Unsere Firma hat noch den Pioniergeist aus der Gründungsphase in Alaska“, schwärmte Alaska-Airlines-Chef Brad Tilden. „Die Mitarbeiter sind innovationsfreudig und geben sich bei allem große Mühe, damit die Kunden wirklich zufrieden sind. Diese Werte erkenne ich auch in der Unternehmenskultur von Virgin America, das wird uns gemeinsam noch stärker machen.“ Anfang April gab Alaska Airlines die umgerechnet rund 2,3 Milliarden Euro teure Übernahme von Virgin America bekannt. Durch die Übernahme von Schulden und Leasingverträgen könnte der Kaufpreis am Ende noch auf fast die doppelte Höhe kommen. Damit schnappte Alaska die „Premium-Niedrigpreis-Fluggesellschaft“ Virgin America dem Konkurrenten jetBlue weg, der sich ebenfalls für die Kalifornier interessiert hatte.

Der frühere Delta-Präsident und Chef der Niedrigpreistochter Song, Frederick Reid, hatte schon 2005 begonnen, Virgin America als US-Unternehmen im Mehrheitsbesitz amerikanischer Investoren aufzubauen. Die Betriebsaufnahme erfolgte 2007. Für das „hippe“ Image sorgte der britische Virgin-Erfinder Richard Branson mit einer Minderheitsbeteiligung seiner Virgin-Gruppe von 25 Prozent. Mit Live-TV und Zugang zum Internet an Bord, farbiger, auf die Tageszeit abgestimmter Kabinenbeleuchtung, der Getränke- und Speisenbestellung per berührungsempfindlichem HD-Bildschirm des Bordunterhaltungssystems, mit schicken, jungen Flugbegleitern und moderner Airbus-Flotte versuchte sich die für ihren Service mehrfach preisgekrönte Virgin America von ihren alteingesessenen, aber wesentlich größeren US-Inlandskonkurrenten abzuheben.
Allerdings konnte sie ihren Standorttrumpf San Francisco nie richtig ausspielen. Weil das junge Unternehmen viele Sitze zu Kampfpreisen auf den Markt warf und lange Zeit kaum Geld verdiente, musste es sein Routennetz an anderer Stelle schon wieder ausdünnen, während es mit Hawaii noch neue Strecken aufbaute. Ein Verkauf schien nach dem Börsengang 2014 nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Bleibt die Marke Virgin erhalten?

Jetzt stieg mit Alaska Airlines ein finanzstarker und mit bereits 220 Jets erfolgreicher Emporkömmling aus dem pazifischen Nordwesten bei den Kaliforniern ein, der zwar auf den ersten Blick deutlich biederer wirken mag als seine Neuerwerbung, aber ebenfalls sehr zukunftsorientiert agiert. Als erste US-Fluggesellschaft verkaufte Alaska Airlines Tickets online und erprobt derzeit elektronische Gepäckanhänger. Mit Recaro-Ledersitzen, Steckdosen am Platz, neuen Flugbegleiter-Uniformen und aufgefrischter Lackierung macht man auch in der Außenwirkung große Fortschritte. Gleichzeitig verknüpft Alaska über Codeshare-Vereinbarungen mit internationalen Langstreckenairlines geschickt ihr dichtes Inlandsnetz mit dem Rest der Welt und macht dort ihre Marke bekannter.
Das gemeinsame Routennetz von Alaska und Virgin America kommt, sobald die Transaktion abgeschlossen ist, auf 27 Prozent mehr Umsatz, 1200 tägliche Abflüge, wobei Virgin vor allem neue transkontinentale Routen von San Francisco und Los Angeles aus zu Großstädten an der US-Ostküste beisteuert. Rund 200 Millionen Euro Synergieeffekte pro Jahr sollen nach erfolgter Integration abfallen. Das gemeinsame Hauptquartier der vereinigten Airlines bleibt in Seattle, der Alaska-Basis. Ab Anfang 2018 wird der Flugbetrieb unter einer vereinheitlichten Betriebslizenz (AOC) gebündelt. Könnte dies darauf hindeuten, dass Alaska die Marke Virgin Atlantic aufgeben will? Dafür spricht die Tatsache, dass sich Richard Branson bereits zu Wort meldete. Er werde einfach eine neue Virgin America gründen, falls man seine – vermutlich zu seinen Gunsten lizenzgebührpflichtige – Marke auslaufen lassen sollte, drohte Branson von seiner karibischen Ferieninsel Necker Island aus in den amerikanischen Medien. Der Virgin-Verwaltungsrat hatte der Übernahme immerhin vorab zugestimmt. Branson persönlich hatte sich dabei jedoch der Stimme enthalten.
Nicht zur Debatte stehen offenbar Entlassungen. Alaska Airlines kündigte bereits an, die Techniker, Piloten und Flugbegleiter, die sogenannten „Inflight Teammates“, von Virgin America übernehmen zu wollen.
Mit der Übernahme von Virgin America zieht Alaska Airlines endlich an ihrem Erzkonkurrent jetBlue vorbei und steigt hinter American, Delta, Southwest und United schlagartig zur nationalen Nummer 5 der USA auf. Die starke Präsenz an der Westküste verknüpft nun die nachfragestarken Heimatregionen der US-Elektronikindustrie zwischen Seattle, San Francisco, Los Angeles und San Diego miteinander. Alaska Airlines setzt damit ihren erfolgreichen Expansionskurs in Richtung Südosten fort.
FLUG REVUE Ausgabe 06/2016