Für die kleinere Antonow An-26 wurde Ähnliches bereits beschlossen: Die zweimotorigen Turboprops, die auch bei der Luftwaffe wichtige Aufgaben übernehmen, dürfen nun formell bis zu einem Alter von 60 Jahren betrieben werden – anstatt der vom Konstruktionsbüro Antonow als verantwortlichem Hersteller einst veranschlagten 50 Jahre. "Das Ergebnis der soll eine Erhöhung der Lebensdauer des Flugzeugs bis zur nächsten Generalüberholung von 20.000 auf 26.000 Flugstunden sein", schrieb die Nachrichtenagentur Interfax dazu im März 2025.

Antonow-Muster als Problem für Russland

Tatsächlich sind viele gegenwärtige Probleme der russischen Transportfliegerei – zivil wie militärisch – mit dem Namen Antonow verbunden. Dies aus dem ganz einfachen Grund, dass Antonow einst in der Sowjetunion für fast alle bis zur Serienreife entwickelten Transportflugzeugmuster verantwortlich zeichnete, durch seinen Hauptsitz in Kiew nach dem Zusammenbruch der UdSSR jedoch als ukrainischer Flugzeughersteller firmierte – und mit dem Bruch zwischen Russland und der Ukraine ab 2014 plötzlich für die Russen nicht mehr als Partner infrage kam.

Für Muster wie An-26, An-12, An-72 oder An-124 hatte man sich in Russland zuvor stets auf Unterstützung aus Kiew verlassen. Mit der An-178 hatten Russland und die Ukraine ab 2010 sogar gemeinsam ein neues, modernes Transportflugzeug mit 15 Tonnen Nutzlast entwickelt, und mit der An-70 eins für bis zu 47 Tonnen. Mit dem Maidan-Umsturz in Kiew und den daraufhin ausbrechenden Feindseligkeiten zwischen Russland und der Ukraine waren die binationalen Projekte gestorben. Technischen Support gab es für die in Russland registrierten Antonow-Flugzeuge fortan auch nur noch sporadisch, spätestens nach Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 überhaupt nicht mehr.

Ein weiteres Problem, das ab 2014 schnell virulent wurde: In der Ukraine saß auch das Gros der für die entsprechenden Flugzeugtypen zuständigen Triebwerksfirmen – namentlich Iwtschenko Progress, bzw. Motor Sitsch in Saporischschja. Und für die galt das Gleiche: Russland war ab 2014 mehr oder weniger vom Supportnetz abgekoppelt.

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Nur die Il-76 wird aktuell neu gebaut

Ein gutes Jahrzehnt später – und mitten im heißen Krieg gegen die einstige Brudernation – hat sich an der Problemlage für Russlands Transportflieger substanziell nur wenig geändert. In vielerlei Hinsicht ist die Situation sogar prekärer geworden. Denn mit Ausnahme der Iljuschin Il-76, die in der neuen Version Il-76MD-90A bei Aviastar-SP in Uljanowsk gebaut wird, befindet sich kein einziges neues Frachtflugzeugmuster russischer Herkunft im Serienbau. Und selbst von der Il-76 entstehen pro Jahr lediglich einstellige Stückzahlen – nach wie vor, trotz staatlicher Investitionen in Fabrikausbau und -modernisierung.

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Pleiten, Pech und Pannen

Sämtliche andere Transportflugzeugprojekte, die Russlands Luftfahrtindustrie in den vergangenen Jahren anging, scheiterten kläglich, blieben schon im Ansatz stecken oder liegen wegen mannigfaltiger Schwierigkeiten auf Eis. Die als Ersatz für die An-26 eingeplante Il-112W stürzte ab, wurde im Anschluss als Fehlkonstruktion beerdigt. Von der angedachten, zum Strahlflugzeug umkonzipierten Weiterentwicklung Il-212 hat man ebenfalls schon lange nichts mehr gehört. Sollte sie jemals abheben, wird es Jahre dauern, bis sie serienreif ist.

Ein Pendant zur russisch-ukrainischen An-178 gibt es in Russland nicht, und auch eine eigene Neuauflage der riesigen An-124 oder eines völlig neu konstruierten Nachfolgemusters dieser Größenordnung haben die Russen bislang nicht realisiert. Stattdessen flog die Luftwaffe, entgegen der Ankündigung von Transportflieger-Chef Wladimir Benediktow, die An-22 bis Ende 2024 endgültig stillzulegen, augenscheinlich auch 2025 noch mit der alten, wartungsintensiven und technisch anfälligen Antei, für die die Teileversorgung ebenfalls fragwürdig ist. Zwar ist noch nicht klar, ob der Absturz in Iwanowo technische Ursachen hat – eine Überraschung wäre es allerdings nicht.

(Kein) Ersatz für die An-124 Ruslan

Als Nachfolgerin der An-22 entwickelte Antonow einst die noch größere An-124 Ruslan. Die russische Luftwaffe ist der mit Abstand größte Betreiber dieses Großraumfrachters – kann aber einen großen Teil der Flotte nicht nutzen, weil es nicht genügend funktionsfähige Triebwerke gibt. Denn das verwendete Iwtschenko D-18T kommt, natürlich, aus der Ukraine. Ein von der Leistung passendes Gegenstück aus eigener Produktion besitzt Russland nicht. Zwar arbeitet man inzwischen auf Hochtouren an einem Ersatzprodukt – doch das kann, selbst nach offiziellen Angaben – frühestens 2027 in Serie gehen. Solange müssen die russischen An-124-Betreiber – neben der Luftwaffe auch die zivile Volga-Dnepr-Airlines – mit ihrem Vorrat an Motoren und Ersatzteilen haushalten, so gut es eben geht.

Vielleicht liegt auch in diesem Umstand die Antwort auf die Frage, warum die russischen Luftstreitkräfte offenbar immer noch auf die An-22 setz(t)en. Denn die Antei wurde einst für ähnliche strategische Transportaufgaben entwickelt wie die Ruslan, besitzt einen deutlich größeren Frachtraum als die Il-76, kann mehr Nutzlast aufnehmen und ist im Betrieb dank ihrer Turboprop-Motoren obendrein günstiger als die An-124.

Warum die alte An-22 eine Alternative war

Zudem ist die An-22 ausnahmsweise nicht mit ukrainischen Motoren ausgestattet – sondern mit in Russland hergestellten Kusnezow NK-12, demselben Triebwerkstyp, der – wenngleich in einer maßgeschneiderten Variante, auch die Tupolew Tu-95 Bear der strategischen Bomberflotte Russlands antreibt. Zwar fliegt die Tu-95 mit anderen, kleineren AV-60-Propellern, die im Durchmesser "nur" 5,6 Meter groß sind. Die AV-90-Propeller der An-22 besitzen einen Durchmesser von 6,2 Metern. Beide Modelle stammen jedoch von Aerosila aus dem russischen Stupino. Ob die zuletzt noch in Russland aktiven An-22 im Zuge von Modernisierungsarbeiten gar in Iwanowo auf das Tu-95-Setup umgerüstet wurden, wie von einigen Beobachtern in Russland angenommen, ist unklar. Zumindest hinsichtlich der Triebwerkstechnik kam die Antei jedenfalls ohne Support aus der Ukraine aus.

Russisches Verteidigungsministerium (Konstantin Emchenko)

Bedarf deutlich größer als Angebot

Nun ist die An-22 aber mit dem Absturz am 9. Dezember aller Wahrscheinlichkeit nach Geschichte – und der Transportermangel der russischen Luftwaffe im Bewusstsein der Öffentlichkeit so präsent wie selten. Als einziges halbwegs funktionierendes Flugzeugprogramm für diese Zwecke fertigt Russlands Industrie derzeit die Il-76MD-90A. Doch wird der anhaltend geringe Ausstoß – 2025 lieferte Aviastar ganze sieben neue Maschinen an die Luftwaffe – dem Bedarf an Kapazitäten keineswegs gerecht.

Die An-124 (und auch die An-22) kann die Il-76 aufgrund ihrer geringeren Größe ohnehin nicht ersetzen. Die Flexibilität kleinerer Muster wie An-26 oder An-72 erreicht sie ebenfalls nicht, hier bräuchte es genauso einen maßgeschneiderten Ersatz wie im XXL-Bereich. Da es diesen jedoch nicht gibt, werden sich die Russen vorerst weiter an alten Flugzeugen aus der Ära der Sowjetunion festklammern müssen. Mit allen damit verbundenen Problemen, Hürden und Risiken.