Die Ära der Hyperschallwaffen hat aus Sicht von Wes Kremer, Chef von Raytheon Missiles & Defense, nun definitiv begonnen. Die US-Militärs stehen dabei nicht unbedingt an der Spitze und müssen eher gegen China und Russland aufholen. Dies wird mit einer ganzen Reihe von Entwicklungsprogrammen versucht– mit so vielen, dass das Government Accountability Office schon anmahnte, das Verteidigungsministerium solle "Rollen und Zuständigkeiten klären, um die Koordinierung aller Entwicklungsbemühungen zu gewährleisten". Immerhin geht es um über zwei Milliarden Dollar pro Jahr, die derzeit in Hyperschall-Forschung und die Vorbereitung von Produktionsprogrammen gesteckt werden.
Zu den aktuellen Programmen gehört auch HACM, die Hypersonic Attack Cruise Missile von Raytheon und Northrop Grumman, die am 22. September einen Auftrag in Höhe von 985,34 Millionen Dollar erhielten, um bis März 2027 die ersten Mach 5 schnellen Marschflugkörper zu liefern. Das Team setzte sich bei HACM gegen Angebote von Lockheed Martin und Boeing durch. Die Waffe ist die erste ihrer Art, denn sie verwendet für den Antrieb nicht einen Raketenmotor, sondern einen Scramjet. Scramjet-Triebwerke nutzen die hohe Geschwindigkeit des Flugkörpers, um die einströmende Luft vor der Verbrennung zu komprimieren, was einen anhaltenden Flug mit Hyperschallgeschwindigkeiten ermöglicht.

Tests in Australien
Durch diese Fluggeschwindigkeit können Hyperschallwaffen wie die HACM ihre Ziele schneller erreichen als vergleichbare herkömmliche Flugkörper, so dass sie potenziell Abwehrsystemen entgehen können.
"Die Hypersonic Attack Cruise Missile schafft eine neue Klasse von strategisch wichtigen Waffen für das US-Militär", sagte Mary Petryszyn, Corporate Vice President und President von Northrop Grumman Defense Systems. Ihre Reichweite dürfte bei rund 1000 Kilometern liegen, die in etwa zehn Minuten statt in einer Stunde wie bei Marschflugkörpern wie JASSM-ER zurückgelegt werden. Wichtig für HACM ist, dass sie so klein und leicht ist, dass sie auch von F/A-18E/F Super Hornets getragen werden kann (Gewichtslimit etwa 1800 Kilogramm). Bei der Entwicklung ist nämlich Australien mit an Bord. Im Rahmen von SCIFiRE (Southern Cross Integrated Flight Research Experiment), das im November 2020 bekannt gegeben wurde, geht es darum, die Entwicklung von Hyperschalltechnologien voranzutreiben, was unter anderem Flugtests in Australien beinhaltet.
Eine Herausforderung
Die Lieferung von einsatztauglichen Hyperschallflugkörpern bis 2027 ist eine Herausforderung, denn bisher waren längst nicht alle Versuche von Erfolg gekrönt. Immerhin gelangen Raytheon/Northrop Grumman im September 2021 und Anfang Juli 2022 zwei erfolgreiche Freiflüge. "Bei diesem zweiten Flug der HAWC-Konstruktion von Raytheon wurden die beim Flug 2021 gesammelten Daten genutzt. Nach dem Abwurf von einem Flugzeug (vermutlich F-18) brachte die erste Stufe den Flugkörper auf den erwarteten Scramjet-Flugbereich. Dort zündete das Scramjet-Triebwerk von Northrop Grumman und trieb den Flugkörper über eine Distanz von 550 Kilometern auf Geschwindigkeiten von mehr als Mach 5 und in Höhen von über 18 000 Metern", teilte die DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) daraufhin mit.

ARRW von Lockheed Martin
Raytheon verspricht den Einsatz von digitalen Entwicklungsmethoden, einschließlich der Erstellung digitaler Zwillinge oder virtueller Repliken und der Verwendung von Modellierung und Simulation zur Erstellung von Analysen. "Die Arbeit in einer digitalen Umgebung ermöglicht es uns, zeit- und kostenintensive Tests zu vermeiden", so John W. Otto, Senior Director of Advanced Hypersonic Weapons bei Raytheon Missiles & Defense. "Die Bedrohungen entwickeln sich in einem solchen Tempo, dass die bisherigen Zeitpläne nicht mehr genügen, um den akuten Bedarf der Streitkräfte an Hochgeschwindigkeits- und Langstreckenwaffen für ihre Einsätze zu decken."
Als erste Hyperschallwaffe soll die US Air Force im kommenden Jahr die ARRW (AGM-183A Air-launched Rapid Response Weapon) erhalten. Lockheed Martin setzt derzeit die Testflüge fort, um so schnell wie möglich eine anfängliche Einsatzfähigkeit (Early Operational Capability, EOC) zu erreichen. Der erste voll erfolgreiche Test gelang erst am 14. Mai vor der Küste Kaliforniens. Nach der Trennung von der B-52 zündete der ARRW-Booster und brannte für die erwartete Dauer, wobei der Testflugkörper eine Geschwindigkeit von Mach 5 erreichte. Bei der AGM-183A handelt es sich im Gegensatz zu HACM um ein raketengetriebenes sogenanntes Boost-Glide-System. Dabei wird ein Hyperschall-Gleitflugkörper mindestens auf Mach 5 beschleunigt. Nach der Trennung vom Booster kann er manövrieren und seinen Kurs ändern, um die Aufgabe der Verteidigung zu erschweren. Die ARRW ist etwa 6,5 m lang und hat einen Durchmesser von 70 Zentimetern.