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Wie mich meine Begeisterung für die MiG-21 fast ins Gefängnis brachte

Thriller in Rumänien
Wie mich die Begeisterung für die MiG-21 fast ins Gefängnis brachte

Holger Müller kennt die MiG-21 wie kaum ein Zweiter. Einen Großteil seines Lebens befasste er sich mit der Sowjet-Fighter, schrieb ein Buch, reiste um die halbe Welt – oft auch nach Rumänien. Dort wollte er die letzten Tage der rumänischen MiG-21 miterleben. Und wäre beinahe im Knast gelandet. Hier sein Bericht.

Wie mich die Begeisterung für die MiG-21 fast ins Gefängnis brachte
Foto: Holger Müller - www.mig-21.de

Meine Beziehung zu den rumänischen Luftstreitkräften und ihren MiG-21 war immer eine besondere gewesen. Häufiger als in jedes andere MiG-21-Nutzerland bin ich nach Rumänien gereist – insgesamt 23 Mal. Bei diesen Reisen habe ich gute Freunde und herzliche Gastgeber gefunden. Dass diese lange Beziehung so überhaupt nicht herzlich enden würde, ahnte ich daher nicht.

Holger Müller hat in seinem Leben rund 20 MiG-21-Nutzerstaaten bereist. Sein Buch, erschienen beim Motorbuch Verlag, fußt weitestgehend auf Vor-Ort-Recherchen und eigenen Bildern. Auch aus Rumänien...

Vorgezogener Abschiedsbesuch

Aber der Reihe nach: Am Montag, dem 13. März, hatte ich einen geschäftlichen Termin in Ungarn und da ich davon ausging, dass die MiG-21 in Câmpia Turzii in dieser Woche fliegen würden, entschloss ich mich am Folgetag zu einem Ausflug nach Rumänien. Am späten Montagabend komme ich also nach störungsfreier Fahrt in meinem Hotel in Turda an und nach einer Nacht mit nur wenig Schlaf fahre ich am nächsten Morgen auf die Ostseite der Basis. Mein Auto stelle ich mitten im Ort Călărași-Gară ab, lade mein Klappfahrrad aus und fahre dann zunächst zu beiden Enden des Platzes, um nach einer Fotoposition Ausschau zu halten.

Unsere Highlights

Um 13 Uhr sollte der Flugdienst starten, aber bereits gegen 12.30 Uhr donnert ein Nachbrenner und ganz offensichtlich startet eine Maschine Richtung Norden. Also schnappe ich mein Fahrrad und fahre über einen Feldweg auf eine Wiese am südlichen Ende des Platzes und setze mich an einen kleinen Hügel. Dann beginnt das Warten auf die MiG-21.

Holger Müller - www.mig-21.de
Die rumänische Regierung beschloss 2022, die MiG-21 zum 15. Mai 2023 auszumustern - unwiderruflich.

Im Visier der Polizei

Kurze Zeit später fährt ein Dacia der Militärpolizei rund um die Bahn in Richtung des Tors auf der Westseite und ein paar Minuten später sehe ich ihn über den Feldweg auf mich zukommen. Da sein "Besuch" offensichtlich mir gilt, gehe ich ihm entgegen. Unmittelbar nach dem Auto der Militärpolizei folgt noch ein ziviler Dacia. Aus dem ersten Auto steigen ein Uniformierter und ein Zivilist, aus dem zweiten zwei Zivilisten. An die genaue Diskussion, die dann folgt, kann ich mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls erkläre ich, dass ich hier Flugzeuge fotografiere, natürlich nur in der Luft und nicht die Basis. Gleichzeitig beginnen zwei der Typen in Zivil, meinen vorherigen Standplatz abzusuchen und fragen mich, ob ich Begleiter hätte, was ich wahrheitsgemäß verneine. Irgendwann wollen sie auch meine Ausrüstung sehen und ich zeige ihnen meine Bilder. Sie erklären, dass sie mich an die Polizei übergeben werden, die mich dann zur weiteren Untersuchung nach Turda bringen soll.

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In der Zwischenzeit ist die Sonne herausgekommen. Die vorhin nach Norden gestartete MiG-21 landet Richtung Süden, so dass ich sie gar nicht in der Luft sehe, aber dann starten ein Doppel- und zwei Einsitzer Richtung Süden und ich kann wenigstens zuschauen. Wir gehen gemeinsam zu meinem Auto. Ich schiebe mein Fahrrad, links und rechts begleitet von Polizei, gefolgt von inzwischen vier Polizeifahrzeugen und unter den neugierigen Blicken der Anwohner.

Holger Müller - www.mig-21.de
Bei ihren Piloten und Technikern war die MiG-21 in Rumänien bis zuletzt sehr beliebt.

Alles beschlagnahmt

Im Wagen habe ich zwei meiner Bücher, die ich den Bewachern zeige, was deren Sichtweise nicht verändert. Dann fahre ich mit zwei Polizisten an Bord, je einem Polizeiauto vor und hinter mir sowie mindestens einem der anderen Autos im Schlepptau nach Turda. Mein Auto muss ich auf dem Hof der Polizeistation parken und werde dann ins Gebäude geführt. Meine Fotoausrüstung habe ich dabei. Der Weg führt vorbei an den Arrestzellen im Keller, die nicht sehr einladend aussehen. Auf dem Flur vor einigen Büro soll ich zunächst Platz nehmen. Nach einigem Palaver werde ich angewiesen, meine Taschen zu leeren. Alles, was ich bei mir habe, wird protokolliert und fotografiert: jeder Geldschein, jede Karte, selbst die Bäcker-Rabattmarken im Portemonnaie und die Brillenputztücher in der Hosentasche. Ungefähr zwei Stunden dauert das Ganze. Ich kalkuliere für mich, dass es ja noch klappen könnte, eine oder zwei Maschinen im letzten Abendlicht aufzunehmen. Was für ein Irrglaube…

Zu den beschlagnahmten Gegenständen gehört auch mein Handy, bei dem sogar die SIM-Karte herausgeholt und einzeln fotografiert und dokumentiert wird. Benachrichtigen kann ich also niemanden mehr.

Nachdem alles dokumentiert ist, wird es in Kuverts, Beutel und Säcke gepackt, mit Etiketten versehen und versiegelt. Dann erklärt man mir, "besser zu diesem Zweck (welcher das sein sollte, war unklar) ausgebildete Beamte aus Cluj" würden die Sache übernehmen. Nach einiger Zeit erscheinen zwei Zivilisten, einer davon sichtbar bewaffnet. Da ihre Herkunft unklar ist, fordere ich, dass sie sich ausweisen. Der eine ist laut Ausweis Mitglied einer Spezialeinheit gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus, der zweite Kollege ein Forensiker. Der beginnt sofort, die eben versiegelten Pakete wieder zu öffnen und zu durchsuchen. Da wird mir klar, dass das Ganze so schnell nicht zu Ende gehen wird. Ich verlange, meine Familie und/oder die Botschaft anrufen zu dürfen. Die Antwort lautet: wenn die Untersuchung abgeschlossen sei und der Staatsanwalt zugestimmt habe.

Durchsuchung im Hotel

Die Zeit vergeht, mittlerweile ist es dunkel. Auf meine Frage, wie es weitergehe, heißt die Antwort: Wir warten auf den Durchsuchungsbeschluss für mein Hotelzimmer. Der kommt gegen 20 Uhr. Als wir das Gebäude Richtung Auto verlassen, verlange ich nochmals einen Anruf nach Hause und weigere mich, das Gebäude vorher zu verlassen. Man droht mir eine gewaltsame Verfrachtung ins Auto an, verspricht mir aber gleichzeitig, dass ich nach Eintreffen meines Anwalts (vom Staat gestellt!) und eines Dolmetschers im Hotel telefonieren könnte.

Im Hotel erschreckt die geballte Polizeipräsenz das Rezeptionspersonal, das dann gleich aufgefordert wird, als Zeuge bei der Durchsuchung anwesend zu sein. So hocken dann in meinem Hotelzimmer zunächst vier Polizisten und ich, während Hotelpersonal und weitere Polizisten auf dem Flur verharren, bis dann nach einer weiteren Stunde endlich Dolmetscher und Verteidiger eintreffen. Beide machen sich zunächst mit den Dokumenten vertraut. Auf meine erneute Frage nach einem Telefonat nach Hause wird mir mitgeteilt, dass man mir diese in Fällen von "Verstößen gegen die nationale Sicherheit" (auch fällt wohl hier zum ersten Mal das Wort "Spionage") verweigern könnte und man das hier tun würde. Laut Anwalt ist das korrekt. Langsam beginne ich, "am Rad zu drehen". Ich weiß, dass meine Frau sich Sorgen machen wird (sie hat seit dem Morgen nichts von mir gehört). Dass mein Handy aus ist, trägt ganz gewiss nicht zu ihrer Beruhigung bei.

Dann beginnt die Durchsuchung des Zimmers. Mein Notebook (das ich ja nicht mit am Flugplatz hatte und das demzufolge nichts Verbotenes enthalten kann) wird genauso beschlagnahmt wie mein Backup-Laufwerk. Auf beiden befinden sich sowohl Daten meiner Arbeit als auch meine gesammelten Bilder! Nach jeder Untersuchung, egal ob persönliche Gegenstände, Zimmer, dann Auto und technische Geräte, wird minutiös ein Protokoll angefertigt, das ich unterschreiben soll – was ich jedes Mal verweigere, weil ich den rumänischen Wortlaut nicht lesen kann.

Holger Müller - www.mig-21.de
In der Vergangenheit bereiste Holger Müller Rumänien so oft wie kein anderes Land. Immer waren die Begegnungen herzlich gewesen. 2023 war es anders.

Wie geht es weiter?

Irgendwann ist die Untersuchung vorbei und ich werde aufgefordert, mein Gepäck zusammenzupacken, da ich nicht wieder hierherkäme. Da ist mir dann schon ziemlich mulmig.

Es geht zurück zur Polizeistation und dort wird mein Auto durchsucht – wesentlich weniger genau als das Hotelzimmer. Eingezogen werden nur die SD-Karten von Navi und Radio. Es ist jetzt 22 Uhr oder später. Mir ist kalt, ich zittere und ich will nur noch weg. Mein Gepäck soll ich im Auto lassen. Mitgenommen werden nur die verpackten und gekennzeichneten "Beweismittel".

Mit dem Auto der Polizisten aus Cluj, das mich zuvor schon zum Hotel gebracht hatte (den wesentlichen Teil der Fahrt mit Blaulicht und Sirene), geht es jetzt nach Cluj – zum Direktorat für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des Terrorismus!

In einem engen Flur sitzt der Wachhabende, wir sitzen auf den Stühlen daneben. Der Fernseher läuft und es wird über den "Abschuss" einer amerikanischen Drohne durch russische Su-27 berichtet. Ein Zusammenhang mit dem, was mit mir geschieht, kommt mir nicht in den Sinn. Wahrscheinlich bin ich nach zwölf Stunden in den Händen dieser Leute einfach zu fertig. Die mich begleitenden Polizisten und auch die zwei Zivilisten ganz vom Anfang, die sich nie vorgestellt haben, verschwinden in einem Zimmer und kommen erst nach einiger Zeit wieder heraus. Ich höre, dass der Staatsanwalt meine Festsetzung für weitere acht Stunden angeordnet hätte. Dolmetscher und Anwalt erklären mir, dass er mich in Kürze befragen wolle. Ich solle nur auf Fragen antworten, wenn mich das nicht belaste, gleichzeitig aber selbst alles hinterfragen. Dazu hätte ich das Recht.

Holger Müller - www.mig-21.de
Rumäniens MiG-21 wurden bei Aerostar in Bacău mit israelischer Hilfe zur Top-Version LanceR hochgerüstet.

Spionage!

Es ist kurz nach 1 Uhr, als wir – Dolmetscher, Anwalt und ich – in das Büro das Staatsanwalts geführt werden. Wie alle rumänischen Büros, die ich an diesem Tag gesehen habe, ist es hässlich, unpersönlich, kahl. Der Staatsanwalt ist Mitte, Ende 30, ungepflegt mit bekleckertem Pullover und wirkt nicht sehr souverän – keine gute Ausgangssituation. Er trägt mir die Vorwürfe vor – Spionage! Ich weise das vehement von mir, erkläre in aller Deutlichkeit mein Hobby, verweise auf Buch, Zeitschriftenbeiträge und Website. Außerdem betone ich immer wieder, dass ich nie die Basis fotografiert habe, weil ich ja um deren Sensitivität wisse.

Danach beginnt ein Frage- und Antwortspiel, das rund zwei Stunden dauert. Der Staatsanwalt stellt eine Frage auf Rumänisch, der Dolmetscher übersetzt ins Englische, ich antworte, der Dolmetscher übersetzt ins Rumänische und der Staatsanwalt tippt mit maximal vier Fingern. Dankenswerterweise achtet der Dolmetscher darauf, dass mein Wortlaut exakt wiedergegeben wird und kann sich auch längere Passagen gut merken.

Auf seiner Webseite www.mig-21.de beschäftigt sich Holger Müller mit allen Aspekten der MiG-21. Auch seine Reisen sind dort dokumentiert.

Fragen über Fragen

Zunächst soll ich meinen Werdegang kurz darstellen – Berufsausbildung, Wehrdienst, Studium, Arbeit, Hobby. Von den darauf folgenden Fragen fallen mir nur noch einige ein:

Warum ich mit dem Fahrrad und nicht mit dem Auto an die Basis herangefahren sei? Weil ich bei den Feldwegen ich Angst um mein relativ neues Auto habe.

Warum ich ein Fahrrad dabei habe? Habe ich immer dabei auf Reisen, extra deshalb ist ein Klappfahrrad.

Warum ich mich auf der Wiese versteckt hätte? Habe ich nicht. Ich habe mich einfach hingesetzt, um nicht stundenlang beim Warten auf die Flugzeuge stehen zu müssen.

Ob ich Militärdienst geleistet hätte? Ja in der DDR, als Flugzeugtechniker, weswegen ich ja dieses Hobby habe.

Ob ich für Geheimdienste gearbeitet hätte oder noch arbeiten würde? Nein.

Wie ich zu EU und NATO stehe? Irrelevant.

Wie ich zu Ukraine und Russland stehe? Irrelevant. In beiden Ländern war ich schon, in Russland vor 20 Jahren.

Ob ich Russisch spreche? Nicht wirklich.

Wo ich überall in der Welt in Sachen Luftfahrt schon gewesen sei? Die europäischen und asiatischen Länder habe ich aufgezählt und nicht vergessen zu erwähnen, dass die chinesischen Einreisestempel in meinem Pass, die die Ermittler so interessiert betrachtet hatten, von einer ganz öffentlichen und online dokumentierten Reise nach Nordkorea stammen.

Wie ich diese Reisen finanziere? Damit, dass ich gut verdiene (ich muss auch eine Zahl nennen).

Ob mich jemand für Informationen bezahle oder mir Anweisungen gegeben hätte, was ich mir anschauen solle? Das, was ich mir anschaue, interessiert keinen mehr und niemand würde dafür Geld ausgeben, außer vielleicht die 30 Euro für mein Buch.

Warum ich denn wieder nach Rumänien gekommen wäre, obwohl meine letzte Besuchsanfrage abgelehnt wurde? Diese wurde nicht abgelehnt, es wurde mir lediglich mitgeteilt, dass ich zu gegebener Zeit zum MiG-21-Abschied eingeladen würde. Da die MiG-21 nur noch zwei Monate fliegen und ich gerade in der Nähe – nämlich in Ungarn – war, habe ich die Gelegenheit genutzt.

Wen ich in den rumänischen Luftstreitkräften kennen würde? Ich zähle einige der hochrangigen Kontakte auf und erwähne nur summarisch den Kontakt mit Dutzenden Piloten, Technikern, Presseoffizieren.

Ich protestiere nochmals dagegen, dass ich weder zu Hause noch bei der Botschaft anrufen durfte. Zu gegebener Zeit dürfte ich das. Wann das sei? Nach Abschluss der Untersuchung.

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Der nächste Morgen

Gegen 3:30 Uhr ist die Befragung zu Ende. Ich habe seit etwa 20 Stunden nicht geschlafen, nichts gegessen (ich hatte keinen Hunger, auch wenn mir zwischenzeitlich etwas angeboten wurde) und nur wenig getrunken. Jetzt werden meine technischen Geräte und Speichermedien untersucht. Dolmetscher, Anwalt und ich begeben uns in den Keller, wo eine Anzahl von Schreibtischen mit Rechnern, Server und großer Speicher stehen. Ein jüngerer Zivilist beginnt, meine Geräte aus den Tüten zu holen und zu untersuchen. Dolmetscher und Anwalt schauen ihm über die Schulter. Ein bewaffneter Zivilpolizist schläft an einem anderen Schreibtisch. Ich kann nicht mehr, kann auch nichts beitragen und tue es ihm nach.

Etwa um 7.30 Uhr wache ich wieder auf. Der Techniker ist noch nicht fertig. Das Notebook (und damit das kritischste Gerät) steht noch aus. Da sich niemand um mich kümmert, gelingt mir endlich unter Nutzung des Handys meines Anwalts, meine Frau zu kontaktieren: "Es geht mir gut. Melde mich später." Meine Frau, vor Sorge ganz krank, schreibt zurück: "Bin so froh, wollte schon zur Polizei". Antwort: "Da bin ich, leider bei der rumänischen".

Dann ist auch die Untersuchung der Geräte beendet. Dolmetscher und Anwalt berichten mir, dass im Bericht "nichts gefunden" steht. Und dann gleich die nächste Hiobsbotschaft. Die Geräte sind nicht freigegeben, werden wieder verpackt und umständlich (wie immer und immer wieder in den letzten Stunden) per Hand beschriftet und versiegelt. Der Staatsanwalt aus der Nacht sei nicht mehr im Hause, seine jetzt zuständige Kollegin noch nicht da und die müsse die Geräte freigeben. Wann sie kommt? Weiß keiner.

Endlich wieder frei!

Wir gehen vor die Tür. Draußen ist es kalt und ich zittere. Trotzdem schön, nicht mehr "eingesperrt" und streng überwacht zu sein. Pass, Ausweis und Autoschlüssel hatte ich in der Nacht schon zurückerhalten, zusammen mit meinem rumänischen Geld. Portemonnaie, Kreditkarten, Handy sind aber noch in den Händen der Behörden. Ich nutze die Gelegenheit, die deutsche Botschaft in Bukarest anzurufen. Während ich telefoniere, kommt die Nachricht: die Geräte sind freigegeben. Zurück im Keller werden die versiegelten Pakete aufgerissen, ich muss den Erhalt und Vollständigkeit (die mir weitgehend egal ist, nachdem ich die wichtigsten Dinge erhalten habe) bestätigen.

Ich tausche mit Dolmetscher und Anwalt die Kontaktdaten. Letzterer, Sohn eines früheren Luftwaffen- und heutigen Zivilpiloten, erhält als Dankeschön für seinen nächtlichen Beistand ein Exemplar meines Buchs. Dem Dolmetscher verspreche ich, ihm eines von zu Hause zu schicken. Beide gehen zu ihren nächsten Fällen, obwohl sie in der Nacht noch weniger geschlafen haben als ich. Ich verabschiede mich und danke ihnen herzlich.

Nichts wie weg

In Turda angekommen, werfe ich den Rucksack mit Notebook und Kameras in den Beifahrerfußraum meines Autos und fahre los. Nach rund drei Stunden Fahrt stehe ich am Autobahngrenzübergang bei Arad. Nach fünf, zehn Minuten Wartezeit bin ich dran. Kurzer Blick in meinen Ausweis, keine weitere Prüfung und ich kann fahren. Die Anspannung fällt von mir ab, der Sturm schüttelt mein Auto, Regen prasselt auf das Autodach und ich weiß, dass ich jetzt nicht mehr weit fahren kann. Am nächsten, weitgehend leeren Rastplatz halte ich an, klappe die Rückenlehne zurück und bin nach ein paar Minuten eingeschlafen. Etwas erfrischt, aber noch immer todmüde, fahre ich Stunden später weiter. Einmal tanke ich noch in Österreich, schon in Deutschland angekommen schlafe ich nochmals. Genau um Mitternacht nach 1.500 Kilometern und knapp zwölf Stunden bin ich wieder zu Hause – und sicher, dass ich nie wieder nach Rumänien fahren werde.

Holger Müller - www.mig-21.de
Nach seiner Beinahe-Knast-Erfahrung wollte Müller Rumänien für immer den Rücken kehren. Doch dann packte es ihn doch noch ein letztes Mal.

Nie wieder Rumänien! Oder doch?

Der Vorsatz hält allerdings nur einige Wochen – bis zum 15. Mai, dem Tag des letzten Fluges der rumänischen MiG-21. Von Kontakten in Rumänien weiß ich, dass der Abschiedstermin steht und zu diesem Anlass Veranstaltungen in Câmpia Turzii, Feteşti und Bacău, wohin die MiGs überführt werden sollen, geplant sind. Zwei Wochen vor dem Termin endet meine Geduld und ich frage per E-Mail bei der Pressestelle nach Informationen, die man mir ja zugesichert hatte. Antwort: keine. Gleichzeitig erfahre ich von verschiedenen Seiten, dass die rumänischen Luftstreitkräfte Informationen zur Veranstaltung bis spätestens eine Woche vor dem Termin in Aussicht stellen. Es besteht also noch Hoffnung.

Der 8. Mai, der Tag, für den die Informationen zur Veranstaltung angekündigt worden waren, geht vorbei, ohne dass ich aus Bukarest oder sonst woher irgendwelche Nachrichten bekomme. Am Morgen des 9. Mai kontaktiere ich per WhatsApp meinen bisherigen Ansprechpartner in Bukarest. Antwort: keine.

Als am Abend des 9. Mai schließlich auf der Website der rumänischen Luftstreitkräfte die Veranstaltungen für Câmpia Turzii, Feteşti und Bacău für Montag, den 15. Mai angekündigt und Pressevertreter zur Anmeldung eingeladen werden, zögere ich keinen Moment und sende Anfragen sowohl für Câmpia Turzii, womit mich die meisten Erinnerungen verbinden, als auch für Bacău, wo dann wirklich der allerletzte Akt stattfinden soll (und wo es als "Notfalloption" auch eine öffentliche Veranstaltung geben wird). Antworten: keine.

Nicht willkommen, trotzdem da

Egal. Da ich mangels Antwort aus Câmpia Turzii jetzt sicher davon ausgehe, dort nicht willkommen zu sein, bin ich fest entschlossen, nach Bacău zu fahren. Angesichts der öffentlichen Veranstaltung, aber auch, weil es sich um einen Flughafen in Stadtnähe mit militärisch-ziviler Mischnutzung handelt, rechne ich mir dort die größten Chancen aus, in jedem Fall und ohne großes Risiko in irgendeiner Form Augenzeuge des Geschehens werden zu können.

Am Freitag vor dem Termin kontaktiere ich die Presseoffizierin in Bacău. Ans Telefon geht niemand, also versuche ich es per WhatsApp. Tatsächlich kommt gut eine Stunde später eine Antwort: ich solle meine Anfrage an die Basis (was ich ja schon getan hatte) und an die Adresse der Pressestelle in Bukarest (was ganz sicher kein gutes Omen ist) senden. Ich tue, wie mir geheißen und eine Stunde später kommt die erwartete Antwort: "Tut uns leid, die Akkreditierung wurde nicht bestätigt". Damit ist klar: es bleibt nur die Option, als ganz normaler Besucher auf die Veranstaltung zu gehen und ich werde alles daran setzen, mich nicht zu erkennen zu geben.

Da ich also immer noch Persona non grata in Rumänien bin, frage ich bei meinem rumänischen Pflichtanwalt vom März nach, ob ich denn bei der erneuten Einreise Probleme zu erwarten hätte. Antwort: keine.

Holger Müller - www.mig-21.de
15. Mai 2023: Der letzte Arbeitstag der MiG-21 in Rumänien ist gekommen. In Dreier-Formationen fliegen die letzten MiGs nach Bacău.

Klare Worte

Am Samstag, dem 13. Mai rolle ich morgens in Thüringen los, mit dem Ziel, noch am gleichen Tag die rumänische Grenze zu überqueren. Am späten Nachmittag, ich bin bereits im tiefsten Ungarn, erhalte ich eine Nachricht von der Pressestelle in Câmpia Turzii. "Ihre Akkreditierung wurde auf Grund des Vorfalls im März abgewiesen." Das ist das erste Mal, dass jemand Klartext spricht! Weiterhin heißt es wörtlich: "Da die Verfahrensweisen hinsichtlich Fotografierens und Zutritt zur Basis nicht eingehalten wurden, ist eine Teilnahme an diesem Ereignis nicht möglich. Haben Sie einen schönen Abend!". Den habe ich dann ganz sicher nicht. Mit bangem Erwarten rolle ich auf die Grenze zu. Nach wenigen Minuten bin ich dran, kurzer Blick in meinen Ausweis und ich bin in Rumänien. Bis dahin ist also alles gutgegangen.

Ich halte kurz an, buche ein Hotel in Arad (wo ich zuvor noch nie gewesen bin), mache dort einen kurzen Spaziergang durch die Stadt und schlafe dann einigermaßen. Am nächsten Morgen geht es weiter nach Bacău. Gute fünf Stunden für 300 Kilometer. Die Fahrt zieht sich hin und nur die schöne Landschaft entschädigt für das Schneckentempo.

Gegen 17 Uhr Ortszeit rolle ich nach Bacău hinein. Bevor ich ins Hotel fahre, begebe ich mich auf die Suche nach möglichen Fotostandorten außerhalb des Flugplatzes, denn ich vertraue keinesfalls darauf, am nächsten Tag wirklich eingelassen zu werden.

Ganz zufrieden bin ich mit meinen Erkundungen nicht. Ich checke im Hotel ein und mache dann einen Spaziergang durch die Innenstadt. Schließlich entdecke ich ein Freiluftlokal im Stadtpark und lasse den Abend entspannt ausklingen.

Dann ist der Tag der Entscheidung gekommen. Nach einer kurzen und unruhigen Nacht starte ich zu weiteren Erkundungen. Zuvor hatte ich meine rumänischen Kontakte gefragt, wann denn die MiG-21 landen sollten. 12.52 Uhr lautet die Antwort aus Câmpia Turzii, 13.00 Uhr die aus Feteşti. Nicht viel Zeit also für eine Alternativvariante, falls mir um 12 Uhr der Einlass zur Basis verweigert würde. Ein starker Südwind erspart mir zumindest, Alternativen für beide Anflugrichtungen zu suchen. Auf Satellitenbildern hatte ich einen Friedhof auf der Westseite des Flugplatzes entdeckt, den ich nun anfahre. Auf dem Weg dorthin findet sich ein erhöhter Standort mit guter Sicht auf das gesamte Flughafenareal.

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Zutritt nicht gestattet

Nach dieser Entdeckung mache ich mich auf den Weg zur Basis. Eine knappe Stunde vor Eröffnung sammeln sich zahlreiche Menschen vor dem Haupteingang. Die Versammelten sind zumeist älter und kennen einander – ganz offensichtlich entweder Veteranen der Luftstreitkräfte oder von Aerostar, wo seit 1968 MiG-21 instandgesetzt werden. Autos mit hochrangigen Offizieren rollen heran. Pressevertreter und Spotter, die – anders als ich – zur Veranstaltung zugelassen wurden, werden registriert und erhalten ihre Ausweise. Nur ein bekanntes Gesicht sehe ich: Viorel Bilu, den früheren Werkspiloten, der bei meinem letzten Besuch bei Aerostar 2013 die mosambikanische MiG-21 eingeflogen hatte.

Kurz vor 12 Uhr kommt Bewegung in die Menge, die "normalen" Besucher strömen zum Eingang. Allerdings öffnet sich nicht der Schlagbaum, sondern alle müssen einzeln durch einen schmalen Eingang, wobei ihr Ausweis kontrolliert wird. Kein gutes Zeichen! Neben mir in der Schlange steht ein junger Mann mit asiatischen Zügen. Ich lasse ihn vor, um zu sehen, was passiert. Und tatsächlich: Er wird vom Torposten nicht durchgelassen und zu einem Kollegen am Wachgebäude verwiesen. Genauso geht es mir und einem Italiener, der nach mir kommt. Uns wird beschieden, dass Ausländer keinen Zutritt erhalten. Ich verweise auf die englischsprachige Mitteilung auf der Website der Luftstreitkräfte, nach der alle Luftfahrtenthusiasten willkommen seien. Dies ist eine rumänische Basis und hier dürfen nur Rumänen hinein, macht man uns klar. Enttäuschung macht sich breit, nur etwas dadurch gedämpft, dass ich nicht der einzige Betroffene bin.

Plan B und ein Leidensgenosse

Jetzt muss Plan B greifen. Ich mache mich zügig auf den Rückweg, vorbei an den immer noch eintreffenden Besuchern, neben mir der junge Mann aus Asien. Im Gespräch kommt unglaubliches zutage: mein Begleiter, südkoreanischer Student der internationalen Politik mit Studienort Moskau (!) ist Anfang dieses Jahres genau wie ich in Câmpia Turzii beim Fotografieren nahe der Basis verhaftet worden. Wie ich, wurde er erst nach Turda und dann nach Cluj gebracht und verhört. Doch da enden die Gemeinsamkeiten. Anschließend verlud man ihn in Handschellen nach Bukarest, sperrte ihn zunächst ins Gefängnis und er durfte auch nach seiner Entlassung das Land zwei Monate lang nicht verlassen. Da habe ich mit meinen 23 Stunden Zwangsaufenthalt ja richtig Glück gehabt, denke ich mir. Ich bewundere seinen Mut, nach dieser Erfahrung nochmals zurückzukommen. Aber er will unbedingt die rumänischen MiG-21 sehen.

Gemeinsam fahren wir zum Hügel auf der Westseite des Platzes und nehmen eine Position an einem Feldrand oberhalb der Straße ein. Jetzt heißt es warten. Während wir Erlebnisse austauschen, geht der Blick immer wieder besorgt zur Straße. Bisher keine Polizei in Sicht, aber immer wieder Autos, die anhalten und Insassen, die uns neugierig anschauen. Dann kommt jemand auf uns zu, glücklicherweise mit Kamera und Objektiv. Es ist ein Spotter aus Bacău. Er versichert uns, dass seitens der Polizei keine Gefahr drohe. Wir sind nicht überzeugt und sehen uns weiterhin besorgt um.

Holger Müller - www.mig-21.de
Ein letztes Mal schaut Holger Müller den rumänischen MiG-21 beim Landen zu - notgedrungen von außerhalb des Flugplatzgeländes.

Drama um die Kamera

Die angekündigte Ankunftszeit ist längst vorbei und die Unruhe wird größer. Auch frischt der Wind immer mehr auf, während sich langsam Dunst vor die Sonne schiebt. Mir ist hundekalt. Endlich sind am Horizont drei der bekannten Silhouetten zu sehen, die sich schnell nähern. Sie fliegen ins Bild, Dauerfeuer und dann steigt die Kamera mit einem Fehler aus!

Eigentlich dachte ich, der Fehler sei behoben. Ausschalten, Einschalten. Hoffentlich hält die Kamera durch! Im Sucher hatte ich gesehen, dass die ersten Maschinen aus Câmpia Turzii waren. Schon nähern sich die nächsten drei, diesmal aus Feteşti. Wie ihre Vorgänger überfliegen sie den Platz und lösen die Formation auf. Dann kommen alle sechs Maschinen einzeln zur Landung. Ich versuche, bis zum Aufsetzen dranzubleiben. Immer wieder Kameraaussetzer. Kamerawechsel und wieder zurück. Zumindest sollte ich von jeder Maschine ein Bild haben. Und war es das nun?

Holger Müller - www.mig-21.de
Rumänien war der vorletzte MiG-21-Nutzer in Europa. Nun bleibt nur noch Kroatien. Dort wird die MiG-21 bis 2024 fliegen.

Der endgültige Abschied

Wir bleiben unschlüssig an unserer Position und tatsächlich – nach einiger Zeit starten nochmals drei Maschinen. Drei Hubschrauber kreisen, einer davon mit Flagge, und auch zwei Sportflugzeuge sind über dem Platz. Kommen die MiGs nochmal? Ein weiterer Rumäne gesellt sich zu uns. Das Kennzeichen seines Autos endet auf MIG21 und im Gespräch stellt sich heraus, es ist ein ehemaliger MiG-21- und IAR.99-Pilot. Von ihm erfahren wir, was auf die große Entfernung nicht zu sehen war: die gestarteten Maschinen sind IAR.99. Die MiGs sind gelandet und fliegen nicht mehr.

Wir packen unsere Sachen, laufen zügig zum Auto und verlassen den Ort. Ich setze meinen Begleiter am Bahnhof ab und mache mich auf dem Rückweg. Rund drei Stunden später stehe ich am Grenzübergang Nădlac. Kurz vor Mitternacht checke ich in Szeged, Ungarn im Hotel ein und falle in einen todesähnlichen Schlaf. Nach einem zünftigen ungarischen Frühstück fahre ich neun Stunden zumeist durch strömenden Regen, um dann am Abend erschöpft, aber zufrieden zu Hause anzukommen.

Trotz aller Widrigkeiten – ich bin froh, dass ich beim Abschied von den rumänischen MiG-21 dabei war!

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