Ein dunkler Punkt am grauen Horizont, was wird das sein? Noch einmal eine der J-20, die gerade im Duett die Zuschauer beglückt haben? Nein, die beiden Chengdu-Tarnkappenjets sind auf und davon. Dann muss das, was sich von links dem Flugplatz nähert – die J-35 sein?!
Ein Raunen geht durch die Menge, dann euphorische Rufe: Ja, tatsächlich, sie ist es! Schon wird die Silhouette größer, prescht auf die Flightline zu. Deutlich zeichnen sich jetzt die Konturen des dunkelgrauen Flugzeugs ab. Zwei Rauchstöße am Heck, Nachbrenner zünden – und Sekunden später schießt Chinas neuer Stealth-Fighter, die Shenyang J-35A, donnernd über die Köpfe der verzückten Menge, zieht steil hoch, verschwindet in den Wolken. Dann wird es still. Nur in der Ferne ein Grollen – das langsam abschwillt. Einen einzigen Vorbeiflug lang währte das Debüt des neuen Jets. Zurück kommt er nicht mehr. Aber immerhin: er hat sich gezeigt!
Zweiter Stealth-Fighter
Mit der J-35A schließt China, zumindest auf dem Papier, zu den USA auf: Als zweite Nation der Welt haben die Chinesen nun zwei Kampfjetmuster der fünften Generation in ihren Reihen. Während von der älteren, größeren Chengdu J-20 aber bereits eine dreistellige Anzahl im Einsatz steht und die Produktion auf Hochtouren läuft, gar eine verbesserte J-20A in den Startlöchern steht, weiß man über den Entwicklungsstand der J-35A wenig Verlässliches. Eigentlich war die Plattform J-35 primär als trägergestützter Kampfjet für die Marineflieger im Gespräch gewesen. Das ist auch weiterhin geplant – mit dem Zusatz, dass die Luftwaffe mit der J-35A ebenfalls eine maßgeschneiderte Variante erhält. Offiziellen Verlautbarungen nach steht die J-35A kurz vor der Einführung in die Streitkräfte. Wie kurz "kurz" in diesem Fall tatsächlich ist, bleibt die große Frage. Den Export hat man mit dem Muster jedoch ebenfalls im Auge – als Alternative zur Lockheed Martin F-35A für Länder, die sich den US-Fighter nicht leisten können, wollen oder dürfen. Ägypten und Pakistan sollen Interesse haben.

Die landgestützte J-35A für Chinas Luftwaffe unterscheidet sich optisch von der trägergestützten Marine-J-35 durch ihr Einrad-Bugfahrwerk und einen kleineren Flügel.
FC-31, J-35 und J-35A
Ihre Ursprünge haben J-35 und J-35A in der Shenyang FC-31, die bereits Ende Oktober 2012 zu ihrem Erstflug startete. Die weiterentwickelte, trägergestützte J-35 flog erstmals im Oktober 2021, die landgestützte J-35A soll dagegen erst seit September 2023 flügge sein. Optisch unterscheidet sie sich von der Trägerversion durch ihr Einrad-Bugfahrwerk und eine reduzierte Flügelspannweite. Wie viele Exemplare zwischenzeitlich existieren, ist unklar, allerdings wurden auf der Airshow China zwischen dem 12. und dem 17. November mindestens zwei unterschiedliche Maschinen vorgeflogen. Beide trugen die Zahl 75 am Heck, in Anlehnung an den 75. Jahrestag der Staatsgründung der Volksrepublik China.

Die J-35A kam in Zhuhai täglich nur für einen einzigen Überflug vorbei - immerhin aber mit gezündeten Nachbrennern.
Das Wesen der J-35A
Chinesische Quellen definieren die J-35A als mittelgroßes Mehrzweckkampfflugzeug mit internen Waffenschächten und Tarnkappentechnik. Letztere ergibt sich – ähnlich wie bei der F-35 – zum einen über das Design mit möglichst wenig Radarrückstrahlfläche, zum anderen durch eine spezielle Beschichtung. Die Bewaffnung der J-35A, die aus einem breiten Arsenal an Luft-Luft- und Luft-Boden-Lenkwaffen bestehen soll, findet primär in den (anscheinend) zwei Schächten in der Rumpfunterseite Platz. Aber auch über externe Aufhängepunkte unter den Tragflächen dürfte das neue Muster verfügen, da der Platz im Rumpf aufgrund der schlanken Silhouette des Entwurfs und der zwei Triebwerke eher eng bemessen ist.
Der auf China spezialisierte Militärluftfahrtanalyst Rick Joe mutmaßt, dass die J-35A beispielsweise intern bis zu sechs Exemplare der radargelenkten Langstrecken-Luft-Luft-Rakete PL-15 mitführen kann – in einer optimierten Version mit klappbaren Stabilisatoren am Heck. Auf der Airshow China war in der Messehalle des Staatskonzerns AVIC ein Mock-up dieser Waffe mit der Exportbezeichnung PL-15E direkt neben dem 1:2-Modell der J-35A ausgestellt.
Technische Mutmaßungen
Über die konkreten Dimensionen der echten J-35A gibt es keine offiziellen Angaben, sie dürften aber weitgehend im Bereich der FC-31 liegen. Die wies eine Länge von 17,3 Metern, eine Spannweite von 11,5 Metern und ein Startgewicht von etwa 28 Tonnen auf. Zumindest Länge und Spannweite scheinen, im persönlichen Augenmaß-Vergleich mit dem besagten 1:2-Modell, zu passen. Als Antrieb für den Stealth-Zweistrahler hat China nach Angaben mehrerer Quellen das selbstentwickelte Guizhou WS-19 eingeplant. Ob die fliegenden J-35A bereits mit diesem neuen Triebwerk ausgestattet sind, das mit maximal 116 kN Schub (mit Nachbrenner) etwas stärker sein soll als das Eurofighter-Triebwerk EJ200, ist jedoch zweifelhaft. Womöglich wird, so mutmaßt Rick Joe, aktuell noch das schwächere WS-21 (oder das WS-13E) verwendet.
Über die Avionik der J-35/J-35A sind ebenfalls keine Details bekannt. Ein modernes AESA-Radar chinesischer Bauart scheint jedoch obligatorisch, technische Synergien mit der größeren Chengdu J-20 und natürlich mit der Marineversion der J-35 liegen ebenfalls nahe. Bei den Vorbeiflügen der J-35A in Zhuhai war im Cockpit ein holografisches Head-up-Display zu erkennen, Rick Joe vermutet zusätzlich ein Helmdisplay, wie es auch für die bereits seit 2017 im Dienst stehende J-20 Standard ist. In der Ausbuchtung an der Unterseite des Bugs dürfte sich ein Infrarot-Zielsystem oder vergleichbare Sensorik einfinden.