Aeroflot - Mit Hammer und Sichel in die Zukunft

Aeroflot-Wachstumsplan 2023
Mit Hammer und Sichel in die Zukunft

Veröffentlicht am 28.06.2020

Airbus-Auslieferungszentrum Toulouse am 28.Februar: Der erste von 22 bestellten Airbus A350-900 für Aeroflot, aus steuerlichen Gründen mit der Bermuda-Registrierung VQ-BFY, Taufname "P. Tchaikovsky", wird übergeben. Auf dem Leitwerk "weht" die russische Flagge, der Rumpf ist nun weiß, die Triebwerke sind dunkelblau mit orangefarbenen Zierringen. Fast versteckt unter dem neuerdings vergrößerten Aeroflot-Schriftzug: das traditionelle Logo mit geflügeltem Hammer und Sichel. Auch der Airline-Code "SU" erinnert noch an Sowjetzeiten.

Airbus

Eine der weltweit jüngsten Flotten

Die Mischung aus Alt und Neu ist typisch für Aeroflot: Eine der weltweit jüngsten Flotten, Durchschnittsalter nur 4,2 Jahre (2018), modernste Kabineneinrichtungen und Bordunterhaltungssysteme, guten Service und traditionell anmutende Flugbegleiteruniformen mit "Schiffchen" kombiniert Aeroflot zu der ihr eigenen Mischung.

Neue Businessclass

An Bord ihres neuesten Großraumzweistrahlers besticht bei Aeroflot vor allem die neue Businessclass im Bugabteil. Hier thronen 28 Passagiere in Minisuiten in der Anordnung 1+2+1, die entfernt an die Suiten von "Delta One" oder die "QSuites" bei Qatar Airways erinnern. Rundum angeordnete Trennwände und Schiebetüren sorgen hier für Privatsphäre, etwa wenn man auf Langstrecken auf dem 32-Zoll-Großbildschirm Filme betrachtet, am eigenen Laptop arbeitet oder wenn man seinen Sessel in ein flaches Bett verwandelt hat. Eine persönliche Minibar hält Getränke bereit, Schuhe und Garderobe verschwinden in eigenen Schränkchen.

Comfortclass

Dahinter folgt das Mittelfeld mit 28 Sitzen der "Comfortclass", wie Aeroflot ihre Premium Economyclass nennt. Hier sitzt man luftig in der Anordnung 2+4+2 mit breiten Armlehnen und ausklappbaren Fußstützen auf Liegesesseln. Schließlich folgen die Sitze der regulären Economyclass: 264 Sitze in zwei Abteilen, Anordnung 3+3+3, Sitzabstand 32 Zoll. Insgesamt finden 316 Fluggäste aller Klassen an Bord der A350 bei Aeroflot Platz. Alle haben Zugriff auf ein Panasonic-eX3-Bordunterhaltungssystem der neuesten Generation.

Turbulente Phase der Zerschlagung

Nach einer für das Unternehmen turbulenten Phase der Zerschlagung seiner geerbten zentralistischen Strukturen nach dem Ende der Sowjetunion entstanden unabhängige regionale Unternehmen, die sogenannten "Babyflots". Seit 1994 stehen die Zeichen für Aeroflot grundsätzlich wieder auf Wachstum. Seinerzeit wurde mit landesweit nur noch 3,1 Millionen Flugpassagieren im Jahr die Talsohle durchschritten.

Wachstumsplan 2023

Im Rahmen einer ehrgeizigen Wachstumsstrategie will Aeroflot nun gemäß ihres Zukunftsplans 2023 noch deutlicher zulegen und die schon erreichte Größe für noch mehr internationales Geschäft nutzen. So soll die Flotte von 364 Flugzeugen im September 2019 bis zum Jahr 2023 auf 520 Flugzeuge inklusive Regionalflugzeugen wachsen. Dafür sollen auch 200 Jets, insbesondere Suchoi SSJ100 und Irkut MS-21, bei russischen Herstellern beschafft werden. Die Passagierzahl soll von 55,7 Millionen für die Gruppe im Jahr 2018 auf 90 bis 100 Millionen Fluggäste zulegen. Darunter sollen dann 10 bis 15 Millionen internationale Umsteiger sein.

Patrick Zwerger

Osteuropäisches Heimatdrehkreuz

Mit ihrem osteuropäischen Heimatdrehkreuz Moskau-Scheremetjewo sieht sich Aeroflot für den Luftfahrt-Wachstumsmarkt Europa-Asien besonders gut gerüstet. So liege die russische Hauptstadt entlang der Großkreisroute von etwa London nach Bangkok oder Hongkong, Madrid nach Schanghai oder etwa New York nach Delhi direkt an der Wegstrecke. Damit biete sich Moskau zum Umsteigen perfekt an. Dank einer neu gebauten dritten Start- und Landebahn kommt "SVO" flugbetrieblich auf bis zu 90 Flugbewegungen in der Stunde. Bis 2026 wächst die Flughafenkapazität durch Terminalerweiterungen auf 80 Millionen Passagiere im Jahr. Dann wird auch eine neue Schnellbahn den Flughafen anbinden, unabhängig vom stark staugeplagten Hauptstadt-Straßenverkehr.

Regionale Basen

Neben Scheremetjewo will Aeroflot aber ausdrücklich auch außerhalb der russischen Hauptstadt wachsen. So sollen Sotschi, Jekaterinburg und Nowosibirsk zu "regionalen Basen" mit stationierten Flugzeugen ausgebaut werden. Kühnster Bestandteil des Plans ist aber der Aufbau eines internationalen Drehkreuzes in Krasnojarsk. Hierfür sieht Aeroflot den 2017 mit einem neuen Terminal modernisierten Flughafen "KJA" der sibirischen Millionenstadt mit seiner 3700 Meter langen Startbahn bereits bestens vorbereitet. Die Airline will Passagiere auf dem Weg von Asien nach Europa und in umgekehrter Richtung künftig in Moskau oder Krasnojarsk umsteigen lassen. Eine Boeing 737-800 mit Zweiklassenbestuhlung schaffe reichweitenseitig ab Krasnojarsk sogar Ziele wie Berlin oder Prag, rechnet Aeroflot vor. Südostwärts reiche der mögliche Einsatzradius der Narrowbodies ab Sibirien aber auch bis Bangkok, Tokio oder Seoul.

Neue Digitalisierungsstrategie

Um die Passagiere auf diese neuen Routen zu leiten, setzt Aeroflot auf eine neue Digitalisierungsstrategie, die den Vertrieb und Verkauf auch international beleben soll. Dafür hat Aeroflot bereits ihre zuvor kleinteilige Informationstechnologie in drei gleichgroßen Software-Blöcken konzentriert: Sabre, SAP und Lufthansa Systems liefern heute die Programmpakete für rundum integrierte, elektronische Prozesse zwischen Weinkarte und Wartung. Nach Umfang der Digitalisierung sieht sich Aeroflot schon heute auf dem weltweit dritten Rang, hinter SIA, Qantas und Delta und vor Air Canada, United, American – und Lufthansa.

Drei Aeroflot-Töchter

Beim Vertrieb spielen auch drei patriotisch benannte Aeroflot-Töchter eine wichtige Rolle, die den unterschiedlichen Kundengruppen jeweils für sie maßgeschneiderte Angebote unterbreiten sollen.

1. Rossija (Russland) ist die in Moskau-Scheremetjewo, Moskau-Wnukowo und Sankt Petersburg beheimatete Tochter für Linien- und Charterflüge im mittleren Preissegment, die anteilig etwa 20 Prozent der Passagiere des Konzerns befördert. Neben den typischen Standardrumpfflugzeugen betreibt Rossija für den Fernost- und Charterverkehr auch Widebodies. Ab Moskau bedient die Airline im Auftrag der Regierung außerdem sogenannte "Sozialrouten", die entlegene Orte zu Festpreisen anbinden. Ausgewählte Verbindungen sind auch mit dem Aeroflot-Hauptnetz verknüpft.

2. Pobeda (Sieg) ist eine Konzerntochter für den Direktverkehr von und nach Moskau und Sankt Petersburg sowie für den Direktverkehr innerhalb der wichtigsten Regionen. Viele Sitzplätze an Bord, eine hohe Flottenausnutzung und hohe Zielauslastung zeigen, dass Pobeda mit einer reinen Standardrumpfflotte als Niedrigpreisairline für Kurz- und Mittelstrecken konzipiert ist. Pobeda hat etwa 16 Prozent Anteil am Passagieraufkommen des Konzerns.

3. Aurora (benannt nach dem legendären Panzerkreuzer, der mit einem Schuss das Signal zum Sturm auf das Winterpalais und für die Oktoberrevolution gab) ist eine Linienfluggesellschaft für den Fernen Osten Russlands, das bekanntlich bis an den Pazifik reicht. Mit nur drei Prozent Anteil am Aufkommen ist sie noch relativ klein, versorgt aber wichtige Regionen abseits der europäischen Metropolen mit Luftverkehrsdiensten. Basen sind Wladiwostok, Chabarowsk und Juschno-Sachalinsk. Mit 23 Flugzeugen werden 50 Routen bedient, davon 15 internationale bis nach Tokio und Hongkong.

Patrick Zwerger

Skyteam-Mitglied

In der Auflistung fehlt natürlich noch die Mutter selbst, Aeroflot. Das Skyteam-Mitglied sieht sich in der eigenen Rollenbeschreibung als "Flagship Carrier" und Drehkreuzairline für Premiumkunden, die ihre Routen mit hoher Frequenz bedient und von Kurzstrecken bis zu Langstrecken alle Routenlängen abdeckt. Hierfür werden Standardrumpf- und Großraumflugzeuge eingesetzt. Neben die Heimatbasis in Moskau-Scheremetjewo soll, siehe oben, künftig Krasnojarsk treten. Mit 61 Prozent Anteil an den beförderten Passagieren im Konzern übernimmt Aeroflot klar die Führungsrolle. Im Sommer 2019 wurden 159 Routen im Linienverkehr bedient. Mit einem Passagier-Ladefaktor von 80,2 Prozent meldete Aeroflot für die ersten neun Monate 2019 eine solide Auslastung.

300 weltweite Routen

Der Aeroflot-Konzern kommt auf rund 300 weltweite Routen in 57 Staaten, mit denen 187 Zielorte verknüpft werden. Darunter sind in Deutschland Berlin, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, München, Stuttgart und Hannover. Die Tochter Pobeda bedient auch Leipzig. Während die Zahl der Destinationen nur noch gemäßigt zulegt, verdichtet Aeroflot die Zahl der Flüge. So wurde 2019 Prag wöchentlich 42-mal angesteuert, London 35-mal und Tel Aviv 36-mal. Unter den Inlandszielen wurde Sankt Petersburg 140-mal, Sotschi 77-mal und Jekaterinburg 63-mal bedient. 2020 wurden bereits die neuen Ziele Mumbai und Osaka eröffnet, Chengdu, Goa und Singapur hätten – vor Corona geplant – folgen sollen, die Verkehrsrechte liegen vor. Mit 29 Codeshare-Partnern von Cubana bis Delta und Garuda kann das Skyteam-Mitglied Aeroflot zusätzlich 151 Ziele anbinden.

Großes Vereinheitlichungsprogramm

In der Konzernflotte läuft ein großes Vereinheitlichungsprogramm. Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der Flugzeugfamilien von 18 auf 8 gesenkt worden. Darunter sind 60 Großraumflugzeuge, 242 Standardrumpfflugzeuge für Mittelstrecken und 62 Standardrumpfflugzeuge für Regionalstrecken. Bis 2023 soll die Flotte auf 80 Widebodies wachsen. Die neue A350-900 ersetzt vor allem die A330-Flotte im Segment um 300 Sitze.

Wie sich die für alle Airlines folgenschwere Corona-Krise auf das skizzierte Wachstumsprogramm auswirkt, ob und wie lange die Flottenbeschaffungen und Pläne zeitlich gestreckt werden, war bei Redaktionsschluss noch nicht abzusehen.

Aeroflot im Überblick

Airline-Code: SU
ICAO-Code: AFL
Gründung (Vorgängerin Dobrolet mit Junkers F13): 1923
Umsatz 2019: 10,3 Mrd. Euro (+10,8%)
EBITDA 2019: 2,56 Mrd. Euro
Nettogewinn 2019: 137 Mio. Euro
Beförderte Passagiere 2019: 60,7 Mio. (+9 %)
Flotte: A320: 74, A321: 33, A330-200: 5, A330-300: 14, A350-900: 1,737-800: 47,777-300ER: 19, Superjet 100: 54