Es sind verheerende Bilder, die sich in der westindischen Stadt Ahmedabad bieten. Am Donnerstag, dem 12. Juni, stürzte hier eine Boeing 787‑8 des indischen Flag Carriers Air India kurz nach dem Start in ein Wohngebiet. Der Dreamliner mit dem Kennzeichen VT-ANB konnte sich nur wenige Sekunden in der Luft halten. Videoaufnahmen einer Überwachungskamera hielten den kurzen, verhängnisvollen Flug fest. Die VT-ANB endete in einem riesigen Feuerball. Von den 242 Personen an Bord überlebte lediglich ein Passagier. Hinzu kamen mindestens 28 Todesopfer am Boden, die Bergungsarbeiten laufen noch. Und die Ermittlungen zum Unfallhergang stehen noch am Anfang.
1. Flugverlauf, Konfiguration und klimatische Bedingungen
Nach bisherigen Erkenntnissen hob die 787-8 auf Runway 23 ab, verließ jedoch bereits Sekunden nach dem Start den kontrollierten Flug. Statt wie gewohnt zu steigen, verlor der Zweistrahler den dafür notwendigen Auftrieb, sackte durch und ging in einen Sinkflug über, aus dem es für die Piloten aufgrund der geringen Höhe und fehlender Fahrt kurz nach dem Start kein Entrinnen gab.
Radardaten und Videoaufzeichnungen deuten darauf hin, dass das Fahrwerk der Maschine nach dem Start ausgefahren blieb. Spekuliert wird außerdem über eine womöglich fehlerhaft gesetzte Klappenstellung. Oder dass die Piloten, anstatt das Fahrwerk einzufahren, eventuell irrtümlich die Auftriebshilfen einfuhren. Offenbar setzte die Crew kurz vor dem Crash noch einen Mayday-Notruf ab und berichtete im Zuge dessen von mangelndem Schub. Das wiederum könnte auf einen doppelten Triebwerksausfall oder zumindest auf eine gravierende Fehlfunktion der beiden GEnx-Turbofans der VT-ANB hindeuten. Dazu passen würde, dass einige Kommentatoren auf einem weiteren Video die ausgefahrene Ram-Air-Turbine der 787 erkannt haben wollen. Die kleine Staudruckturbine fährt automatisch aus, wenn die Energieversorgung des Flugzeugs über die Triebwerke aus irgendeinem Grund nicht mehr gewährleistet werden kann.
Ein weiterer Aspekt betrifft die äußeren Bedingungen zum Unfallzeitpunkt. In Ahmedabad herrschten zur Mittagszeit nach Behördenangaben Temperaturen von etwa 40 Grad Celsius. Solche Hitze reduziert die Luftdichte, was wiederum zu einem geringeren Auftrieb sowie eingeschränkter Triebwerksleistung führt. Videoaufnahmen vom Start zeigen zudem eine intensive Staubaufwirbelung beim Abheben der 787 – ein mögliches Indiz dafür, dass die Rotation ungewöhnlich spät erfolgte und die volle Bahnlänge genutzt wurde. Diese Indizien könnten auf eine aerodynamisch und leistungstechnisch kritische Situation hindeuten.

Der kurze, tödliche Flug der VT-ANB, aufgezeichnet anhand bislang vorliegender Tracking-Daten.
2. Hinweise auf technische Auffälligkeiten im Vorfeld
Bereits auf dem vorherigen Flug der VT-ANB von Delhi nach Ahmedabad (Flugnummer AI 423) sollen laut Passagierberichten mehrere Kabinensysteme ausgefallen sein. In einem in sozialen Medien verbreiteten Video ist die Rede von einer nicht funktionierenden Klimaanlage, inaktiven Unterhaltungssystemen und defekten Crew-Rufknöpfen. Zwar betrafen diese Störungen keine direkt flugsicherheitsrelevanten Systeme, doch hinterlassen sie Fragen hinsichtlich des technischen Wartungszustands der betroffenen Maschine. Die indische Luftfahrtaufsicht DGCA prüft derzeit, ob womöglich ein Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen und dem späteren Unfall besteht.
4. Die Boeing 787 – Fortschritt durch Elektrifizierung
Die Boeing 787 gilt als technologisch wegweisend. Der sogenannte Dreamliner wurde als erstes Großraumflugzeug konsequent nach dem "More Electric"-Prinzip entwickelt. Anstelle der klassischen pneumatischen Zapfluftsysteme setzt die 787 auf ein vollständig elektrisches Bordnetz. Systeme wie Klimatisierung, Enteisung und Kabinendruckregelung werden ausschließlich elektrisch betrieben. Zudem übernehmen elektrische Aktuatoren die Steuerung von Spoilern, Bremsen und Seitenrudern – Funktionen, die zuvor hydraulisch realisiert wurden.
Sechs elektrische Generatoren erzeugen gemeinsam rund 1,45 Megawatt elektrische Leistung, was mehr als das Doppelte vergleichbarer älterer Flugzeugtypen ist. Diese fortschrittliche Architektur spart Gewicht und erhöht die Effizienz, stellt aber zugleich erhöhte Anforderungen an Wartung und Systemdiagnose. Die in den Unfall von Ahmedabad verwickelte VT-ANB war elf Jahre alt, wurde im Boeing-Werk Everett gebaut und am 28. Januar 2014 fabrikneu an Air India ausgeliefert.

Die Bilder von der Absturzstelle in Ahmedabad sind schrecklich. Die genaue Zahl der Todesopfer am Boden ist noch unklar.
5. Triebwerke im Fokus: GEnx-1B
Die verunglückte Maschine war mit GEnx‑1B-Triebwerken von GE Aerospace (vormals General Electric) ausgerüstet. Diese gelten als technologisch hoch entwickelt, leise und effizient. Sie verfügen über ein hohes Nebenstromverhältnis von über 9:1, was den Treibstoffverbrauch senkt. Komposit-Fanblätter, Titan-Aluminid-Turbinen und ein optimiertes Schubdüsendesign (Chevron) sorgen für reduzierte Emissionen und Schallpegel.
Zusätzlich ermöglichen 3D-gedruckte Komponenten und verlängerte Wartungsintervalle einen wirtschaftlichen Betrieb. Trotz dieser Leistungsdaten sind Triebwerke bei hohen Außentemperaturen anfälliger für Leistungsverluste.

Ein einziger Passagier überlebte den Absturz der Air India-787. Er saß auf Sitz 11A.
6. Stand der Ermittlungen
Die Untersuchung wird von der indischen DGCA geführt, in enger Zusammenarbeit mit internationalen Behörden wie der US-amerikanischen NTSB, der FAA, der britischen AAIB sowie den Herstellern Boeing und GE Aerospace. Eine der beiden Black Boxes wurde bereits geborgen. Ihre Auswertung, zusammen mit Flugdaten, Cockpitkommunikation, Wartungsberichten und Zeugenaussagen, wird entscheidend für die Rekonstruktion des Unfallverlaufs sein. Erste Erkenntnisse werden frühestens in einigen Wochen erwartet.
7. Bedeutung für Hersteller und Branche
Der Absturz von VT‑ANB trifft Boeing und GE Aerospace in einer Phase, in der beide Unternehmen bereits unter intensiver öffentlicher Beobachtung stehen. Für den Dreamliner stellt dieser Unfall eine Zäsur dar: Über ein Jahrzehnt lang galt das Modell, trotz medial stark thematisierter werksinterner Zwischenfälle bei Boeing als sicher und zuverlässig. Der tragische Absturz von Ahmedabad rückt auch die Hersteller von Flugzeug und Triebwerken wieder in den Fokus – wenngleich es für voreilige Schlüsse hinsichtlich möglicher technischer und systemischer Unfallursachen noch viel zu früh ist.