Schneller oder sauberer und effizienter? So lautet eine der Kernfragen, wenn es um den Luftverkehr der Zukunft geht. „Schneller“ verspricht kürzere Reisezeiten, etwa wenn es aus dem zentralen Wachstumsmarkt Asien über den Pazifik in die USA geht. „Sauberer und effizienter“ bedeutet weniger Energiebedarf, weniger teures Kerosin und mehr Schutz für Umwelt, Anwohner und Atmosphäre vor schädlichen Emissionen. Die US-Luftfahrtbehörde FAA möchte für alle ab etwa 2030 gebauten Verkehrsflugzeuge eine Lärmsenkung um 71 db(A) vorschreiben, sodass man Flugzeuge dann buchstäblich nur noch auf dem Flughafengelände hört. Die Zivilluftfahrtorganisation ICAO will außerdem mit ihrem CAEP/6-Standard die Stickoxidemissionen um 75 Prozent senken und die Luftqualität nahe der Flughäfen dramatisch verbessern. Und schließlich soll der Treibstoffverbrauch um über 70 Prozent vermindert werden. Harte Vorgaben, aber auch Raum für neue Ideen der Entwicklungsingenieure.
Eines der Boeing-Konzepte dafür ist „SUGAR Freeze.“ Diese Abkürzung steht für „Subsonic Ultra Green Aircraft Research“ (Forschung für ein ultra-umweltfreundliches Unterschallflugzeug). Die Grundidee: Fortschritte in der Batterie- und Brennstoffzellentechnik könnten schon in wenigen Jahren den rein elektrischen Reiseflug möglich machen. Der nach dem SUGAR-Freeze-Konzept für bis zu 180 Passagiere ausgelegte Hybrid-Zweistrahler würde zum Starten noch herkömmliche, aber deutlich leisere Kerosintriebwerke nutzen. Mit ihrer Hilfe würde er auf eine sehr große, verbrauchsenkende Reiseflughöhe steigen und dort auf rein elektrischen Antrieb umschalten. Die Reisegeschwindigkeit läge, energiesparend, mit Mach 0.7 um rund fünf bis zehn Prozent unter dem Tempo heutiger Jets. Künftige Fortschritte im Luftverkehrsmanagement, ohne Warteschleifen und Umwege, sollten diesen Zeitnachteil aber mehr als wettmachen. Der abgestrebte Flügel extremer Streckung würde dem Flugzeug zudem zu sehr guten Kurzstart- und Kurzlandeeigenschaften verhelfen. Nur gut 1500 Meter Piste sollen dem Sparflugzeug reichen, wodurch kleinere Flughäfen – damit näher am Zielort der Passagiere – direkt angesteuert und verstopfte Drehkreuze umgangen werden könnten. Zum platzsparenden Parken kann der Airliner die extralangen Flügelspitzen einklappen. Der Verbrauch läge 75 Prozent unter dem heutiger Jets.
„Beim SUGAR-Projekt haben wir fortschrittliche Auslegungen und Technologien erforscht, die den Verbrauch dramatisch senken“, sagt Boeing-Entwicklungsingenieur Zach Hoisington. „Wir haben völlig frei in alle Richtungen geblickt und ohne jegliche Vorbehalte Ideen ausgetauscht. Damit hat das SUGAR-Projekt geholfen, diese Technologien, wie Open-Rotor-Antriebe, Methangas und flüssigen Wasserstoff als Antrieb, Brennstoffzellen, neuartige Batterien oder Flügel mit extrem hoher Streckung und mit Streben, ausreifen zu lassen und uns neue Erkenntnisse zu liefern. Künftige Flugzeuggenerationen und die Umwelt werden signifikant von unseren Ergebnissen profitieren.“
Neue Technologien anwendbar machen
Doch was wären Zukunftsprojekte ohne neue Überlegungen zum Thema Überschall? Kein Wunder, dass auch Boeing hierüber weiter nachdenkt. Im Rahmen des NASA-Forschungsprojekts „N+3“ (drei Generationen nach den heutigen Flugzeugen) entwickelten die Boeing-Ingenieure ab April 2010 das Konzept „Icon II“, eine Studie für ein Überschall-Verkehrsflugzeug mit möglicher Indienststellung in den Jahren 2030 bis 2035. Entscheidende Neuerung des entfernt an den einstigen „Sonic Cruiser“ erinnernden Entwurfs ist seine Formgebung. Sie soll den Überschallknall weiträumig verteilen und damit so stark vermindern, dass die noch auf der Erdoberfläche auftreffenden Druckwellen am Boden leiser empfunden werden und einen Überschallflugbetrieb künftig auch über Land zulassen. Dadurch könnte man Überschallflugzeugen neue Märkte außerhalb des reinen Ozean-überquerens erschließen.
Anders als heutige Konzepte für kleinere Überschall-Business-Jets setzt der Boeing-Entwurf auf eine Kapazität von 120 Passagieren (Zweiklassenbestuhlung) und eine Reichweite von 9250 km, also oberhalb der der Concorde. Die Reisegeschwindigkeit läge mit Mach 1.6 bis Mach 1.8 allerdings leicht unter der gut Mach-2-schnellen Europäerin.
FLUG REVUE Ausgabe 08/2016