Die UN-Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass 16 Prozent der Weltbevölkerung mit irgendeiner Form von körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung leben, das sind 1,3 Milliarden Menschen. Der Anteil der Menschen mit Behinderung wächst, denn der Altersdurchschnitt der Weltbevölkerung nimmt zu. Da Menschen mit Behinderung selbstverständlich auch Reisen und Flugreisen unternehmen, sind das Fliegen mit Behinderung und die Barrierefreiheit dabei ein wichtiges Thema für die Luftfahrtbranche.

Begleitete Abfertigung einer PRM-Kindergruppe.
Immer mit Voranmeldung
"PRM" (Person with reduced mobility/Person mit eingeschränkter Mobilität) nennt sich das Kürzel für unterstützungsbedürftige Reisende, denen nach Voranmeldung – in Deutschland bei Mittelstrecken typischerweise spätestens 48 Stunden vorher, sonst aber auch bis zu 96 Stunden vorher – vielerlei Hilfsdienste zur Verfügung stehen. Diese Klassifizierung schließt auch psychische oder altersbedingte Hilfsbedürftigkeit ein, wenn sie eine Sonderbetreuung erfordert. Typische PRM-Fluggäste sind Rollstuhlfahrer – vom Ski-Beinbruch mit Gipsbein bis zur Querschnittlähmung. Zeitweilige oder ständige Rollstuhlfahrer erhalten das Kürzel WCHR oder WCHC (Wheelchair) im Buchungscomputer. Hier wird auch vorab genau erfasst, ob ein Passagier kurzzeitig Treppenstufen steigen könnte oder nicht. Das ist für den Transport durch den Flughafen ins Flugzeug bis hin zur Planung von Evakuierungen seitens der Flugbegleiter und für etwaiges Umsteigen wichtig. Deshalb kann die Zahl von mitreisenden Behinderten an Bord eines Fluges aus reinen Evakuierungssicherheitsgründen beschränkt sein. Bei Flügen mit hohem Anteil von Rollstuhlfahrern, etwa Pilgerflügen, wird die erforderliche Anzahl von mitreisenden Betreuern vorher genau eingeplant, die weit über die übliche Zahl der Flugbegleiter reichen kann.

Ein Diehl-Ingenieur demonstriert die Benutzung einer Rollstuhl-geeigneten WC-Kabine im Flugzeug.
Bordrollstühle und flexible WC-Lösungen
Damit Rollstuhlfahrer in engen Economy-Class-Kabinen beweglich bleiben, gibt es eigene, schmalere Bord-Rollstühle. Sie sind zwar nicht so bequem wie der eigene Rollstuhl, passen aber auch in enge Bordtoiletten. In neueren Flugzeugkabinen lassen sich für die Betreuung behinderter Menschen oft zwei benachbarte Einzel-Toilettenräume durch faltbare Wände zu einem größeren "Zweier"-Raum zusammenlegen. Dadurch kann ein mitreisender Angehöriger den behinderten Passagier bei voller Privatsphäre mit wesentlich mehr Bewegungsfreiheit unterstützen, eine deutliche Verbesserung. Die ausklappbaren "Airchair"-Bordrollstühle passen auch in sehr enge Bordtoiletten; ein Diehl-Ingenieur demonstrierte die Nutzung einer Doppel-WC-Kabine mit faltbaren Wänden als benötigte Bewegungsfreiheit. Airline-Buchungssysteme können eine Vielzahl von Betreuungs-Besonderheiten der Passagiere vermerken: etwa Orientierungsschwierigkeiten oder kognitive Beeinträchtigungen und psychische Beeinträchtigung (Code: DPNA), Sehschwäche und Blindheit (Code: BLND), Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit (Code: DEAF). Laut Bundesverband der Luftverkehrswirtschaft (BDL) besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Assistenzdienste.

Weltweit macht ein unermüdliches Heer von Helfern Flugreisen für Menschen mit Behinderung möglich.
Freiwillige Helfer und spezialisierte Abfertigung
Die eigentliche Hilfe übernehmen neben Airlines und Flughäfen vielerorts Freiwillige. Diese Helfer, zum Beispiel in Köln/Bonn vom Roten Kreuz gestellt, bugsieren Rollstühle und deren Insassen schonend durch die Eingeweide des Flughafens, führen Blinde durch enge Treppenhäuser und geleiten sie zum richtigen Gate – selbstverständlich mit voller Sicherheits-, Pass- und Handgepäckkontrolle. Weltweit macht ein unermüdliches Heer von Helfern, oft ehrenamtlich, Flugreisen für Menschen mit Behinderung möglich, etwa auch in Fort Lauderdale, Florida. Passagiere mit Einschränkungen warten oft etwas abseits der üblichen Flughafen-Abfertigungsanlagen, etwa in Bereichen hinter dem Personaleingang oder direkt unten auf der Vorfeldebene. Von hier übernehmen bei Bedarf spezielle Vorfeld-Hubwagen den Transport, die Rollstuhlfahrer in einer Buskabine sanft direkt auf die Höhe der Kabinentür heben können, sodass stufenfrei an Bord gelangt werden kann. Zum Beispiel mit einem "SideBull" des österreichischen Herstellers Bulmor. Die langjährig erfahrenen Österreicher kommen ursprünglich aus dem Bereich Logistikfahrzeuge und Baumaschinen und bieten ihre extrem wendigen (fast 90 Grad Lenkeinschlag) Hubfahrzeuge mit seitlichem Fahrstand wahlweise mit 100-kW-Dieselmotor oder Akku-Elektroantrieb an. Bis zu 15 Personen, davon typischerweise vier bis fünf Rollstuhlfahrer, passen in den 8,3 m langen und 2,7 m breiten, anhebbaren Fahrgastraum, der sich, auch bei 100 km/h Sturm, standsicher auf 8,10 m Höhe (A380-Oberdeck), optional auch noch höher, ausfahren lässt. Die Passagiere können bei Bedarf ohne Kante vom Vorfeldboden zusteigen, aber auch von der Schwellenhöhe eines Vorfeldbusses oder den unterschiedlichen Türhöhen der meisten Regionaljets oder Verkehrsflugzeuge. Den eigentlichen Übergang zum Flugzeug stellt eine ausfahrbare Front-Plattform mit Geländer her, die durch eine "Zunge" lückenlose Verbindungen schafft. Der SideBull fährt mit bis zu 30 km/h über die Vorfelder.

Autistische Kinder werden mit "Sonnenblumen"-Bändern gekennzeichnet.
Unsichtbare Behinderungen: Sunflower-Lanyard und geschultes Personal
Nicht immer sieht man Fluggästen ihre Behinderung oder Hilfsbedürftigkeit von außen an, etwa bei Autismus. Dazu wurde, wie in der englischsprachigen Welt bereits weit verbreitet und zunehmend auch bei uns üblich, der "Sunflower"-Status geschaffen. Dabei dient ein Halsband mit "Sonnenblumen"-Zeichen zur Erkennung von Fluggästen, die zusätzliche Ansprache benötigen und ihre Bedürfnisse nicht oder nur schwer wie andere Menschen ausdrücken können und manchmal in einer Art innerer Isolierung leben. Besonders geschultes Personal kann diesen intensiveren Betreuungsbedarf abdecken.

Diät-Bordessen von Korean Air: Auch beim Essen kann es Einschränkungen geben.
Barrierefreiheit entlang der gesamten Reisekette
Rechtliche Grundlage für die Hilfeleistungen ist der EU-Artikel 5 der "Verordnung (EG) Nr. 1107/2006". Er weist Airlines und Flughäfen an, behinderten Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität Hilfe beim Weg zum Abfertigungsschalter, bei der Gepäckabfertigung, beim Weg zum Flugzeug und beim Passieren der vorher nötigen Kontrollen zu geben und bei Bedarf Hilfsmittel wie Fahrstühle und Rollstühle zur Verfügung zu stellen. Die gleichen Hilfen gibt es natürlich umgekehrt nach der Ankunft. Neben Flughäfen und Airlines reicht das System auch bis zur Bahn oder in die Parkhäuser des Flughafens, wo eigene Behinderten-Stellplätze zur Verfügung stehen. Bei der Bahn ist eine separate Anmeldung nötig. So weit die Hilfe auch reicht, grenzenlos ist sie nicht: Die Helfer können nicht beim Toilettengang helfen oder die Reisenden zur Toilette heben. Auch medizinische Handgriffe können nicht durchgeführt werden. Falls diese Hilfen gewünscht sind, sollte sich der Reisende von einem Angehörigen oder einem eigenen Pfleger begleiten lassen. Manche Airlines gewähren der privaten Pflegeperson Ermäßigungen oder einen kostenlosen Mitflug. Meistens wird dafür ein amtlicher Schwerbehindertenausweis mit dem Vermerk "B" vorausgesetzt. Einen Rechtsanspruch gibt es nicht. Die besonderen Hilfsleistungen für den eigentlichen Passagier seitens des Flughafens und der Airlines sind für diesen kostenlos. EU-Fluggesellschaften dürfen eine Buchung von behinderten Menschen nicht wegen deren Behinderung ablehnen. Hilfsmittel wie ein Rollstuhl oder Gehstock werden kostenlos mitgenommen. Anerkannte Begleithunde, etwa Blindenhunde, dürfen ebenfalls kostenlos mitgenommen werden – und in die Kabine. An Bord sollte jeder Fluggast seinen Sitzgurt schließen und öffnen, seine Sauerstoff- und Schwimmweste anlegen und zum Notausgang gelangen können. Wenn dies nicht möglich ist, sollte eine Begleitperson mitfliegen, empfiehlt das Luftfahrt-Bundesamt (LBA).





