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"Zum Mars, das wär's!" — ESA-Astronaut Alexander Gerst im Interview

    Training, ISS, Zukunft als Raumfahrer
    "Zum Mars, das wär's!" — ESA-Astronaut Alexander Gerst im Interview

    Im Mai 2016 wurde der ESA-Astronaut Alexander Gerst für seine zweite Langzeitmission im All nominiert. 2018 wird der 40-Jährige als erster Deutscher auf der ISS das Kommando führen. Im Interview spricht der gebürtige Künzelsauer über sein Training, die Zukunft der ISS und seine Ambitionen als Raumfahrer.

    "Zum Mars, das wär's!" — ESA-Astronaut Alexander Gerst im Interview

    Ist der zweite Flug zur Internationalen Raumstation genauso auf-regend wie der erste, oder ist das schon fast ein bisschen Routine?

    Routine darf es nicht werden. In der Raumfahrt arbeiten wir an der Grenze des technologisch Machbaren. Man muss sich immer den Respekt davor bewahren. Das stellt sich auch automatisch ein, wenn man auf einer Rakete mit 300 Tonnen Treibstoff sitzt. Klar, ein Teil der Aufregung ist weg – die Anspannung vor einem Flug, weil man nicht weiß, was auf einen zukommt. Diese Gedanken kann ich nun getrost beiseite schieben. Ich freue mich darauf, dass ich jetzt Kapazitäten frei habe, einige Dinge bewusster wahr­zunehmen. Die Geräusche bei meinem ersten Start habe ich zum Beispiel komplett vergessen.

    Was ist bei der Mission 2018 anders als 2014?

    Zum einen werde ich auf dem Pilotensitz der Sojus fliegen, das ist der linke Sitz neben dem Kommandanten der Kapsel. Dafür gibt es zusätzliches Training. Im Prinzip habe ich das ganze Jahr 2016  damit verbracht, mich in die Tiefen und Details des Flugkontrollsystems einzu-arbeiten, um zu lernen, wie man eine Sojus-Kapsel steuert. Das geht so weit, dass ich mit zwei Joysticks an der Raumstation andocken oder die Kapsel manuell in die Atmosphäre fliegen muss. Das übt man auch in der Zentrifuge bei 5 oder 6 g Beschleunigung. Das ist nicht ganz einfach, es macht aber riesigen Spaß, so ein Raumschiff komplett kennenzulernen. Zum anderen werde ich in der zweiten Hälfte meiner Mission Kommandant auf der ISS sein. Schon im Training bin ich nicht nur für mich selbst zuständig, sondern auch für meine Crew. Das ist eine spannende Aufgabe.

    Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem bisherigen Trainingsstand?

    Sehr zufrieden. Für mich ist es jetzt leichter, weil ich einschätzen kann, was wichtig ist. Vor dem ersten Flug war das schwierig. Im Training bekommt man sehr viele Informationen, und man muss selbst entscheiden, worauf es ankommt. Es ist aber nicht so, dass wir die Füße auf den Schreibtisch legen, es sind immer noch Zwölf-Stunden-Arbeitstage.

    Ihre letzte Mission hieß „Blue Dot“ und war mit einer klaren Botschaft verbunden. Wie wird das 2018 sein?

    Wir haben uns schon einen Namen überlegt, er wird allerdings erst im April 2017 bekannt gegeben. Aber es geht darum, dass wir zeigen, wie wichtig die Raumstation für unsere Erde ist, dass wir wichtige Erkenntnisse zurückbringen. In jedem Wissenschaftszweig gibt es eine Lücke, weil man bestimmte Dinge aufgrund der Gravitation nicht auf der Erde erforschen kann. Die Raum­station ist das einzige Labor, wo wir
    diese Experimente durchführen können. Die zweite Botschaft ist, dass die Raumstation auch unser erster Schritt weiter in den Kosmos ist. Dort testen wir Lebenserhaltungssysteme, die wir brauchen, wenn wir zum Mond oder zum Mars fliegen wollen.

    Unsere Highlights
    „Die Erde sieht immer wieder anders aus.“ Foto und Copyright: ESA

    Die ISS kann wohl maximal bis 2028 betrieben werden. Wie geht es danach weiter?

    Die europäische Raumfahrtagentur hat dafür schon Pläne. Einer davon ist das Orion-Modul, das die ESA zusammen mit der NASA baut. Die ESA ist für das Antriebsmodul verantwortlich. Es ist das erste Mal, dass die Amerikaner bei einem solchen Explorationsvehikel einen internationalen Partner auf den kritischen Pfad gelassen haben. Das ist ein schönes Kompliment, aber für uns auch eine Möglichkeit, weiter in den Weltraum zu fliegen. Das alleine ist aber noch kein Programm, das groß genug wäre. Deshalb untersucht die ESA gerade, welche Elemente man mit Partnern der internationalen Explorationsstrategie bauen könnte: ein Habitat, das man im Weltraum auf dem Weg zum Mond „parken“ kann, oder eben auch Habitate auf dem Mond selbst.

    Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Rolle Chinas? Als Konkurrenz oder als potenziellen Kooperationspartner?


    Beides. Konkurrenz belebt das Geschäft. Die Chinesen machen große Schritte, und ich finde das gut. Letztendlich arbeiten wir für dasselbe Ziel. Im Moment ist das noch eher ein Wettlauf, aber die ESA hat schon immer gesagt, dass sie offen ist für Kooperationen. Ich sehe künftige Weltraumexploration als internationale Zusammenarbeit. Es wäre schön, wenn alle mit dabei wären.

    Was ist Ihr persönlicher Traum als Astronaut?

    Ein Flug zum Mond oder zum Mars, das wär’s! Ich kriege Gänsehaut, wenn ich mir das vorstelle. Wann es wieder eine Landung auf dem Mond gibt, ist zwar schwierig vorherzusagen. Aber das Orion-Modul ist Realität, es ist schon gebaut und wird im Moment getestet. Damit ist es in absehbarer Zeit greifbar und möglich, dass wir weiter hinaus in den Weltraum fliegen, um den Mond herum zum Beispiel. Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ich dabei eine Rolle spielen könnte, in welcher Form auch immer.

    Was interessiert Sie als Wissenschaftler am Mond?

    Sehr wahrscheinlich ist der Mond aus der Erde heraus entstanden. Das eröffnet die Möglichkeit, den Mond als Archiv zu benutzen. Wir können daraus lernen, wie die Erde zusammengesetzt ist, wie sich unser Planet entwickelt hat. Der Mond hat auch logistische Vorteile. Wir könnten dort vielleicht einmal Helium-3 als Energiespeicher abbauen. Der Mond gibt uns auch die Möglichkeit, besser Ausschau zu halten – beispielsweise auf der Rückseite ein Teleskop zu bauen oder auch irgendwann eine Basis zu entwickeln, von der aus man Aste­roiden ablenken könnte. Generell geht es um Grundlagenforschung: Wie können wir da draußen leben? Wie ist der Mond aufgebaut? Gibt es dort Wasser? Können wir dabei lernen, wie wir weiter zum Mars fliegen?

    Durch Ihre Popularität bringen Sie die Raumfahrt wieder ins Gespräch. Welchen Nutzen ziehen Sie selbst aus Ihrer Bekanntheit?

    Ich habe es immer als Privileg gesehen, dass ich in den Weltraum fliegen und diese Erfahrung machen konnte. Aber für mich war es auch immer eine Pflicht, dieses Privileg weiterzugeben. Das hat natürlich Vor- und Nachteile für mein Privatleben. Es ist nicht immer ganz einfach, mit der Popularität umzugehen. Aber es gibt auch schöne Momente. Wenn man beispielsweise vor 2000 Studenten oder einer Schulklasse redet und die Begeisterung spürt. Wenn ich die Gesellschaft vielleicht ein bisschen zum Guten verändern kann, indem ich mehr Jungen und Mädchen dazu bringe, an ihren Traum zu glauben und daran zu arbeiten, ist das für mich ein riesiges Kompliment.

    Auf was freuen Sie sich bei Ihrer zweiten Mission auf der ISS am meisten?


    Da gibt es einiges. Der Blick aus der Cupola, diese Vielfalt! Die Erde sieht immer wieder anders aus. Und ich habe auch immer gern im Wissenschaftsmodul gearbeitet. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich Wissenschaftler bin. Die Bandbreite der Experimente macht großen Spaß. Und ich freue mich auch auf die Situation an Bord, die Freundschaft. Wenn ich mich an meine letzte Mission zurückerinnere, da gab es viele großartige Momente mit meinen Mannschaftskameraden.

    Das Interview führte Ulrike Ebner

    FLUG REVUE Ausgabe 02/2017

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