Es wäre das letzte Kapitel einer vor Pleiten, Pech und Pannen nur so strotzenden Geschichte: Wie die Tageszeitung Iswestija aus anonymer Quelle erfuhr, hat Russland Reparatur und Modernisierung des Flugzeugträgers "Admiral Kusnezow" bis auf Weiteres eingestellt und prüft stattdessen eine Entsorgung des einst in der Ukraine gebauten Schiffes. Noch ist diese nicht final beschlossen, aber "der Oberbefehlshaber der Marine und die Vereinigte Schiffbaukorporation werden bald über das Schicksal des Flaggschiffs der russischen Flotte entscheiden müssen", so Iswestija.
Damit einhergehend ist in den Führungszirkeln der russischen Marine und unter Analysten seit geraumer Zeit ein Streit im Gange, ob Flugzeugträger als Waffensystem in Zukunft überhaupt noch praktikabel sind. Doch egal, ob sie die schwimmenden Fliegerhorste für ein Relikt aus der Vergangenheit halten oder ihre Unverzichtbarkeit betonen, in einem Punkt scheinen sich alle Experten einig: Die Zeit der "Admiral Kusnezow" ist ein für alle Mal vorbei. Allenfalls als Museumsschiff ließe sich das irdische Dasein des rostenden Trägers noch einigermaßen sinnstiftend verlängern.
Verfluchter Flugzeugträger
Eine Rückkehr in den Dienst dürfte, auch wenn formell noch nichts entschieden ist, damit endgültig vom Tisch sein. Das ist sicher keine Überraschung, angesichts der Ereignisse rund um die "Kusnezow" in der jüngeren Vergangenheit. Schließlich ist Russlands einziger Flugzeugträger, den die russische Marine Ende 1991 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der frisch in die Unabhängigkeit entlassenen Ukraine nach Murmansk überführte, schon seit 2018 wegen grundlegender Wartungs- und Modernisierungsarbeiten außer Gefecht gesetzt.
Während dieser Arbeiten ging von Anfang an so ziemlich alles schief, was schiefgehen konnte: Als Erstes sank das PD-50-Schwimmdock in der Kola-Bucht, wo sich der Träger für die erste Phase der Instandsetzung eingeschifft hatte. Dabei kippte ein 70 Tonnen schwerer Kran des Docks auf den Flugzeugträger und durchlöcherte das Deck, ein Arbeiter starb. Zwar gelang es im Anschluss, das schwer beschädigte Schiff wie geplant zur nahegelegenen Werft Nr. 35 zu schleppen, jedoch musste dort erst ein geeignetes Trockendock geschaffen werden, das groß genug war, um die "Kusnezow" aufzunehmen. Drei Jahre lang verblieb der Träger deshalb in Murmansk an einem Liegeplatz im Hafen der Werft – wo man die Arbeiten im Inneren des Schiffes unterdessen fortsetzte.

Die "Admiral Kusnezow" ließ auch im aktiven Dienst kaum eine Panne aus. Sie stach deshalb stets nur mit Hochseeschlepper in See.
"Verdorbene Fehlkonstruktion"
Im Dezember 2019 kam es im Zuge von Schweißarbeiten im Maschinenraum zu einem Brand, der mindestens zwei Mechaniker das Leben kostete. Wieder trug der Träger schwere Schäden davon, die aufwändig behoben werden mussten. Ein weiteres Feuer, das im Dezember 2022 ausbrach, konnte immerhin ohne nennenswerten Schaden gelöscht werden – und schließlich zog man die "Kusnezow" im Frühjahr 2023 endlich erfolgreich aus dem Trockendock.
Aus dem damals für 2024 avisierten Comeback des Flugzeugträgers wurde jedoch wieder nichts. Angesichts der Schilderungen von Iswestija scheint es dazu auch nicht mehr zu kommen. Stattdessen hat sich in Russland nach Jahren wohl endgültig die Überzeugung durchgesetzt, dass ein Aufpäppeln der "Admiral Kusnezow", der die russische Marine auf hoher See selbst in besseren Zeiten wegen ihrer notorischen Anfälligkeit für technische Defekte stets einen Schlepper an die Seite setzte, jeder Sinnhaftigkeit entbehrt. Viele Beobachter hatten bereits vor Jahren gefordert, die "durch und durch verdorbene Fehlkonstruktion" endlich ad acta zu legen und sich stattdessen auf neue Projekte zu fokussieren.

"Brauchen wir einen neuen Flugzeugträger?" Diese Frage ist in Russland wohl noch nicht entschieden.
Braucht es noch Flugzeugträger?
Wie diese konkret aussehen könnten, darüber ist man sich in Russland uneins. Während einige den Bau eines neuen, kleineren Flugzeugträgers fordern, der mit (noch zu bauenden) Kampfjets des Typs Suchoi Su-75 "Checkmate" oder mit gekauften Shenyang J-35 aus China bestückt sein sollte, setzen andere die Relevanz des Waffensystems Flugzeugträger insgesamt in Zweifel. So zitiert Iswestija den ehemaligen Chef der russischen Pazifikflotte, Admiral Sergej Awakjanz, die russische Marine brauche in Zukunft "keine Flugzeugträger im klassischen Stil" mehr. Flugzeugträger gehörten der Vergangenheit an, weil sie "eine sehr teure und ineffiziente Marinewaffe" darstellten, die man "mit modernen Waffen in wenigen Minuten zerstören" könne, so Awakjanz. Befürworter eines neuen Flugzeugträgers wie der Analyst Ilja Kramnik halten dagegen, die Marine brauche ein solches Schiff, um auch fernab von Küstenflugplätzen Unterstützung aus der Luft zu gewährleisten. "Die Tatsache, dass viele Länder, darunter Indien und China, derzeit eine Flugzeugträgerflotte aufbauen, deutet darauf hin, dass solche Schiffe benötigt werden", kommentiert Kramnik gegenüber Iswestija.