Die Russische Föderation importierte im Jahr 2023 "Elektronik für militärische Zwecke" mit einem Gesamtwert von 4,2 Milliarden US-Dollar. Das geht aus einer Datenanalyse der ukrainischen Nichtregierungsorganisation NAKO hervor. Das Kürzel steht übersetzt für "Unabhängige Anti-Korruptions-Kommission". Die NAKO beschäftigt sich nach eigenen Angaben vor allem auf Vorgänge in der Verteidigungsindustrie – und geht in ihrem jüngsten Bericht "Wings of War" der Frage nach, inwiefern Russlands Hersteller von Kampfflugzeugen nach wie vor mit westlichen Hightech-Komponenten arbeiten.

Russland baut weiter neue Kampfjets, hier eine Su-35S. Anscheinend beziehen die Russen dafür weiter Elektronik aus dem Westen.
Zolldaten – und Geheimdienstquellen?
Ein guter Teil der 2023 aus dem Ausland importierten Elektronikteile sei für "die Wartung und Produktion" russischer Kampfjets bestimmt gewesen, schreibt die NAKO. Um dies näher aufzuschlüsseln, analysierte die Organisation die Teilelisten der russischen Fighter-Muster MiG-31, Su-27SM3, Su-30SM, Su-34, Su-35S und Su-57. Dabei stützten sich die Datensammler laut eigenen Angaben auf zugespielte Dokumente "aus militärischen und staatlichen Quellen". Welche Quellen und Dokumente das im Einzelnen sind, verrät der Bericht nicht, es dürfte sich allerdings vor allem um Material von Nachrichtendiensten handeln. Verifizieren lassen sich die Angaben somit kaum. Doch auch russische Zolldaten und öffentlich zugängliche Informationen flossen laut NAKO in die Analyse ein.

Insgesamt rund 2.000 West-Komponenten sollen in russischen Kampfjets verbaut sein. Vor allem aus den USA.
US-Technik für Russlands Top-Fighter
Letztlich identifiziert der Bericht "Wings of War" mehr als 2.000 Komponenten aus dem Westen, produziert von "mindestens 244 Unternehmen aus 22 Ländern." Mit satten 64 Prozent stammt der Löwenanteil davon aus den USA. Allein 545 Bauteile von US-Unternehmen sollen demnach im Flanker-Topmodell Su-35S Verwendung finden, das in Komsomolsk am Amur endmontiert wird. Dort entsteht auch der neue Stealth-Fighter Su-57, der laut Statistik immerhin 249 Hightech-Teile aus US-Produktion enthalten soll. Deutsche Firmen sind laut NAKO bei den beiden russischen Top-Kampfjets ebenfalls beteiligt: Für die Su-35S stammen 39, für die Su-57 immerhin 14 Komponenten aus Deutschland. Weitere zahlenmäßig nennenswerte West-Teile stammen gemäß NAKO aus Japan, der Schweiz, Frankreich, Großbritannien, Taiwan und den Niederlanden.

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Sprudelnde West-Importe
Mehr als die Hälfte aller aufgelisteten Hightech-Importe, nämlich 54 Prozent, gelten laut Bericht als "unverzichtbar für den russischen Waffenbedarf". Gleichzeitig sei für 161 weitere Komponenten zumindest eine gesonderte Exportlizenz notwendig, wenn sie für Russland oder Weißrussland bestimmt seien. "Die Liste der führenden Hersteller umfasst Texas Instruments, Murata Manufacturing, Analog Devices, Kemet, Micron, Maxim, IDT, AVX, Holt Integrated Circuits, Linear Technology, Cypress, Intel und ON Semiconductor", zählt die NAKO auf. "Im Jahr 2023 importierte Russland von diesen Unternehmen Elektronik im Wert von mindestens 962,6 Millionen US-Dollar." Das seien zwar 19,7 Prozent weniger als im Jahr 2022, aber immer noch knapp 70 Prozent mehr als 2021 – also vor dem Krieg.
Drittländer als Umschlagplätze
Wie aber kann es sein, dass westliche Technologieunternehmen weiter im großen Stil die russische Rüstungsindustrie versorgen, wo doch im Westen derlei Handelsgeschäfte mit massiven Sanktionen belegt sind? Der NAKO-Bericht stellt dazu nüchtern fest: Die identifizierten Komponenten kamen natürlich nicht direkt, sondern "hauptsächlich über Drittländer nach Russland." Dafür zuständig seien auf russischer Seite "mindestens 58 große russische Unternehmen", über die der entsprechende Warenverkehr abgewickelt werde. Hauptumschlagplatz dafür ist laut NAKO – wenig überraschend – China. Aber auch über die Türkei, die Arabischen Emirate sowie an Russland angrenzende Drittstaaten wie Armenien, Kasachstan oder Kirgisistan gelangten 2023 verstärkt Importe ins Land.

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Schlüsse aus der Analyse
Aus all diesen, auf insgesamt 68 Seiten dargelegten Erkenntnissen zieht die NAKO den Schluss, dass die im Bericht namentlich genannten westlichen Zulieferer in Zukunft besser auf ihre Geschäfte mit Drittfirmen achten. Die Analyse solle keineswegs westliche Unternehmen anprangern und in den Verdacht ziehen, die russische Rüstungsindustrie zu unterstützen. Vielmehr möchte die NAKO nach eigener Lesart damit einen Anreiz für mehr Sorgfalt bei der Auswahl von Geschäftspartnern setzen. "Wir empfehlen den erwähnten Herstellern dringend, sicherzustellen, dass sie beim Export in Länder außerhalb der Global Export Controls Coalition und/oder an Zwischenhändler in riskanten Rechtsräumen die Vorschriften einhalten." Außerdem müssten "die mit der Lieferkette verbundenen Unternehmen besser und konsequenter mit Sanktionen abgedeckt werden", so die NAKO weiter.