Als am 24. April 1970 mit Dong Fang Hong 1 ("Der Osten ist rot") der erste kleine und noch recht primitive Satellit der Volksrepublik China die Erdumlaufbahn erreichte, glaubte wohl niemand in der Welt, dass das damals arme und rückständige Land 55 Jahre später die etablierten Weltraumnationen das Staunen und Fürchten lehren würde. Mit 66 erfolgreichen Starts im Jahr 2024 lag China auf Platz zwei nach den USA (145, davon 138 von SpaceX) und es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein neuer Start erfolgt. Dabei werden inzwischen alle Einsatzgebiete von Raumflugkörpern, ob zivil oder militärisch, unbemannt oder bemannt, abgedeckt. Seit 2021 betreibt das Land eine Raumstation im Erdorbit. Auf ihr arbeiten jeweils drei Taikonauten, so die Bezeichnung für die chinesischen Astronauten. Sechs Mondsonden erkundeten erfolgreich unseren Erdtrabanten, dabei zwei erstmals die Mondrückseite. Chang’e 6 brachte im vergangenen Jahr von dort sogar die ersten Bodenproben zur Erde zurück (siehe FR 09/24). Eine Marssonde konnte 2021 auf dem Nachbarplaneten landen und einen Rover aussetzen. Mit Beidou hat das Land ein eigenes Navigationssatellitensystem und betreibt mit Fengyun meteorologische Satelliten. Inzwischen sind neben den überwiegend durch die Kommunistische Partei und das Militär kontrollierten staatlichen Einrichtungen und Organisationen auch private Start-ups zugelassen. Dabei soll es jedoch nicht bleiben. China hat für die Zukunft weitreichende Pläne, von denen hier einige Vorhaben der bemannten und interplanetaren Raumfahrt vorgestellt werden.

Im Herbst 2023 fotografierte die Shenzhou-16-Crew erstmals die komplette Raumstation Tiangong.
Größerer Himmelspalast
Die Raumstation Tiangong (Himmelspalast) soll in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden. Sie besteht derzeit aus drei Modulen, die durch drei weitere Module ergänzt werden. Die Station wird dann etwa 180 Tonnen schwer sein. Die Pläne wurden auf dem 74. Internationalen Astronautischen Kongress in Baku (Aserbaidschan) 2023 vorgestellt. Voraussichtlich wird 2027 zuerst ein Modul mit sechs Koppelstutzen an das Kernmodul Tianhe (Himmlische Harmonie) gekoppelt, dann folgen die beiden anderen Module. Die beiden schon aktiven Module Tianhe und Wentian (Himmelsbefragung) sollen zusätzliche Befestigungselemente für große externe Nutzlasten erhalten. In Entwicklung befinden sich auch aufblasbare Module, die als Habitate an der Station sowie für künftige Mondbasen eingesetzt werden können. Die Station soll mindestens 15 Jahre genutzt werden. Das jetzt für den Mannschaftstransport verwendete Raumschiff Shenzhou wird durch das neue größere, wiederverwendbare Exemplar Mengzhou ersetzt, mit dem sich dann bis zu sieben Taikonauten transportieren lassen (geplant ist auch eine Version für Mondflüge). Die chinesischen Behörden sind offen für eine internationale Beteiligung. Das kann von Experimenten über technologische Komponenten wie beispielsweise Roboterarme bis zu eigenen Modulen reichen. Die europäische Raumfahrtagentur ESA plant dafür schon zehn kooperative Forschungsprojekte. Etwa 2026 wird das Weltraumteleskop Xuntian auf denselben Orbit wie die Station befördert und von Tiangong aus betreut. Im Taikonautenkader bereiten sich 48 Kandidaten auf Einsätze vor. Das entspricht der Anzahl von Astronauten, die bei der NASA arbeiten.

Unter dem Namen „International Lunar Research Station“ (ILRS) soll ein vernetztes System von Forschungseinrichtungen, die über die Mondoberfläche verteilt sind entstehen.
Als Nächstes: Der Mond
China will aber noch weiter hinaus. Das nächste Ziel für seine Taikonauten wird der Mond sein. Die unbemannte Erkundung ist bereits erfolgreich im Gange. 2026 soll die Sonde Chang’e 7 in der Südpolregion des Mondes landen, einen neu konstruierten Rover aussetzen und geologische Untersuchungen vornehmen. 2028 folgt Chang’e 8 ebenfalls zum Südpol, um technologische Experimente wie den 3D-Druck mit Mondmaterial durchzuführen. Unter der Bezeichnung "International Lunar Research Station" ILRS soll ein integriertes System verschiedener Forschungskomponenten, die über die gesamte Mondoberfläche verteilt sind, geschaffen werden. Beteiligt sind Nationen wie Venezuela, Südafrika, Thailand, Aserbaidschan, Pakistan, Ägypten und Senegal. Weitere Staaten, darunter Russland, wollen die künftige Struktur nutzen. Es wird Module für Experimente, sowohl wissenschaftlicher als auch technologischer Natur, Einrichtungen für die Rohstofferkundung, Roboter verschiedenster Art, optische und Radioteleskopmodule geben. Die ILRS soll mit späteren bemannten Missionen kooperieren und diese ergänzen. Die erste Aufbauphase will man bis 2035 abschließen. Um die Verbindung der verschiedenen Missionen zur Erde und untereinander auch auf der Mondrückseite zu gewährleisten, soll die Queqiao-Konstellation (Elsternbrücke) mit voraussichtlich sechs Satelliten geschaffen werden. Diese dienen der Kommunikation, Navigation und Fernerkundung, zunächst im Erde-Mond-Raum. Später ist vorgesehen, durch weitere Satelliten ein Tiefraum-Netzwerk zu schaffen und damit auch das innere und äußere Sonnensystem zu erschließen. Der Name Queqiao ist einer chinesischen Volkssage entnommen. Das erste Exemplar, Queqiao 1, wurde 2018 am Lagrange-Punkt L2 in einen sogenannten Halo-Orbit um diesen gebracht und hat so eine konstante Orientierung zur Erde und der Mondrückseite. Es diente 2019 der Verbindung zur Mondsonde Chang’e 4. Queqiao 2 wurde 2024 gestartet und in einen exzentrischen, aber stabilen Orbit um den Mond befördert, wo er mindestens zehn Jahre arbeiten soll. Er wurde als Erstes für Chang’e 6 als Relaissatellit genutzt.

Die Landefähre Lanyue soll zwei Taikonauten sicher auf die Mondoberfläche bringen und nach ihrer Mission zurück in den Orbit transportieren.
Sprungbrett zum Mars?
Für die bemannte Erschließung des Mondes entwickeln die chinesischen Ingenieure drei Hauptkomponenten: die schwere Trägerrakete Langer Marsch 10 (LM10), das wiederverwendbare Raumschiff Mengzhou (Traumboot) und die Landefähre Lanyue (Mondumarmung) sowie einen Rover, der zwei Taikonauten aufnehmen kann und einen Raumanzug für die Außenarbeit auf der Mondoberfläche. Eine unbemannte Mondumkreisung des Traumbootes soll spätestens 2028 erfolgen. Ihm soll bis 2030 die erste Landung zweier Taikonauten auf der Mondvorderseite folgen. Eine LM10 bringt zunächst Lanyue in einen Parkorbit um den Mond. Ihm folgt, ebenfalls von einer LM10 gestartet, Mengzhou mit drei Taikonauten an Bord. Das Raumschiff koppelt an den Lander an und zwei Besatzungsmitglieder steigen um. Dann beginnt der Landevorgang von Lanyue, abgebremst vom Antriebsmodul. Etwa drei Kilometer über der Mondoberfläche wird dieses Modul abgeworfen und das Landeteil bremst mit seinen vier Antrieben weiter bis zur Landung ab. Nach der Arbeit auf dem Mond gelangen die Taikonauten wieder zum Mutterschiff, das sie zurück zur Erde bringt. Später wollen die Chinesen auch noch eine kleine Station im Mondorbit ähnlich dem Gateway des amerikanischen Artemis-Programms errichten. Dann koppeln Mengzhou und Lanyue dort an und der Landeteil von Lanyue soll dann wiederverwendet werden. In der Nähe des Südpols ist ebenfalls eine bemannte Station vorgesehen. In die ferne Zukunft reichende Konzepte sehen unterirdische Mondbasen in Lavaröhren vor. Chinas Wissenschaftler haben noch weitreichendere Ziele im Visier, wie den Mars und Asteroiden. So soll 2028 mit der Sonde Tianwen-3 Marsmaterial zur Erde zurückgeführt werden. 2029 ist der Start der komplexen Raumsonde Tianwen-4 zum Jupiter vorgesehen, die dann einen Orbiter für den Jupitermond Callisto aussetzen wird. Wenn China diese umfangreichen Pläne tatsächlich umsetzt, dürften einige verantwortliche Politiker und Manager in Amerika und Europa gehörig ins Schwitzen geraten, denn die Mehrzahl von deren Raumfahrtvorhaben ist durch Verschiebungen, Geldmangel und politische Zauderei gekennzeichnet.