"Wir sind bereit zum Start", sagte Lucia Linares, Leiterin Strategie und Institutionelle Starts bei der europäischen Raumfahrtagentur ESA, bei einer Pressekonferenz am 25. Juni. Bei der Generalprobe, dem sogenannten Wet Dress Rehearsal am 20. Juni, sei alles nach Plan gelaufen. Am 7. Juli haben auch der ESA-Direktor für Raumtransport Toni Tolker-Nielsen und der ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher grünes Licht für einen Startversuch der neuen Ariane 6 am 9. Juli gegeben. Das Startfenster für den Erstflug der Trägerrakete in der Konfiguration mit zwei Feststoffboostern (Ariane 62) öffnet sich um 15 Uhr Ortszeit in Kourou (20 Uhr MESZ) und dauert bis 19 Uhr (0 Uhr MESZ).
Für den Erstflug ist die ESA als Auftraggeberin der neuen Trägerrakete verantwortlich. Die erste Ariane 6 soll eine Mission in den niedrigen Erdorbit auf eine Höhe von 580 Kilometern durchführen, mit einer Inklination von 62 Grad. Die Wahl dieser besonderen Inklination erkläre sich hauptsächlich dadurch, dass bei Qualifikationsflügen wie diesem die Rakete möglichst über die gesamte Flugbahn für die Bodenstationen sichtbar sein soll, erklärte Michel Bonnet, ESA-Flugleiter des Erststarts. Der Flug dauert insgesamt zwei Stunden und 51 Minuten.
Die Mission besteht aus zwei Teilen: einem kommerziellem, in dessen Verlauf die mitgeführten CubeSats ausgesetzt werden, und einem Demonstrationspart, der der Verifikation der Oberstufe dient, vor allem der Fähigkeiten der neuen Auxiliary Power Unit (APU). Die APU ermöglicht unter anderem, das Vinci-Oberstufentriebwerk während des Fluges wiederzuzünden und sorgt bei Bedarf für zusätzlichen Schub. "Ganz am Ende der Mission werden wir zwei Wiedereintrittskapseln freigeben", sagte Bonnet. Die Kapseln von ArianeGroup und der Exploration Company werden im Pazifischen Ozean landen, in der Nähe des Point Nemo, das ist die am weitesten von Landmassen entfernte Stelle. Sie sollen nicht geborgen werden. Weitere Nutzlasten bleiben an der Oberstufe fixiert, darunter YPSat der ESA Young Professionals, der den Erstflug filmt.
Oberstufe wird gezielt zum Verglühen gebracht
Am Ende ihrer Mission wird die Oberstufe in die Erdatmosphäre gelenkt, damit sie dort verglüht – ein Novum im Vergleich zur Vorgängerin Ariane 5. Insgesamt soll das Vinci-Oberstufentriebwerk beim Erstflug dreimal gezündet werden. "Die Ariane 6 wurde entworfen, um die Anforderungen des französischen Raumfahrtgesetzes zu erfüllen. Die Deorbitierung war eines der Hauptmerkmale der Ariane 6", sagte Franck Huiban, Leiter zivile Programme bei ArianeGroup.
Ursprünglich war der Erststart der Ariane 6 für Juli 2020 geplant, doch technische Probleme mit der Rakete und der Startrampe und nicht zuletzt die Pandemie haben für Verzögerungen gesorgt. Das führte, in Verbindung mit Problemen der leichten europäischen Trägerrakete Vega-C, dem Ukraine-Krieg und damit dem Aus für Sojus-Starts von Kourou aus sowie der geplanten Außerdienststellung der Ariane 5 im vergangenen Jahr, zur "europäischen Trägerraketenkrise", wie Josef Aschbacher es nannte. Plötzlich hatte Europa keine eigenen Raketen mehr zur Verfügung und war auf andere Startdienstleister wie SpaceX angewiesen.
Der Erstflug der Ariane 6 soll ein Befreiungsschlag werden und Europa wieder einen eigenen Zugang zum All verschaffen. Wenn der Erstflug glückt, soll der zweite noch im Dezember erfolgen. Dieser Start wäre zugleich der erste kommerzielle Flug und läge, anders als der Erstflug, in der Verantwortlichkeit von Arianespace.
Bisher 30 Starts gebucht
ArianeGroup arbeitet bereits am Hochlauf der Trägerraketenproduktion in Les Mureaux (Hauptstufe) und Bremen (Oberstufe). Denn die Ariane 6 hat mit 30 gebuchten Starts bereits ein gut gefülltes Auftragsbuch, auch wenn sie immer wieder als zu teuer und wegen ihrer Nicht-Wiederverwendbarkeit kritisiert wird. Zu den Startkosten machte Arianespace keine Angaben. Nur so viel: "Der Startdienstpreis beantwortet die Bedürfnisse der Kunden", so Caroline Arnoux, Leiterin des Ariane-6-Programms bei Arianespace. 2014 wurde als Ziel gesetzt, dass die Startkosten der Ariane 6 pro Kilogramm 40 bis 50 Prozent günstiger sein sollten als jene der Ariane 5. Ob das erreicht wird, ist unklar. ArianeGroup zitiert veränderte wirtschaftliche Bedingungen und die im Vergleich zur Ariane 5 anderen Missionsfähigkeiten, die einen Kostenvergleich schwierig machten.
Bereits 2025 sind sechs Starts der Ariane 6 geplant, darunter auch der erste einer Ariane 64 mit vier Feststoffboostern. 2026 sollen es acht Starts sein und 2027 bereits zehn. "Dieser Hochlauf kann als ehrgeizig angesehen werden, aber er wurde mit ArianeGroup festgelegt", sagte Arnoux. Huiban ergänzte: "Wenn wir viel mehr produzieren könnten, würden wir Kunden dafür finden." Zu den Kunden der Ariane 6 gehört neben der ESA unter anderem Amazon mit seinem Project Kuiper. Insgesamt 18 Starts hat der Internetriese für seine geplante Starlink-Alternative gebucht. Wann der erste stattfinden soll, gab Arnoux nicht preis, auf Wunsch von Amazon.
Dass Elon Musk vor einem Jahr sagte, dass es keine Zukunft für nicht-wiederverwendbare Trägerraketen gebe, lässt die ESA kalt. "Ich kann es nur noch einmal wiederholen: Wir haben ein volles Auftragsbuch", sagte Lucia Linares. Die Rakete soll kontinuierlich verbessert werden. Geplant ist unter anderem eine zusätzliche Kickstufe namens Astris und ein Upgrade der Booster, das die Nutzlastkapazität um zwei Tonnen verbessern soll. Außerdem arbeite auch Europa an Wiederverwendbarkeit. Dazu gehören die Programme Prometheus und Themis, in deren Rahmen ArianeGroup ein wiederverwendbares Triebwerk und eine wiederverwendbare Hauptstufe entwickelt.