FLUG REVUE: Herr Dr. Schöllhorn, die ILA 22 stellt "Innovationen und Technologien für den klimaneutralen Luftverkehr" thematisch in den Mittelpunkt. Was sind darunter Ihre persönlichen Highlights, auf welche besonderen, technischen Leckerbissen darf man sich freuen?
Schöllhorn: Ich freue mich vor allem, dass die ILA Berlin zum ersten Mal seit vier Jahren wieder vor Ort am BER stattfindet. Unter dem Motto "Pioneering Aerospace" machen wir die Zukunft der Luft- und Raumfahrt für alle erlebbar. Wir zeigen den Weg zum klimaneutralen Fliegen, den Nutzen der Raumfahrt für jeden einzelnen, und die weitreichende Bedeutung von Schutz und Sicherheit. Wir alle haben wohl in den vergangenen Monaten vor Augen geführt bekommen, dass unsere Sicherheit nicht gottgegeben ist. Persönlich bin ich besonders gespannt auf den einzigartigen Space Pavilion, den Auftritt der Bundeswehr und das zahlreiche Fluggerät – am Boden und am Himmel. Und auf das Live-Programm auf den fünf Stages zu den zukunftsweisenden Kernthemen unserer Branche.
FLUG REVUE: Können Sie schon verraten, welche ILA-Ausstellungsstücke Airbus beisteuern wird? Was sind für Airbus die großen Messethemen in diesem Jahr?
Schöllhorn: Die großen Themen sind Verteidigung und Sicherheit, klimaneutrales Fliegen und Raumfahrt. In diesen Hochtechnologie-Bereichen passiert derzeit nicht nur unglaublich viel, sie leisten unverzichtbare Beiträge für unser Leben. Sicherheit ist Voraussetzung einer umfassenden Nachhaltigkeit und Grundlage für Frieden, Wohlstand und Demokratie. Und umgekehrt sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz auch präventive Konfliktvermeidung. Beides zu fördern ist unsere Mission, und sie findet ihren Niederschlag im Pioniergeist der ILA.
Vor diesem Hintergrund werden wir die gesamte Bandbreite unserer Branche zeigen. Es wird eine Vielzahl unserer Produkte zu sehen und erleben sein wie die A350, unsere Beluga, der in der momentanen Situation aufgrund des Ausfalls der Antonow-Flotte im Bereich der Schwerlasttransporte eine besondere Bedeutung zukommt.
Natürlich werden wir auch den Eurofighter und die A400M sehen, dazu zivile und militärische Helikopter, unbemannte Luftfahrtsysteme und eVTOL. Wir werden auch zeigen, wie wichtig Raumfahrtanwendungen und –technologien sind für besseres Verständnis des Klimas, für Nachhaltigkeitsprojekte und für Sicherheit und Verteidigung.
FLUG REVUE: Um die Klimaziele zu erreichen, sollen nachhaltige Kraftstoffe eine wichtige Rolle spielen. Macht es sich die Luftfahrtindustrie damit nicht zu einfach? Schiebt man damit nicht die Verantwortung auf die Energiebranche ab?
Schöllhorn: Keinesfalls. Unsere Flugzeuge werden ja immer effizienter, zudem entwickeln wir mit dem ZEROe bis 2035 ein Null-Emissions-Fahrzeug mit Wasserstoffantrieb. Die Energiewende am Himmel werden wir nur gemeinsam stemmen, hier müssen alle ihren Teil beitragen. Dabei sind SAF's ein wichtiger, aber nicht der einzige Aspekt.
FLUG REVUE: Wie sind die BDLI-Unternehmen bisher durch die Lieferkettenkrise und die Corona-Wirren gekommen? In Asien dauern sie ja noch an.
Schöllhorn: Die Luft- und Raumfahrtindustrie ist im Großen und Ganzen recht gut durch die Covid-Krise. Bezüglich der Chipkrise sind wir aufgrund der geringeren Stückzahl bislang geringer betroffen als etwa in der Autoindustrie. Aber die Lage wird kritischer, auch durch die Situation in China. In vielerlei Hinsicht suchen unsere Mitglieder derzeit Alternativen, etwa durch Anbieter in Europa.
FLUG REVUE: Die Messe Berlin hat, offenbar aus der diesjährigen "klimaneutralen" Themensetzung heraus, bereits angekündigt, dass keinerlei Oldtimer oder Flugstaffeln auf der ILA 22 auftreten werden. Wörtlich, "nichts, das stinkt oder stottert". Unterstützt der BDLI diese Gangart, auch die Industrie erhält ja technische Kostbarkeiten in ihren Sammlungen, manche sogar flugfähig, die sonst viel Begeisterung für die Luftfahrt wecken?
Schöllhorn: Die historische Entwicklung ist Teil der Faszination Fliegen. Kurz gesagt: Zukunft braucht Herkunft. Oldtimer finden jedoch an anderen Orten ihre berechtigte Würdigung. Bei der ILA geht es um "Pioneering Aerospace". Unser Blick richtet sich bewusst in die Zukunft. Wir machen erlebbar, wie nachhaltiges Fliegen mit neuen zukunftsweisenden und disruptiven Technologien Wirklichkeit wird.
FLUG REVUE: Die ILA kann nach der halbwegs überstandenen Corona-Pandemie nun endlich wieder in die Vollen gehen. Allerdings werden wohl, als Vorsichtsmaßnahme, nur 10.000 Besucher pro Tag mit vorverkauften Tickets kommen dürfen. Reicht Ihnen diese Größe und geht damit nicht der langjährige Erfolg der ILA als echter Publikumsmagnet für die Massen verloren? Versucht die ILA in künftigen Jahren, wieder mehr Publikum zuzulassen?
Schöllhorn: Diese Vorsichtsmaßnahmen sind richtig, denn Sicherheit steht auch bei dieser Messe für uns an erster Stelle. Dennoch wird die ILA mit täglich fünfzehntausend Besuchern und Teilnehmern erste große europäische Luft- und Raumfahrtausstellung seit Corona sein und zudem die größte Aerospace-Messe in der EU in diesem Jahr. Zusätzlich zum spannenden, die Zukunft unserer Branche darstellenden Live-Programm vor Ort wird es die "ILA Digital" geben, eine attraktive Digitalplattform. So kann wirklich jeder dabei sein kann – vor Ort und virtuell.
FLUG REVUE: Viele neue ILA-Beschränkungen, ein stark verkleinertes Vorfeld, minimale Einzelflugvorführungen und eine Messehalle weniger, werden mit dem Betrieb des BER begründet. Dabei wurde vorher versprochen, der Betrieb und die ILA könnten problemlos parallel stattfinden. Sind Sie mit dieser Situation zufrieden? Wie müsste sich die ILA aus Sicht des BDLI verändern und wie sicher ist die Zukunft der ILA, auch speziell am BER?
Schöllhorn: Es stimmt, dass sich die Situation durch die Eröffnung des BER verändert hat. Aber was Singapur Changi kann, kann der BER auch: eine große Luft- und Raumfahrtmesse an einem Hauptstadtflughafen. Es wird sowohl im Static Display als auch im Flying Display – mit einigen Einschränkungen – eine Menge zu sehen sein. Die ILA als bedeutende politische Messe hat ihren Sitz fest in Berlin, am BER, im Herzen Europas. Den Termin für die ILA 2024 werden auf der diesjährigen Veranstaltung verkünden.
FLUG REVUE: Die ILA punktet mit sehr hochrangigen Besuchern aus Politik, Diplomatie, Verwaltung und Militär, auch international. Welche Themen sind in diesem Bereich, der sich außerhalb der Besucher abspielt, für den BDLI auf der ILA am wichtigsten? Ist die ILA auf dem Weg zu einer reinen Fachbesucherkonferenz?
Schöllhorn: Erst einmal ist es gut und wichtig, dass zur ILA so viele Entscheider kommen. Der Bedeutung unserer Industrie trägt der Bundeskanzler durch die Eröffnung der Messe am 22. Juni Rechnung. Darüber freuen wir uns sehr. Drei Bundesministerien begrüßen wir als Aussteller der ILA: Das Verteidigungsministerium ist mit der Bundeswehr größter ILA-Aussteller, auch das BMWK mit dem ILA Future Lab und das BMDV sind dabei. Besonders stolz sind wir, die Europäische Kommission als strategischen Partner der ILA gewonnen zu haben.
Aber gleichzeitig wollen wir mit der ILA auch die breite Öffentlichkeit erreichen. Unsere Themen sind ja derzeit hochaktuell: Wie können wir uns, unsere Art zu leben, besser schützen? Wie können wir fliegen, ohne die Umwelt zu belasten? Dazu die wachsende Faszination und Bedeutung der Raumfahrt mit ihrer im Wortsinn "allumfassenden" Bedeutung als unser ständiger Begleiter im Alltag, und dies für die gesamte Menschheit. Und schließlich sprechen wir auch die besten (Nachwuchs-)Kräfte für unsere Branche an. Es wird auch Fluggerät aller Art zu sehen sein, so dass alle Luft- und Raumfahrtbegeisterten auf ihre Kosten kommen. Die Publikumstage am 25. und 26. Juni haben für uns hohe Bedeutung.
FLUG REVUE: Welche Rolle wird der Ukraine-Krieg auf der diesjährigen ILA und in den nächsten Jahren für Deutschland und seine Luftfahrtindustrie spielen?
Schöllhorn: Die Bundeswehr ist – wie in früheren Jahren – wieder größter Aussteller auf der ILA. Daran hat sich nichts geändert, aber natürlich ist das Interesse an unserer systemrelevanten Industrie gewachsen. Der Ukraine-Krieg hat auf jeden Fall ein Umdenken bei Vielen ausgelöst. Es wird viel stärker erkannt und auch anerkannt, wie wichtig eine starke Luft- und Raumfahrtindustrie ist, die über die entsprechenden technologischen Fähigkeiten verfügt, die im Dienste des Schutzes unserer demokratischen Werteordnung und der Souveränität Deutschlands und Europas stehen.
FLUG REVUE: Airbus glänzt als herausragendes Erfolgsmodell der europäischen Kooperation. Und mit der neuen A321neo, darunter der XLR, hat Deutschland, nach jahrelanger Arbeit, den aktuell dicksten Fisch im weltweiten Flugzeugbau an der Angel, woran auch Sie beteiligt waren. Jetzt, beim militärischen Flugzeugbau, ist die Lage schwieriger. Das ohnehin komplizierte Thema FCAS ist in den französischen Präsidentschaftswahlkampf geraten. Welchen Weg schlagen Sie hier bei der Kooperation vor? Gäbe es einen goldenen Weg für die Aufteilung der Aufgaben und Rollen?
Schöllhorn: Stimmt, A321neo und nun die Langstreckenversion XLR sind die richtigen Flugzeuge zum richtigen Zeitpunkt. FCAS ist und bleibt das bedeutendste verteidungspolitische Industrieprojekt Europas für die kommenden Jahrzehnte, ein System der Systeme, an dem viele Akteure zusammenarbeiten werden. Sechs von sieben Pfeilern, auf denen FCAS steht, sind endverhandelt und alle Industriepartner sich einig. Beim Next Generation Fighter sind noch in den finalen Gesprächen mit unserem Partner Dassault Aviation. Dauert das? Ja, aber in einem solch zukunftsträchtigen Projekt ist es gut, wenn von Anfang an die wesentlichen Details berücksichtigt und abgestimmt sind. Wir sind optimistisch, dass wir hier bald in die nächste Phase, 1B genannt, eintreten können.
FLUG REVUE: Neben den Flugzeugen selbst verändert sich auch der Flugzeugbau ganz entscheidend. Roboter übernehmen Teile der Fertigung, sitzen vielleicht bald sogar mit im Cockpit. Was raten Sie jungen Menschen, die sich für eine Karriere in der Luftfahrt interessieren? Welche, vielleicht anderen, Qualifikationen und Merkmale brauchen die Luft- und Raumfahrtingenieure von morgen? Wie kann man sich am besten darauf vorbereiten und wie kommt man als Interessent am Besten in Kontakt mit den Unternehmen, gerade auch mit sehr hochwertigen Mittelständlern, die aber oft nicht so im großen Rampenlicht stehen?
Schöllhorn: Die Aufgaben, die vor uns liegen, könnten doch gar nicht wichtiger, zukunftsweisender und spannender sein! Die Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie wird weiterwachsen und Menschen, Kulturen, Wirtschaften und Welten verbinden. Gleichzeitig arbeiten wir mit Hochdruck am klimaneutralen Fliegen bis 2050. Das bedeutet, dass wir eine neue, innovative Generation von Luftfahrzeugen vorbereiten.
Daher halte ich es für die perfekte Zeit, jetzt eine Karriere in der Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie in Betracht zu ziehen. Ausbildung, Beruf und Karriere schreibt die ILA wieder groß: Schüler*innen, Studierende, junge Talente, erfahrene Professionals, Quereinsteiger*innen und alle Karriere-Interessierte können sich im ILA Career Hub an den Publikumstagen mit Top-Arbeitergebern austauschen – und davor bereits im digitalen Career Hub.
FLUG REVUE: Im Flugzeugbau spielen heute auch branchenfremde Unternehmen eine wachsende Rolle, viele aus dem IT-Bereich. Bauen Sie als BDLI neue "Brücken" in dieser Richtung? Wo erwarten Sie künftig ein mögliches, engeres Zusammenrücken mit bisher "Externen"?
Schöllhorn: Brücken zu bauen gehört quasi zur DNA unserer Industrie. Unsere Branche war seit jeher stark von Automation und Daten geprägt. Die Digitalisierung ist daher für uns kein Neuland. Aber datenbasierte Geschäftsmodelle spielen zum Beispiel in der zivilen Luftfahrt eine immer größere Rolle. Hier wollen wir noch stärker mit IT-Unternehmen, aber auch mit Start-ups zusammenarbeiten. Start-ups leisten vielversprechende Impulse und unverzichtbare Innovations- und Technologiesprünge für uns. In allen Sektoren der Luft- und Raumfahrt sind wir mit vielen im engen Austausch.
Mit Blick auf die IT-Branche hat der BDLI vor geraumer Zeit einen Digitalbeirat gegründet, der die großen Digitalthemen begleitet und mitgestaltet: Vom Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Supply Chain über Datenaustausch in Clouds wie Gaia-X bis hin zu den Potentialen der Quantentechnologie, die aber auch Herausforderungen im Bereich der Cybersicherheit mit sich bringt. Bei allen diesen Themen arbeiten wir eng mit großen Software- und IT-Systemhäusern zusammen.
Die Fragen stellte Sebastian Steinke.