Nach vielen politischen Streitigkeiten, jahrelangen Verzögerungen und Kostensteigerungen gab es längere Zeit keine Negativschlagzeilen mehr um Galileo. Stattdessen hat das europäische Satellitennavigationssystem 2015 mit einem Zuwachs von sechs Satelliten sein bisher erfolgreichstes Jahr hinter sich. So soll es aus Sicht der EU-Kommission, die das Programm verwaltet, weitergehen. Kurzerhand wurde im Februar ein zusätzlicher Start anberaumt: Am 24. Mai brachte eine Sojus-Rakete zwei Satelliten vom französischen Weltraumbahnhof Kourou aus in ihren Orbit.
Eigentlich war für dieses Jahr nur ein Start geplant. Zwischen September und November soll eine Ariane 5 ES erstmals vier Satelliten gleichzeitig befördern. Dass zwei Satelliten nun mehrere Monate früher in ihre Umlaufbahn ausgesetzt werden konnten, haben die EU-Kommission und die ESA auch dem Bremer Satellitenbauer OHB zu verdanken. „Seit August 2014 haben wir eine gute Satelliten-Produktionsrate“, lobt Didier Faivre, Direktor des Galileo-Programms bei der europäischen Raumfahrtagentur ESA.
Die OHB System AG baut in Zusammenarbeit mit dem britischen Unternehmen Surrey Satellite Technology, das für die Nutzlast verantwortlich ist, 22 FOC-Satelliten (Full Operational Capability, volle operative Fähigkeit). Zusammen mit den vier Satelliten von Astrium (heute Airbus Defence and Space), die zur In-Orbit Validation bereits zwischen Oktober 2011 und Oktober 2012 ins All geschickt wurden, kommt man auf 26. „Uns fehlen vier Satelliten, um die Konstellation von 30 zu vervollständigen“, sagt Paul Flament, der bei der EU-Kommission für Galileo zuständig ist. Um auch noch genügend Ersatz zu haben, wurde im Dezember 2015 ein Auftrag für acht weitere Satelliten ausgeschrieben. Die Entscheidung über den Hauptauftragnehmer soll im Herbst fallen.
Die Ausschreibung und der zusätzliche Start lassen keine Zweifel: Die EU-Kommission will Galileo so schnell wie möglich ausbauen, um das System 2020 in Betrieb nehmen zu können – zwölf Jahre später als ursprünglich geplant. Schon im Februar 1999 stellte die Kommission mit einer Grundsatzerklärung die Weichen, um sich vom amerikanischen Global Positioning System (GPS) und dem russischen Glonass unabhängiger zu machen. Doch das unter ziviler Kontrolle stehende europäische System scheiterte 2007 beinahe an Querelen um die Verteilung der Risiken zwischen öffentlicher Hand und dem privatwirtschaftlichen Satellitenkonsortium European Satellite Navigation Industries (ESNI). Seitdem hat die EU-Kommission das Programm-Management übernommen, die ESA ist für den Aufbau und Betrieb von Galileo zuständig. Anders als ursprünglich geplant wird das System nun komplett aus Steuermitteln finanziert. Die EU lässt sich die Satellitennavigationsprogramme Galileo und EGNOS (European Geostationary Navigation Overlay Service), das die Positionsgenauigkeit von GPS in Europa verbessert, bis 2020 sieben Milliarden Euro kosten. Ursprünglich waren für Galileo einmal gut vier Milliarden Euro veranschlagt. Die jährlichen Betriebskosten belaufen sich auf rund 800 Millionen Euro.
Doch die EU-Kommission erhofft sich dafür auch einen Gegenwert für die Industrie: Laut unabhängiger Studien soll die Wirtschaft in den ersten 20 Jahren des Betriebs rund 90 Milliarden Euro mit Galileo verdienen. Ob das realistisch ist, muss sich noch zeigen.
Nur sieben Satelliten sind bisher voll in Betrieb
Bis 2018 sollen die 26 für den Regelbetrieb nötigen Satelliten im Orbit sein, die neu ausgeschriebenen sollen 2020 gestartet werden. Sie werden einmal dafür sorgen, dass weltweit rund um die Uhr fünf verschiedene Dienste verfügbar sein werden. Der offene Service steht dann allen Nutzern kostenlos für Ortungs-, Navigations- und Zeitsynchronisationszwecke zur Verfügung. Der kommerzielle Dienst ist für professionelle Endanwender gedacht, beispielsweise im Bereich Flottenmanagement, und ist gebührenpflichtig. Der sicherheitskritische Dienst ist unter anderem für Navigationsanwendungen in der Luftfahrt interessant. Er basiert auf verschlüsselten Signalen, die eine hohe Genauigkeit garantieren. Staatliche Stellen wie Polizei und Militär nutzen den öffentlich regulierten Dienst, der zugriffsgeschützt, verschlüsselt und störresistent sein soll. Der Such- und Rettungsdienst (Search and Rescue, SAR) ermöglicht den Empfang von Notrufen praktisch in Echtzeit. Im Vergleich zu GPS und Glonass erhöht sich die Genauigkeit der Positionsbestimmung auf wenige Meter. Auch Rückmeldungen an den Geschädigten sind möglich, vorhandene SAR-Systeme werden unterstützt.
Wirklich betriebsbereit sind bisher allerdings nur sieben Satelliten. Seit die EU-Kommission das Kommando übernommen hat, ist Galileo zwar auf dem Weg der Besserung, ganz ohne Schwierigkeiten geht es dann doch nicht. Am 22. August 2014 wurden die Satelliten 5 und 6 von einer Sojus in einem falschen, elliptischen Orbit ausgesetzt. Zwar wurde die Umlaufbahn korrigiert, doch auch diese ist nicht optimal. Es werden weiterhin Tests durchgeführt, die zeigen sollen, ob zumindest eine teilweise Nutzung möglich ist. „Sehr wahrscheinlich werden wir die Satelliten für den Such- und Rettungsdienst sowie für den offenen Dienst nutzen können“, sagt Flament. Eine endgültige Entscheidung soll Mitte des Jahres getroffen werden.
Und noch ein weiterer Satellit ist nicht funktionstüchtig: IOV 4 hat seit Juni 2014 ein Problem mit der L-Band-Antenne. Nach Angaben von Faivre funktionieren die Signale für den Such- und Rettungsdienst, nicht aber für die Navigationsmissionen. An einer Modifikation des Bodensegments, das die beiden Galileo-Kontrollzentren in Oberpfaffenhofen und im italienischen Fucino sowie ein globales Netz an Sende- und Empfangsstationen umfasst, wird nach Angaben der ESA gearbeitet. Der Prototyp, der nur den L1-Kanal nutzt, soll im Laufe dieses Jahres getestet werden. Dennoch zeigte sich Carlo des Dorides, Direktor der in Prag ansässigen Agentur für das Europäische Globale Navigationssatellitensystem (GSA), noch vor dem letzten Start zweier Galileo-Satelliten im Dezember 2015 zuversichtlich, dass dieses Jahr die ersten Dienste für Nutzer verfügbar sind. „Das Ziel für die ersten Dienste mit einer reduzierten Konstellation sind der offene, der öffentlich regulierte sowie der Such- und Rettungsdienst.“ Reduzierte Konstellation heißt, dass die Dienste in Sachen Verfügbarkeit und Kontinuität eingeschränkt funktionieren. Noch geht es also zumindest für die potenziellen Nutzer langsam voran. Ungewöhnlich ist das für ein Programm dieser Größenordnung nicht, wie ein Blick auf das amerikanische GPS zeigt. Auch hier vergingen von der Entscheidung bis zur vollen Inbetriebnahme mehr als 20 Jahre.
FLUG REVUE Ausgabe 06/2016