Im Reinraum von The Exploration Company (TEC) in Planegg südwestlich von München hängt eine große Europaflagge an der ansonsten kahlen, weißen Wand. Am Boden, auf Paletten, liegen große Metallteile. Aus ihnen wird der erste wiederverwendbare, europäische Frachtkapsel gebaut – oder zumindest sein Vorläufer, das Struktur- und Thermalmodell (STM). Wenn es fertig ist, wird es unter Bedingungen getestet, wie sie beim Raketenstart und im Weltraum herrschen. Denn schon im August 2028 soll die Kapsel namens Nyx (die griechische Göttin der Nacht) zur Internationalen Raumstation ISS fliegen – nur sieben Jahre, nachdem die Französin und ehemalige Airbus-DS-Managerin Hélène Huby TEC gegründet hat.
Auf rund 450 Millionen Euro schätzt TEC die Entwicklungskosten von Nyx, die Hälfte hat das Unternehmen bereits am Kapitalmarkt eingesammelt. Zum Vergleich: Die Entwicklung des letzten europäischen Raumtransporters ATV verschlang nach Angaben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) etwa 1,35 Milliarden Euro.
Kunden hat TEC für Nyx auch schon – und zwar nicht nur die Europäische Raumfahrtagentur. Die ESA hat TEC sowie Thales Alenia Space im Mai 2024 im Rahmen des LEO-Cargo-Return-Service-Wettbewerbs beauftragt, in einer ersten Wettbewerbsphase Frachtdienste in den erdnahen Weltraum (Low Earth Orbit, LEO) zu entwickeln. Den ersten kommerziellen Vorvertrag unterzeichnete TEC im September 2023 mit Axiom Space zur Belieferung der von dem US-Unternehmen geplanten Raumstation. Zudem gibt es Verträge mit Starlab und Vast, anderen Entwicklern von privaten Raumstationen. Im Februar 2025 hat auch das DLR Mitflüge von Experimenten mit Nyx gekauft. Bisher sind nach Angaben von TEC Verträge über fünf kommerzielle und eine institutionelle Mission unterschrieben – die erste wird der Flug zur ISS 2028 sein. Es handelt sich bei allen genannten um reine Serviceverträge, der Kunde kauft also den Flug als Dienstleistung ein.
NASA-Zertifizierung als wichtiger Schritt
"Das Konzept von Ankerkunden und Serviceverträgen ist der Unterschied, weshalb wir schneller sein können als große Unternehmen", sagt Victor Maier, der für das Geschäft in Deutschland und Mitteleuropa zuständig ist. Bisher schloss die ESA meist Entwicklungsverträge, die ein Projekt zu 100 Prozent finanzieren. Damit gibt sie aber auch sämtliche zu erfüllenden technischen Anforderungen vor. Solche Programme müssen ausgeschrieben werden, die ESA-Mitgliedsstaaten müssen sich darauf einigen, wer wie viele Mittel beisteuert. Nach dem Prinzip des Geo-Returns muss dann jedes Land entsprechende Industrieaufträge erhalten. Es ist ein komplizierter, langwieriger Prozess.
"In unserem Fall haben wir den Bedarf gesehen und gesagt: Wir bauen dieses Ding, unabhängig davon, ob es ein ESA-Programm gibt oder nicht", sagt Maier. Der ESA-Vertrag spielt aber dennoch eine wichtige Rolle. Er sorgt dafür, dass Investoren Vertrauen in TEC aufbauen. TEC schlägt eine 50-prozentige Co-Finanzierung der Entwicklungskosten, gemeinsam mit der ESA, vor. Ein ähnliches Modell sei im Rahmen der Commercial Resupply Services auch von der NASA in den USA umgesetzt worden, so Maier, sogar mit einer höheren Co-Finanzierung als 50 Prozent seitens der Raumfahrtbehörde. Der Ansatz von TEC verbinde öffentliche und private Mittel effizient. "Damit reduzieren wir das Risiko für die ESA-Mitgliedstaaten und schaffen zugleich Fähigkeiten, die Europa internationalen Partnern wie der NASA anbieten kann", sagt Maier. Bei der ESA-Ministerratskonferenz im November in Bremen wird über den weiteren Verlauf des LEO-Cargo-Return-Services-Wettbewerbs sowie TECs Vorschlag entschieden.
Der Zeitdruck für den ersten Flug der Nyx-Raumkapsel zur ISS ist hoch. Denn ab Mitte 2029 wird bereits das Deorbiting der Raumstation vorbereitet. Ab dann wird voraussichtlich der Dockingport von SpaceX, an den Nyx andocken soll, belegt sein – von einem SpaceX-Vehikel, das die ISS, oder zumindest den amerikanischen Teil, gezielt zum Absturz bringen soll. TEC setzt aber auf die Zertifizierung der NASA, und zwar sowohl für das selbständige Andocken als auch das sogenannte Berthing, bei dem die Kapsel vom Roboterarm Canadarm 2 eingefangen und an den Koppelstutzen geführt wird. "Die NASA-Zertifizierung ist für uns ein entscheidender Schritt", sagt Maier. "Sie entspricht dem höchsten internationalen Standard und öffnet uns die Türen zu künftigen Raumstationen, sowohl institutionellen als auch kommerziellen."
Künftig auch bemannte Missionen?
In den vier Jahren seit Bestehen hat TEC bereits zwei Demonstrator-Kapseln in den Weltraum geschickt: eine kleine bei der Bikini-Mission 2024 und eine etwas größere bei der Mission Possible im Juni 2025. Die Bikini-Mission konnte aufgrund einer Anomalie der Raketenoberstufe nicht in die richtige Wiedereintrittsbahn gebracht werden. Mission Possible war ein Teilerfolg.
Mit der Mission Possible schickte TEC am 23. Juni 2025 eine verkleinerte Nyx-Version ins All, die einen Wiedereintritt versuchen, an einem Fallschirm im Pazifik landen und geborgen werden sollte. Die Rückkehrkapsel hatte einen Durchmesser von 2,5 Metern und 300 Kilogramm Kundennutzlasten an Bord. Die Kapsel wurde innerhalb von drei Jahren entwickelt und gebaut, die Mission kostete inklusive Start 35 Millionen Euro. Der Start erfolgte im Rahmen der Transporter-14-Mission mit einer Falcon 9 von SpaceX von Kalifornien aus.
Die Kapsel wurde von der Oberstufe freigelassen und übernahm erfolgreich die Stromversorgung ihrer Nutzlasten. Das TEC-Team konnte auch sogenannte Nadir-Pointing-Manöver durchführen. Dabei wurde die Kapsel mithilfe des Autopiloten in unterschiedliche Richtungen orientiert – zur Vorbereitung auf spätere Docking-Manöver an Raumstationen. Der Wiedereintritt verlief nach allem, was TEC bisher weiß, erfolgreich. Bis auf eine Höhe von rund 26 Kilometern Höhe sendete die Kapsel Positionsdaten, dann kam nichts mehr. Das Bergungsboot im Pazifik hat während einer dreitägigen Suche weder die Kapsel noch Teile davon finden können. "Die Enttäuschung war anfangs natürlich schon groß", sagt Maier. "Aber wir sind auch stolz darauf, was wir in dieser kurzen Zeit erreicht haben." Was geschehen ist, wird derzeit von einem externen Review Board untersucht.
TEC hat vor der Mission Possible keinen Drop-Test der Kapsel von einem Hubschrauber oder Turm aus gemacht, um den Öffnungsmechanismus, der die Abdeckung des Fallschirms wegsprengt, sowie den Fallschirm selbst zu erproben. Für die nächste Kapsel wird im März ein solcher Test durchgeführt. "Das ist Teil unserer ‚fail fast, learn fast‘-Kultur, also schnell zu testen, zu lernen und zu verbessern", sagt Maier.
Zum Zeitpunkt unseres Besuchs im September bereitet das Unternehmen den Umzug seines Hauptsitzes in größere Räumlichkeiten vor. Der Region München bleibt man treu – "hier sind die Kompetenzen für Softwareentwicklung, Produktion und Industrialisierung von Hardware, sowie Elektronik vorhanden", sagt Maier –, es geht von Planegg ins benachbarte Oberpfaffenhofen. Tochterfirmen hat TEC in Bordeaux (Frankreich) und Turin (Italien), Büros gibt es in Luxemburg und Houston (USA). Perspektivisch will das Unternehmen auch in Richtung der Golfstaaten wachsen. TEC beschäftigt mittlerweile mehr als 300 Mitarbeiter, rund 150 davon sitzen in Bayern. Wie Huby und Maier kommen viele von Airbus Defence and Space oder ArianeGroup und haben bereits beim Europäischen Servicemodul (ESM) für die US-Mondkapsel Orion, beim ATV oder dem Ariane-Programm Erfahrungen gesammelt.
Mit der Belieferung der ISS oder künftiger kommerzieller Raumstationen im niedrigen Erdorbit allein will sich TEC nicht zufriedengeben. Auch Astronauten sollen künftig mit Nyx Earth in den niedrigen Erdorbit fliegen. Aktuell stellt die ESA das Columbus-Labormodul an der ISS zur Verfügung und erhält im Gegenzug für europäische Astronauten Mitfluggelegenheiten auf der Crew Dragon von SpaceX oder der russischen Sojus-Kapsel. Dieses Handelsabkommen ist aber spätestens dann hinfällig, wenn die ISS 2030 außer Dienst gestellt wird. TEC geht davon aus, dass Flüge zu künftigen Raumstationen in einer ähnlichen Frequenz wie heute die ESA rund 500 Millionen Euro jährlich kosten würden. "Diese Mittel könnten gezielt in Technologieentwicklung und hochwertige Arbeitsplätze in Europa fließen, und so eine eigenständige europäische Kapazität für astronautische Raumfahrt aufbauen", sagt Maier. Ansonsten würde das Geld in die USA gehen, um Flugtickets für europäische Astronauten zu bezahlen. "Dies ist eine politische Entscheidung und muss von den großen Nationen Europas beantwortet werden, da kein Land allein dafür aufkommen könnte", sagt Maier.
Modular wie Lego
Langfristig ist für TEC aber der Mond das Ziel. Das Unternehmen entwickelt Nyx daher modular nach dem Baukastenprinzip, "wie ein Lego-Set", sagt Maier. Das reduziert den Entwicklungsaufwand und die Kosten. Nyx Moon soll andere Triebwerke und einen veränderten Strahlenschutz bekommen, wenn das Raumschiff auf dem Mond landen soll, auch mit Landebeinen. Die Kapsel soll für Flüge zum Mond auch im Orbit wiederbetankt werden können – in ferner Zukunft möglicherweise mit Methan, das aus lunarem Helium-3 hergestellt wird, und Sauerstoff, den man aus Regolith gewinnen könnte.
"Unsere langfristige Vision ist, mehrere Missionen im All zu fliegen – zwischen Raumstationen, zwischen dem Mond und kommerziellen Stationen im erdnahen Orbit und zurück zur Erde", sagt Maier. Wenn man mehrere Destinationen im All ansteuere, sei das für den Kunden kostengünstiger, weil die Raketenstarts wegfallen. Auch wenn die Vision kühn ist, verzettelt sich TEC nicht in haufenweise neuen Technologien. "Wir erfinden das Rad nicht neu", sagt Maier. Man setzt auf das bewährte Kapseldesign, verwendet bekannte Materialien.
Raketentriebwerke, aber keine eigenen Raketen
Die Triebwerke entwickelt, fertigt und testet TEC allerdings selbst. Das Unternehmen arbeitet an unterschiedlichen Antrieben, die mithilfe von 3D-Druck entstehen: Mistral für Nyx Earth, betrieben mit hypergolen Treibstoffen, das Flüssigkeitstriebwerk Huracán und das Breeze-Reaktionskontrollsystem für Nyx Moon sowie ein wiederverwendbares Hochleistungsraketentriebwerk namens Storm. Getestet werden die Triebwerke bzw. ihre Komponenten auf eigenen Prüfständen in Bordeaux sowie beim DLR in Lampoldshausen.
Das Storm-Triebwerk soll beachtliche 1200 kN Schub leisten und wird mit Flüssigmethan und Flüssigsauerstoff betrieben. Selbst Raketen entwickeln und bauen will TEC allerdings nicht. Man wolle sich eher wie Rolls-Royce in der Luftfahrt positionieren, so Maier. In Cluster-Anordnung wäre das Storm-Triebwerk für unterschiedlich starke, wiederverwendbare Trägerraketen geeignet, die auch die Nyx Moon zum Mond befördern könnten. Maier ist überzeugt: "Europa muss seine eigenen Startkapazitäten ausbauen, mit kosteneffizienten, flexiblen und wiederverwendbaren Lösungen, um langfristig global wettbewerbsfähig zu bleiben."





