Spüren, wie sich die Steuerung anfühlt, herausfinden, ob die Ingenieure mit ihren Berechnungen ins Schwarze getroffen haben und die Konstruktion aerodynamisch funktioniert: Erstflüge mit neuen Flugzeugmustern sind die wohl spannendste Aufgabe für Testpiloten. Allerdings, viele von ihnen erleben dieses High-light vielleicht einmal in ihrer Karriere, manch anderem bleibt die Ehre, ein komplett neues Muster beim Jungfernflug zu steuern, das ganze Berufsleben lang verwehrt. Denn viel öfter ist das zu testende Luftfahrzeug nicht neu, sondern eine Weiterentwicklung. So müssen verlängerte Versionen von etablierten Airlinern wie der A350-1000, ein neuer Antrieb unter der Cowling eines Propellerflugzeugs wie beispielsweise der Continental-Dieselmotor in einer Cessna 182 oder ein neuer Mode des Flugregelungssystems wie der automatische Start beim Helikopter Airbus H145 ausführliche Testprozeduren durchlaufen, bevor sie den Segen der Zulassungsbehörde erhalten. Gleiches gilt für externe Anbauten, mit denen Flugzeugmuster für bestimmte Einsätze fit gemacht werden, wie beispielsweise die Sensoren an den Atmosphärenforschungsflugzeugen des DLR.

Testpiloten bringen ihre Flugzeuge nicht nur an die Grenzen ihres Flight Envelope, sondern erproben auch Notverfahren.
Flugerprobung und Entwicklung
Allen Testflügen gemein ist, dass es am Ende darum geht, die Flugeigenschaften und Leistungsdaten zu erfliegen oder zu verifizieren und das Flugzeug dabei an die Grenzen seiner Flight Envelope zu bringen. So gehören auch extreme Flugmanöver wie Stall- und Trudelerprobung dazu oder der Betrieb in extremer Hitze und Kälte. Auch die Demonstration von Systemausfällen und dazugehörigen Notverfahren schließen die Flugversuche ein. Die Testergebnisse fließen in Zulassung, Flughandbuch und Ausbildungsverfahren ein oder werden für die Verifikation von Computersimulationen oder per Windkanal ermittelter Daten verwendet. Grundlagenforschung in der Aerodynamik, wie es beispielsweise in den 1940ern bis 1960ern mit der Bell X-1 oder der North American X-15 der Fall war, spielt heute kaum mehr eine Rolle, denn die Grenzbereiche sind weitgehend ausgelotet. Zudem wird heute viel mit Simulationen oder unbemannten Fluggeräten erledigt. Die "exotischeren" Aufgaben liegen vielmehr in den Bereichen Lärmentwicklung und -vermeidung wie im Projekt NASA X-59 oder Auswirkungen von starker Vereisung, die das DLR mit einer Falcon 2000 erfliegt. Testpiloten spielen aber nicht erst in der Flugerprobung eine Rolle, ihre Arbeit beginnt schon während der Entwicklung neuer Muster. Hier validieren sie in Simulatoren die Ergonomie eines Cockpits oder geben Feedback zum Feintuning eines Fly-by-Wire-Systems. Weiterhin führen sie Demonstrations- und Rekordflüge durch – ein Beispiel ist die Landung eines H145 auf dem Gipfel des Aconcagua, des mit knapp 7000 Metern höchsten Berges Nordamerikas –; fliegen Begleit- oder Fotoflug-zeuge bei Flugexperimenten oder helfen bei der Aufarbeitung von Unfällen, indem sie die Crashszenarien nachfliegen. Auch Abnahme- oder Zulassungsflüge neuer Flugzeugexemplare im Rahmen der Serienproduktion gehören zu ihren Aufgaben.

Der spätere Mond-Pionier Neil Armstrong flog als Testpilot auch die Mach 6 schnelle X-15.
Arbeit im Team mit Ingenieuren
In nahezu allen Szenarien arbeiten Testpiloten Hand in Hand mit Flugversuchsingenieuren, die Testprogramme entwerfen, Testflüge leiten und deren Ziele überwachen oder Messequipment steuern. Die Ausbildung von Testpiloten und Flugversuchsingenieuren geschieht in speziellen Testpilotenschulen. Traditionell wurden diese Einrichtungen von den Luftwaffen verschiedener Staaten betrieben. Legendäre Beispiele sind die US Air Force Test Pilot School auf der Edwards Air Force Base in Kalifornien oder die Empire Test Pilot School in Boscombe Down, Großbritannien. In den letzten Jahren sind aber auch zivile Schulen entstanden, als erste nahm die National Test Pilot School in Mojave, Kalifornien, den Betrieb auf. In Europa hat sich die Euro Flight Test, kurz EFT, etabliert, die am Siegerland Airport beheimatet ist.
Testpilotenausbildung auf der Stearman bei EFT
Das Unternehmen bietet verschiedene Lehrgänge an, die auf die unterschiedlichen Aufgabenfelder von Testpiloten und Flugversuchsingenieuren zugeschnitten sind: Zivil oder militärisch, Flächenflugzeug oder Hubschrauber, Entwicklungstest oder Produktionstest – die Kurse sind so vielfältig wie die späteren Aufgaben der Absolventen. Neben Theorie zur Flugzeugtechnik und der Systematik der Flug-erprobung besteht die Ausbildung vor allem darin, möglichst viele, den Schülern zunächst unbekannte und vom Handling her unterschiedliche Flugzeuge bzw. Hubschrauber zu fliegen. Dabei geht es einerseits um die sichere Beherrschung des Geräts, wobei die Erarbeitung des Flughandbuchs und Einweisungen durch erfahrenere Piloten eine besondere Rolle spielen. Andererseits sollen die Schüler im Rahmen der Flüge auch erste Evaluierungen durch-führen. Hier gibt es drei Bereiche: Systeme, beispielsweise die Funktion verschiedener Autopilotenmodi, Flugleistungen wie Reise- und Steiggeschwindigkeit oder Start- und Landestrecken sowie Flugeigenschaften, wobei man sich mit statischer und dynamischer Stabilität sowie dem Stall-Verhalten auseinandersetzt. Diese Ausbildung absolvieren im Übrigen auch Flugtestingenieure, allerdings ist bei ihnen die Anzahl der Flugstunden geringer. Die Flugzeuge, die dafür benötigt werden, chartert EFT üblicherweise, lediglich eine speziell ausgerüstete Remos GX gehört der Schule. "Die Anzahl an Schülern ist überschaubar, dementsprechend gering die Anzahl der Flugstunden", erklärt Reiner Exner, Managing Director & Chief Flight Test Engineer bei Euro Flight Test. "Würden wir alle Flugzeuge selbst unterhalten, wäre die Ausbildung viel zu teuer." Einer der Partner, mit denen EFT zusammenarbeitet, ist Alois Bader, ehemals Mitarbeiter bei Airbus und heute als Berater und Luftfahrtsachverständiger aktiv. Er betreibt am Flugplatz Tannheim eine Boeing Stearman. Und auf diesem historischen Doppeldecker – die Serienfertigung endete 1944 – absolvierten jüngst zwei Testpilotenschüler die Flüge für ihre Abschlussarbeit.

Bei der EFT findet ein Teil der Ausbildung zum Testpiloten auf der historischen Boeing PT-17 Stearman statt.
Anspruchsvolle Fliegerei
Warum aber gerade die Stearman? Während dieses Muster aufgrund seiner Konzeption als Schulflugzeug in der Luft gut beherrschbar ist, erfordert es höchste Aufmerksamkeit bei der Landung. Als Spornradflugzeug befindet sich der Masseschwerpunkt hinter dem Hauptfahrwerk, und es bildet somit ein instabiles System in der Vorwärtsbewegung. Zu den Herausforderungen gehören auch die geringe Spurweite des Hauptfahrwerks und der recht hohe Schwerpunkt, da sich der Tank in der Center Section des oberen Flügels befindet. All dies begünstigt die Instabilität bei der Landung und macht das Ende des Fluges insbesondere bei Seitenwind überaus anspruchsvoll. Die Neigung zum Springen bei der Landung teilt dieses Muster mit den meisten anderen Spornradflugzeugen. Die Aufgabe der beiden Testpilotenschüler war es, die Stearman als Agrarflugzeug zu evaluieren. In der Vorbereitung wurde eine typische Sprühmission definiert und davon abgeleitet, welche Eigenschaften ein Agrarflugzeug haben sollte: beispielsweise kurze Start- und Landestrecken, ein gutes Handling in niedriger Höhe, ein möglichst geringer Wenderadius und ein unkritisches Verhalten bei niedrigen Geschwindigkeiten.

Im Briefing wird jeder Testflug detailliert geplant, von Manövern über Aufgabenverteilung bis hin zu eingesetzten Geräten – Sicherheit steht an erster Stelle.
Briefing und ausführliche Planung sind das A und O
Das in der Luftfahrt generell angewandte Prinzip der Risikominimierung gilt für die Testfliegerei ganz besonders. Deswegen wird für jeden Flug in einem ausführlichen Briefing genau geplant, was wie erflogen werden soll: Welche Anfangshöhe und -geschwindigkeit sind für ein Manöver nötig? Welche Steuereingaben werden gemacht? Wie sieht die Aufgabenverteilung zwischen dem Piloten und der übrigen Flugtestcrew aus? Welche Parameter werden als Ergebnis festgehalten? Welche Geräte wie beispielsweise Stoppuhr, Flugdatenrekorder, Kameras, Sensoren kommen zum Einsatz, und wann und wie werden sie aktiviert? Für jedes Manöver wird eine sogenannte Testkarte geschrieben, auf der all diese Daten vermerkt sind. Am Briefing sind neben den beiden Schülern Alois Bader als Co-Pilot sowie Reiner Exner als Ausbilder beteiligt. Bader ist dabei auch Ansprechpartner für die Eigenheiten seiner Stearman, damit die Schüler nicht daran scheitern. Im Rahmen der Testflüge erproben die beiden Schüler zunehmend anspruchsvollere Manöver: Start- und Landestreckenermittlung, Längsstabilität, relevante Geschwindigkeiten, Verhalten beim Strömungsabriss, Trudeln und schlussendlich simulierte Sprühflüge über die Piste. Nach dem Flug findet ein ähnlich ausführliches Debriefing statt: Was hat gut geklappt und was nicht, sind die Testergebnisse plausibel, haben alle Sensoren funktioniert, war die Kamera an, was müssen wir bei einem vielleicht nächsten Flug wiederholen? Danach schreibt die Testcrew einen detaillierten Flug- und Testbericht, in dem die Fragestellungen der Erprobung beantwortet und mit Daten belegt werden. Resümee? Auch wenn die Stearman früher als Agrarflugzeug eingesetzt wurde, wäre das bei den heutigen Anforderungen nicht mehr möglich. Die Sicht für den Piloten ist sehr eingeschränkt, die Motorleistung lässt kaum Marge zum Manövrieren, und das bereits angesprochene kapriziöse Landeverhalten ist auch keine gute Voraussetzung. Dazu kommt das Problem des offenen Cockpits: Angesichts der nicht unbedingt gesundheitsfördernden Chemikalien im Sprüheinsatz ist diese Auslegung gänzlich ungeeignet.

Als Testpilot braucht man umfangreiche Flugerfahrung, idealerweise auf verschiedenen Mustern, sowie tiefgreifendes technisches Verständnis.
Draufgänger unerwünscht
Die offensichtliche Voraussetzung, um Testpilot zu werden, ist eine ausreichende Flugerfahrung. Denn in der Testfliegerei kommt es vor allem darauf an, präzise und wiederholbar zu fliegen und nebenbei zu kommunizieren, das Messequipment zu bedienen und sich Notizen zu machen. Das Interesse an Technik und Aerodynamik sowie ein Verständnis für die Zusammenhänge sind ebenso Grundlage, um später mit den Ingenieuren gut zusammenzuarbeiten. Die unter Piloten und Ingenieuren vermeintlich verbreitete Abneigung gegenüber "Schreibkram" ist allerdingshinderlich, denn die Vor- und Nachbereitung umfasst eine Menge Papierarbeit. Auch Mut und Draufgängertum sind keine Voraussetzungen mehr, denn durch die computergestützten Entwicklungsmethoden sind wirkliche Überraschungen in der Flugerprobung heute selten. Die Fähigkeit aber, Risiken auch unter Stress schnell gegeneinander abzuwägen, Entscheidungen zu treffen und im Ausnahmefall auch mal zu improvisieren, bleibt eine wichtige Fähigkeit von Testpiloten. Jedenfalls hat das Phil Oestricher im Januar 1974 geholfen, als sich der Prototyp der F-16 während eines High-Speed-Taxi-Test aufgrund seiner sehr sensiblen Steuerung aufgeschwungen hat: Anstatt zu ver-suchen, den Flieger auf der Bahn zu halten, ist er kurzerhand gestartet und hat eine sechsminütige Platzrunde geflogen. So verschaffte er sich Zeit, das Flugzeug unter Kontrolle zu bringen und die Situation zu entschärfen.

Teamwork ist essenziell: In Kooperation mit einer Flugversuchsingenieurin startet ein Airbus-Testpilot zu einem Versuchsflug.
Erfahrungen sammeln
Wer Testpilot oder Flugversuchsingenieur als Berufsziel hat, sollte natürlich so früh wie möglich mit der Fliegerei beginnen und Erfahrung auf verschiedenen Mustern sammeln. Ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik oder eines anderen technischen Fachs ist für die oben erwähnte Zusammenarbeit mit den Entwicklungsingenieuren optimale Voraussetzung. Auch die Mitarbeit in einer akademischen Fliegergruppe, wo das Konstruieren, Bauen und Fliegen eigener Prototypen im Fokus steht, kann eine gute Basis sein. Schließlich gilt es, einen Arbeitgeber zu finden, der Bedarf an Testpiloten hat, denn die durchaus teure Ausbildung wird in aller Regel im Rahmen der Karriereentwicklung und Mitarbeitergewinnung finanziert.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem aktuellen Sonderheft "Crew only: Berufe in der Luftfahrt". Jetzt erhältlich im gut sortierten Kiosk oder direkt im Onlineshop der Motor Presse Stuttgart.