Ein Dröhnen, ein Flugzeug, das auf die Erde zurast – und dann ein Feuerball. In einem pixeligen Handyvideo hielt eine Russin die letzten Sekunden der Iljuschin Il-76 fest, die am Mittwoch gegen 10 Uhr vormittags (Ortszeit) nahe der westrussischen Stadt Belgorod vom Himmel fiel. Das Frachtflugzeug ist abgestürzt, der Aufprall war heftig. Wer das Video gesehen hat, weiß gleich: überlebt hat hier niemand.
Abschuss, ja – aber durch wen und warum?
Damit aber enden die Klarheiten zu diesem Fall bereits – auch wenn Behörden und Nachrichtenagenturen in Russland schon kurz nach dem Unglück offiziell von einem Abschuss der Il-76 durch die Streitkräfte der Ukraine sprachen. Belgorod liegt unweit der ukrainischen Grenze und war in der Vergangenheit immer wieder Ziel von ukrainischen Angriffen gewesen. Andrei Kartapolow, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der russischen Staatsduma, erklärte gegenüber Interfax: "Das Flugzeug wurde von drei Raketen eines Flugabwehr-Raketensystems, entweder Patriot oder IRIS T, abgeschossen." Das Verteidigungsministerium ergänzte, der Angriff sei aus der Nähe des Dorfes Lypzi in der Oblast Charkiw erfolgt. Von dort bis nach Belgorod sind es Luftlinie rund 60 Kilometer.
Widersprüchliche Informationen
Die ukrainische Regierung nahm dazu bislang keine Stellung. Die Streitkräfte selbst sollen den Abschuss jedoch schon bestätigt haben, wie der pro-ukrainische Blogger Igor Sushko auf X schreibt. Demnach sei die Il-76 mit S300-Raketen beladen gewesen und kurz nach dem Start in Belgorod von den Ukrainern unter Feuer genommen worden. Sushko gab als (womögliches) Kennzeichen der verunfallten Il-76 RA-78830 an. Dieses Flugzeug befand sich nach Aufzeichnungen der Tracking-App Flightradar24 am Mittwochmorgen zur fraglichen Zeit jedoch über dem Mittelmeer zwischen Zypern und Syrien. Laut Sushko zog das ukrainische Militär die Abschussmeldung zwischenzeitlich wieder zurück. Möglich sei daher auch, dass die russische Flugabwehr selbst für den Verlust der Iljuschin verantwortlich sei, so der Blogger weiter.
Russland: Gefangene an Bord
Die russische Version der Geschichte ist dagegen eine völlig andere. Demnach sollen sich an Bord der Il-76 vornehmlich ukrainische Kriegsgefangene befunden haben, die für einen Gefangenenaustausch nach Belgorod eingeflogen worden seien. Insgesamt haben demnach in der abgeschossenen Iljuschin 65 Kriegsgefangene sowie drei russische Begleitpersonen und sechs Besatzungsmitglieder den Tod gefunden. Auf X kursiert bereits eine Liste mit den Namen der zum Austausch bestimmten Gefangenen. Ob sie echt ist, lässt sich allerdings nicht bestätigen. Die Regierung in Kiew bestätigte ihrerseits inzwischen, dass für heute ein Gefangenenaustausch geplant gewesen sei – und dass dieser nun nicht stattfinde.

Die Iljuschin Il-76 ist ein schweres Transportflugzeug aus den 70er-Jahren - und ein wichtiges Muster für Russlands Luftwaffe.
Abschuss im Landeanflug?
Russlands Regierung wertet den Abschuss der Il-76 jedenfalls als "barbarischen Akt" seitens der Ukraine. "Die Führung der Ukraine war sich des bevorstehenden Austauschs bewusst, sie wurde darüber informiert, wie die Gefangenen ausgeliefert würden", so Andrei Kartapolow im Gespräch mit Interfax. Seinen Angaben zufolge war die Il-76 am Morgen in der Region Moskau gestartet und hatte sich im Landeanflug auf Belgorod befunden. Eine zweite Il-76 mit rund 80 weiteren Kriegsgefangenen an Bord konnte laut Kartapalow noch rechtzeitig umkehren.