Besuch bei Air Astana: Kasachische Lebensader

Besuch bei Air Astana
Kasachische Lebensader

Veröffentlicht am 14.12.2024

Es sieht richtig nach Arbeit aus am Flughafen Nur-Sultan in Astana, der Hauptstadt von Kasachstan. In der Werfthalle der nationalen Airline parkt ein Airbus A321 (EI-KDB) zum Zwölfjahres-Check. Die Inneneinrichtung ist ausgebaut, alle Luken sind geöffnet und alle Bodenbretter sind entfernt, die Cockpitavionik zur Prüfung entnommen. Die große Inspektion, eine Premiere in Nur-Sultan, wurde mittlerweile erfolgreich abgeschlossen. Auf dem blitzsauberen Hallenboden schneidern drei Techniker aus einer großen Teppichrolle anhand eines Kabinengrundrisses auf Maß einen neuen Kabinenbelag für das irisch registrierte Leasingflugzeug. Wie auch die Flotte ist die Airline selbst dank eines britischen Managements und britischer Anteilseigner weitgehend westlich ausgerichtet. Stolz hängen die EASA-Prüf- und Zulassungsurkunden in den Büros des nagelneuen Werftkomplexes. Mit der eigenen Wartung will Air Astana künftig viel Geld sparen, denn Jets und Besatzungen müssen nun nicht mehr teuer in die Ferne reisen. Nur Spezialaufgaben, wie die Revision der Getriebefans einer neuen A320neo, die ohne Triebwerke in derselben Halle parkt, lässt man weiter im Ausland erledigen. Den Rest übernehmen die von der Pike auf westlich ausgebildeten Kasachen. Die drahtigen Mittzwanziger sprechen fließend Englisch und könnten auch in jeder westeuropäischen Werft arbeiten.

AirTeamImages/Aerosaeed

Simulator- und Kabinentraining

Eine Halle weiter beendet ein A320-Kapitän seine Simulatorlektion im modernen Level-D-Flugsimulator von Air Astana, zu dem Piloten aus ganz Zentralasien anreisen. Heute stand hier das "Upset Recovery Training" für einen Airline-Fremdkunden auf dem Programm, also das richtige Reagieren auf außergewöhnliche Fluglagen nach neuester Airbus-Vorgabe. Danach darf auch die Journalistengruppe, zu der auch die FLUG REVUE Ende Oktober gehörte, kurz ein paar Platzrunden drehen, über der virtuellen Landebahn der früheren Hauptstadt Almaty (bis 1993 Alma-Ata), ganz im Süden des riesigen Landes. Wegen eines imposantnahen Gebirgskamms, der gleich am südlichen Stadtrand bis zu 5000 Meter emporragt, liegt die normale Platzrundenhöhe in Almaty bei eindrucksvollen 10 000 Fuß (3050 m). Auch im Simulator erkennt man Almatys Hausberg Shymbulak mit seinen dank österreichischer Kabinenbahnen, die bis auf 3200 Meter hoch reichen, bequem erreichbaren Skihängen. Der deutsche Air-Astana-A320-Kapitän und -Prüfer im Simulator flog einst die Q400 bei Air Berlin und Learjets ab München. In derselben Halle steht derzeit auch ein moderner Airbus-Kabinentrainer. In kurzer Folge sind in seinem Stummelrumpf alle Türbauarten montiert, sodass die Besatzungen das richtige Öffnen und Schließen lernen können. Vor den Kabinenfenstern sind Monitore eingebaut, die Rauch, Feuer, Notwasserungen und alle denkbaren Notlagen vorgaukeln können, die hier immer auch mit einer realen Rutschpartie auf einer echten Notrutsche eine Etage tiefer enden können. Noch heißer geht es in einem Containerlabor direkt vor der Halle zu: Hier ist eine feuerfeste Flugzeugkabine eingebaut, die mit Gasbrennern gezielt "Laptopfeuer" in Gepäckfächern, unter den Sitzen und in den Waschräumen mit echten Flammen nachstellt. Das Feuer muss jeweils von den Flugbegleitern per Feuerlöscher und gegebenenfalls unter Nutzung von Brechwerkzeugen fachgerecht bekämpft werden, um wieder zu erlöschen.

Sebastian Steinke

Kasachstan: Wachsender Tourismus und Exportnation

Die Route von Astana nach Almaty, fast eineinhalb Flugstunden über die endlos weite Steppe, ist die wichtigste Rennstrecke von Air Astana. Während die alte Hauptstadt Almaty malerisch am Hochgebirge liegt und dank zahlreicher Gärten und Apfelplantagen – jedenfalls in der spätsommerlichen Übergangszeit – fast südlichen Charme ausstrahlt, liegt die neue Reißbrett-Kapitale Astana (zwischen 2019 und 2022 Nur-Sultan genannt) mitten in der Steppe. Von der zentralen Lage Astanas, weit entfernt von allen Außengrenzen, versprach sich der damalige Präsident Nursultan Nasarbajew einen strategischen Vorteil. Nach dessen Vornamen heißt der Flughafen noch heute. Mit seinen Prachtgebäuden, Moscheen, Paradeachsen und unterschiedlichen Stilen ist Astana durchaus einen Besuch wert, charmanter wirkt aber eindeutig das ältere und organischer gewachsene Almaty, in dem es aus Sowjetzeiten noch viele, heute oft neu genutzte Prachtbauten gibt. Angesichts wachsender Touristenzahlen erwägt Air Astana bereits, ab Frankfurt zusätzlich auch direkt nach Almaty zu starten, dann ohne Umsteigen in Astana. Kasachstan entwickelt sich heute, vor allem dank seines enormen Rohstoffreichtums, zu einer wichtigen, immer wohlhabenderen Exportnation. "Die Beziehungen zu Ihren Staaten zu vertiefen, ist ein strategisches Ziel für Deutschland und auch mein ganz persönlicher Wunsch", hatte Bundeskanzler Scholz bei einem Besuch in Astana erst im September erklärt, bei dem neben Kasachstans Präsident Tokajew gleich noch vier benachbarte Staatschefs aus Zentralasien zugegen waren. Bei allem Schwung – Kasachstans Bruttoinlandsprodukt wächst jährlich zwischen drei und fünf Prozent, der Luftverkehr nach Corona sogar beschleunigt über elf Prozent im Jahr – hat Kasachstan noch einen langen Weg vor sich. Normale Monatsgehälter liegen hier erst bei umgerechnet 400 Euro oder 700 Euro mit einem sehr guten Job. Entsprechend hat sich Air Astana auf den Heimatmarkt eingestellt und mit FlyArystan 2018 eine eigene Niedrigpreistochter gegründet. Die hält auch auswärtige Konkurrenten in Schach, denn mit Indien und China hat Kasachstan Luftfahrt-Großmächte in direkter Nachbarschaft. Ausgedehnte Steppen und zu Lande unüberwindliche Hochgebirgsketten halten deren Airlines nicht ab, aber ein wettbewerbsfähiges Preisniveau.

AirTeamImages/Aerosaeed

Flottenstrategie und Herausforderungen

Bei der Flotte setzt Air Astana auf die A320-Familie, auch bei ihrer Tochter FlyArystan. Besonders geschätzt wird die A320LR für ihre hohe Reichweite, die bei den Kasachen, mit Zweiklassenbestuhlung, sogar bis nach London-Heathrow kommt. Und das, obwohl der russische Luftraum südlich umflogen werden muss, sodass die Route entlang der Südküste des Schwarzen Meeres über das Kaspische Meer nach Astana führt. Allein Kasachstan ist rund 3000 km breit und 1000 Kilometer hoch. Mit neuneinhalb Stunden Flugdauer bedient Air Astana von London nach Astana seit Oktober die weltweit längste A321LR-Route erstmals nonstop. Auch Tokio und Paris dürften damit in Reichweite kommen. Dank jetzt dreier Container-Zusatztanks kann endlich ein zuvor nötiger, ungeliebter Tankstopp in Aktau in West-Kasachstan entfallen. Erst im Sommer mietete sich Air Astana sieben weitere A321LR bei der Air Lease Corporation, die ab 2026 geliefert werden und zehn vorhandene LR ergänzen. Bis 2028 soll die Flotte der Gruppe auf 80 Flugzeuge wachsen. Schon 2025 sollen auch neue Großraumflugzeuge hinzustoßen und die drei jetzigen Boeing 767-300ER ersetzen. Diese drei 767 sind die letztgebauten der Passagierausführung, was man in der Kabine an modernisierten Einrichtungsdetails im Stile der 787 erkennt, etwa den Verschlüssen der Gepäckfächer und farbiger Kabinenbeleuchtung. Schon 2012 hatte sich Air Astana drei Boeing 787-8 als Ersatz bestellt, die aber nie geliefert wurden. Mittlerweile sind stattdessen Leasingverträge für drei gestreckte 787-9 unterzeichnet, die vor Jahresende 2025 geliefert werden. Die 787 werden auch nach Deutschland kommen; bisher bedient die 767 Frankfurt im Sommerhalbjahr und die A321LR übernimmt im nachfrageschwächeren Winterhalbjahr. Dann toben Schneestürme in Kasachstan, und strenger Frost lässt die Steppe steinhart gefrieren. Dagegen kann es im Sommer sengend heiß werden, und Staubstürme fegen über die weiten Graslandschaften. Die klimatischen Bedingungen sind so hart, dass Air Astana deshalb ihre kleinste Flotte derzeit wieder ausmustert, fünf Embraer 190E2, zeitweise waren es sogar neun. Die geleasten Regionaljets mit modernen Getriebefans vertrügen die sehr harten Winterbedingungen nicht, heißt es in Kasachstan nur allgemein. Die seit 2018 bei AirCap geleasten Twins werden noch bis Ende 2025 an die Leasingfirma Azorra Aviation in Florida zurückgegeben.