Außergewöhnlicher All-Tagsjob: Wie wird man Astronaut?

Berufsporträt: Astronaut
Außergewöhnlicher All-Tagsjob

Veröffentlicht am 13.12.2024

Die Beiträge, die Alexander Gerst während seiner zwei Raumflüge und insgesamt 362 Tage im All über Social-Media-Kanäle veröffentlicht hat, gehören zu den Sternstunden der Wissenschaftskommunikation. Dank seiner Fotos und Texte haben Millionen Menschen Anteil an dem genommen, was auf dem Außenposten der Menschheit, der internationalen Raumstation ISS, tagtäglich passiert. Und vor allem bei Kindern und Teenagern dürfte Gerst damit den Berufswunsch Astronaut geweckt haben. Aber wie kommt man da hin? Und wie sieht der Beruf eigentlich genau aus?

ESA/NASA

ESA-Korps wächst

"Es gibt viel zu tun am Himmel", sagte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher im Jahre 2022 anlässlich einer Pressekonferenz zur vierten Rekrutierungskampagne der Europäischen Weltraumbehörde seit ihrer Gründung 1975. Damals standen sieben aktive Raumfahrer in Diensten der ESA, die bereits Raumflüge absolviert hatten. Inzwischen ist das Korps auf 13 Männer und Frauen angewachsen. Erstmals wurden 2022 auch Reserveastronauten ausgewählt, die für bestimmte Missionen befristete Arbeitsverträge bekamen. Ein Novum war zudem, dass sich Menschen mit bestimmten körperlichen Behinderungen bewerben konnten, denn im Rahmen der "Parastronaut"-Machbarkeitsstudie sollte untersucht werden, unter welchen Umständen ein entsprechender Kandidat bzw. eine entsprechende Kandidatin zur Internationalen Raumstation ISS fliegen kann. Man erkennt daran deutlich, dass auch die Raumfahrt diverser geworden ist.

NASA

Anspruchsvolles Profil

Allen Astronautenanwärtern, die es 2022 ins Programm geschafft haben, ist gemein, dass sie über eine grundsolide wissenschaftliche Ausbildung verfügen. Bewerber für den Astronautenjob müssen demnach mindestens einen Master-Abschluss in Natur- oder Ingenieurswissenschaften, Medizin, Mathematik oder Informatik sowie eine dreijährige Berufserfahrung vorweisen. Rosemary Coogan aus Großbritannien ist beispielsweise promovierte Astrophysikerin, der Spanier Pablo Álvarez Fernández studierte Luft- und Raumfahrt-technik. Alternativ wird auch ein Abschluss als Testpilot oder Flugversuchsingenieur einer renommierten Testpilotenschule anerkannt, über diesen Weg kam die Französin Sophie Adenot ins ESA-Korps. Zudem sind fortgeschrittene Englischkenntnisse (mindestens Niveau C1) erforderlich, weitere Fremdsprachen sind ein Plus. Die Altersgrenze liegt bei 50 Jahren, und die Kandidaten müssen Staatsbürger eines ESA-Mitgliedslandes oder eines kooperierenden Staates sein. Das sind die Minimalvoraussetzungen. Dazu kommen weitere Eigenschaften wie gute körperliche Fitness, Teamfähigkeit, Stressresistenz, Bereitschaft zu häufigen Reisen, interkulturelle Kompetenz, exzellente Feinmotorik, ausgeprägte analytische Fähigkeiten, schnelle Auffassungsgabe und eine extrem hohe Motivation. Anschließend beginnt ein sechsstufiger Auswahlprozess. Zunächst werden mehrere Screening-Runden auf Basis der eingereichten Bewerbungsunterlagen durchgeführt. In Stufe zwei folgen Tests zu Kognition, Motorik und Persönlichkeit. Dann findet ein Assessment-Center mit psychometrischen und praktischen Tests sowie Einzel- und Gruppenübungen statt. Im vierten Schritt geht es um die Untersuchung physischer und mentaler Fähigkeiten mit Hinblick auf astronautische Langzeitmissionen. Die letzten beiden Stufen umfassen Interviews, unter anderem mit dem ESA-Generaldirektor. Der Auswahlprozess ist nicht nur lang, sondern auch hart. 2022 gingen mehr als 22 500 Bewerbungen ein. Auch wenn die Chancen gering sind, sagt die italienische ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti: "Es ist eine großartige Reise, und man kann viel über sich selbst lernen."

ESA/NASA

Karriere am Beispiel Gerst

Alexander Gerst studierte nach dem Abitur zunächst Geophysik an der Universität Karlsruhe, gefolgt von Geowissenschaften in Neuseeland und schließlich Vulkanologie an der Universität Hamburg. Während seines Studiums arbeitete er als Vulkanologe am Institut für Geophysik der Universität Hamburg und war an zahlreichen Forschungsexpeditionen auf allen Kontinenten der Erde beteiligt. Im Jahr 2009 wurde Gerst von der ESA als Astronaut ausgewählt und begann seine Grundausbildung in Köln. Parallel arbeitete er an seiner Dissertation und wurde im Mai 2010 an der Universität Hamburg mit einer Forschungsarbeit zur Eruptionsdynamik des antarktischen Vulkans Mount Erebus promoviert. Nach erfolgreichem Abschluss der ESA-Ausbildung erhielt er am 22. November 2010 sein offizielles Astronauten-Zertifikat. Im August 2011 wurde Alexander Gerst als Besatzungsmitglied für die ISS-Expedition 40/41 benannt. Seine missionsspezifischen Vorbereitungen im Moskauer Gagarin Cosmonaut Training Center begannen im April 2012. Im Rahmen des Raumfluges, der vom 28. Mai bis zum 10. November 2014 dauerte, war Gerst Bordingenieur auf der Internationalen Raumstation und absolvierte ein umfangreiches Wissenschaftsprogramm mit Experimenten aus den Bereichen Physik, Biologie, Physiologie und Strahlungsforschung. Zudem war er für das Andocken des europäischen Raumfrachters ATV-5 sowie für das Anlegen der amerikanischen Dragon- und Cygnus-Versorgungskapseln zuständig. Höhepunkt der Mission war ein Außenbordeinsatz am 7. Oktober 2014, bei dem er gemeinsam mit seinem NASA-Kollegen Reid Wiseman innerhalb von 6 Stunden und 13 Minuten unter anderem eine defekte Kühlpumpe umlagerte und ein neues Kabelsystem für den Greifarm installierte.

ESA

Ein Deutscher als ISS-Kommandant

Am 6. Juni 2018 startete Alexander Gerst zu seinem zweiten Flug zur Internationalen Raumstation. Auf der ISS übernahm er ab dem 3. Oktober bis zum Ende seiner Mission als Kommandant die Verantwortung für die Sicherheit und den laufenden Betrieb an Bord. Bis zu seiner Rückkehr am 20. Dezember bearbeitete er mehr als 60 europäische Experimente und installierte zudem die erste kommerzielle Forschungseinrichtung im Columbus-Labor. Vor allem Gersts Twitterkanal @Astro_Alex ist eine erstklassige Quelle, um sich ein Bild davon zu machen, was einen Astronauten in seinem Alltag erwartet und bewegt und wie sehr der Blick von außen auf das große Ganze die eigenen Gedanken und Sichtweisen verändert. "Um zu erkennen, dass Menschen im All leben können, musste ich ein halbes Jahr hier oben verbringen", twitterte Gerst am 8. November 2014. "Um zu erkennen, wie schön die Erde ist, brauchte ich eine Minute. Um zu erkennen, wie zerbrechlich unser kleiner blauer Planet ist, brauchte ich nur einen Augenblick."

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem aktuellen Sonderheft "Crew only: Berufe in der Luftfahrt". Jetzt erhältlich im gut sortierten Kiosk oder direkt im Onlineshop der Motor Presse Stuttgart.