Flug JS152 dauert nur eine Stunde und 15 Minuten, aber er bringt einen weiter weg, als es jeder Interkontinentalflug könnte, nämlich von Peking nach Nordkorea. Das völlig abgeschottete Land ist nur durch wenige Flüge und Eisenbahnverbindungen mit der Außenwelt verbunden. Die Flotte seiner staatlichen Fluggesellschaft Air Koryo bietet auch abgebrühten Vielfliegern Borderlebnisse der Sonderklasse, denn hier verkehren noch einst weit verbreitete, aber mittlerweile schon fast ausgestorbene Flugzeugmuster wie Iljuschin Il-18, Iljuschuin Il-62, Antonow An-24 sowie Tupolew Tu-134 und Tu-154 - wahre Raritäten der Lüfte.
Für eine Gruppe westlicher Flugzeugfans arrangierte die britisch-nordkoreanische Reiseagentur Juche Travel Service Mitte Mai die erste „Aviation Enthusiasts Tour of the DPRK“. Ab Peking kostete die exotische Gruppenreise mit sieben Übernachtungen, Vollpension, Transfers und sechs Flügen an Bord nordkoreanischer Flugzeuge (plus gegen Aufschlag buchbaren Rundflügen) 1675 Euro, in Nordkorea ein Vermögen. Dafür boten die Nordkoreaner aber ein, nicht nur für ihre Verhältnisse, ungewöhnlich offenes Reiseprogramm, das die bislang militärisch streng geheim gehaltene Zivilluftfahrt des Landes erstmals westlichen Augen präsentierte. Selbst Cockpitbesuche und Foto- und Amateur-Videoaufnahmen waren möglich, auch Extrawünsche wurden kurzfristig erfüllt, zum Beispiel der Verkauf kompletter Sätze druckfrischer Passagier-Sicherheitsanweisungen für alle Typen.
Offene Gepäckfächer und offene Cockpittüren

Zur Begrüßung der Flugfans hatte Air Koryo ihren Pekingflug, der sonst regelmäßig mit einem ihrer beiden modernen Flaggschiffe Tupolew Tu-204 bedient wird, eigens auf den klassischen Vierstrahler Il-62M mit der Registrierung P-885 umgestellt. Um dem selten gewordenen Klang der vier D30-KU-Turbojets am Heck besser lauschen zu können, hatten sich einige Gruppenmitglieder in der bis auf den letzten Platz besetzten Iljuschin vorab gezielt Passagiersessel in den hinteren Reihen reservieren lassen, gegen Zusatzgebühr versteht sich. Mit offenen, flachen Gepäckregalen und der altertümlichen Kabinengestaltung ohne Unterhaltungssystem verströmt der sowjetische Oldie an Bord noch immer originales Ostblockflair, wie vor Jahrzehnten. Im Gegensatz dazu hat die moderne Tu-204 bereits LCD-Flachbildschirme an der Decke und eine wesentlich modernere Business Class mit neuen Liegesesseln an Bord.
Egal wie alt sie waren, mit Ausnahme einer Tu-154 waren alle auf der Reise benutzten Flugzeuge in einem optisch hervorragenden Pflegezustand und präsentierten sich wie zur Inspektion: frisch geputzt und gut in Schuss. Selbst die kleinen Teppichstücke unter den Seitenruderpedalen im Cockpit der Oldies wirkten wie frisch gereinigt. Alle Flüge fanden absolut pünktlich und geordnet statt. Auch bei nur einer Stunde Flugzeit wurde an Bord in der Touristenklasse ein warmes Essen serviert, das an jenen klassischen Airlineservice erinnerte, den man vor den Sparwellen der vergangenen Jahrzehnte einst auch in Europa genießen konnte.
In Pjöngjang landete der Flug auf dem nördlich der Stadt gelegenen, wichtigsten zivilen Luftfahrtdrehkreuz Nordkoreas, dem Sunan International Airport. Bei allen Flügen wurde das Fahrwerk übrigens immer schon gut eine Viertelstunde vor der Landung ausgefahren, aus Widerstands- und Lärmgründen wäre dies bei uns völlig undenkbar.
Nach längerer Rollzeit entlang abgestellter Il-76-Frachter und Mil Mi-17-Hubschraubern parkte die Il-62 schließlich auf dem Vorfeld von „FNJ“, so Pjöngjangs IATA-Code. Die dortigen modernen, westlichen Niederflur-Passagierbusse stehen in eigentümlichem Kontrast zu den historischen Flugzeugmustern, die man hier findet. So ist die hier noch immer einsatzbereite Il-18, bis auf einen afrikanischen Restbestand in Dschibuti, sonst weltweit völlig aus dem Passagierdienst verschwunden.
Pjöngjangs Terminal-Hauptgebäude, größenmäßig entspricht es eher einem kleinen Regionalairport, wird derzeit entkernt und renoviert. Deshalb dient eine große Leichtbauhalle als Übergangsterminal. Seine einzige Sicherheitsschleuse wird, angesichts des sehr überschaubaren Passagierandrangs, sowohl für ankommende als auch für abfliegende Fluggäste genutzt. Jeder ankommende Passagier muss an der Zollkontrolle sein Handy abgeben, erst bei der Ausreise wird es wieder ausgehändigt. Auf der Gruppenreise waren allerdings Fotoapparate mit Objektiven bis zu 25 Zentimeter Länge gestattet. Auch kleinere Videokameras durften benutzt werden, wovon sofort reichlich Gebrauch gemacht wurde, als der Kapitän direkt nach dem Abstellen der Triebwerke nach der Landung zur Cockpit-Visite einlud.
Gruppenführung an die Demarkationslinie

Noch vor dem Besteigen ihrer Reisebusse wurde die Gruppe in zwei Untergruppen aufgeteilt, die von jeweils zwei festen Begleitern betreut wurden. Einzelausflüge oder individuelle Spaziergänge waren nicht möglich. Der Ankunftstag und der nächste Tag waren von einem größtenteils touristischen Gruppenprogramm mit Stadtrundfahrten und Ausflügen geprägt, darunter ein Besuch des Militärmuseums mit Flugzeugen und Wracks aus dem Koreakrieg. Politischer Höhepunkt war ein Besuch im Grenzsperrgebiet von Kaesong am 38. Breitengrad, wo sich, und nur dort, Nord- und Südkoreaner an den UN-Verhandlungsbaracken auf der Demarkationslinie direkt gegenüberstehen. Bekanntlich ist der Koreakrieg formell noch immer nicht beendet, sondern bisher nur durch einen an diesem Ort unterzeichneten Waffenstillstand unterbrochen worden. Trotzdem kommt es immer wieder zu Zwischenfällen.
Ein Besuch in Nordkorea erinnert bei Überlandfahrten in weiten Teilen an das Landschaftsbild im Deutschland der 20er Jahre. Man sieht fast keine Autos, nur selten altertümliche Lastwagen, Busse und Traktoren und zahlreiche Menschen in großen Gruppen bei schwerer manueller Feldarbeit. Außerdem bemerkt man auffallend wenige Tiere und Vögel in dem von Hungersnöten geplagten Land. Dessen Bewohnern ist normalerweise jeder Kontakt mit Ausländern verboten. Trotzdem spürt man an vielen Stellen scheue Gesten ehrlicher Freundlichkeit und Gastfreundschaft, etwa wenn den „Ausländern“ bei einer U-Bahn-Fahrt in Pjöngjang trotz dichten Berufsverkehrs Sitzplätze angeboten werden.
Zum fliegerischen Höhepunkt der Reise sollten zwei Flüge mit der 1969 gebauten Il-18D, P-835, werden. Sie übernahm am dritten und vierten Besuchstag den Transport nach Samjiyon und zurück, also zum berühmten Berg Pektu, mit seinem malerischen Kratersee. Wegen schlechten Wetters musste die Bergtour aber ausfallen. Dafür stand nach der Landung die Besatzung für ausführliche Fragen und Antworten bereit, während MiG-17 der nordkoreanischen Luftwaffe von dem auch als Fliegerhorst genutzten Airport zu Übungsflügen starteten. Militärische Anlagen und Flugzeuge durften jedoch nicht fotografiert werden.
Nach einer Übernachtung und einer fleischlosen „Grillparty“, bei der ausschließlich Kartoffeln gegrillt wurden, ging es am fünften Besuchstag, wieder ab Pjöngjang, auf einen einstündigen Rundflug mit der selten gewordenen, zweimotorigen Antonow An-24B. Der als Extra für 100 Euro verkaufte Flug mit P-537 fand allerdings größtenteils in oder über den Wolken statt. Am Donnerstag war dann mit der Tupolew Tu-134B3, P-814, wieder ein Jet-Oldie an der Reihe. Er brachte die Gruppe nach Sondok, einem nur 25 Flugminuten entfernten Fliegerhorst im Nordosten, nahe der Küste, wo ein Strandbesuch anstand. In Sondok fand außerdem Flugbetrieb mit militärischen Antonow An-2 statt, die auch zu Dutzenden am Fliegerhorst parkten aber, wie gesagt, nicht fotografiert werden durften.
Nach einer Übernachtung ging es mit der Tu-134 wieder nach Pjöngjang zurück, wo danach noch Gruppenfotos mit der Besatzung auf dem Rollfeld gemacht werden konnten. Mit einem touristischen Programm und einem Festessen klang der letzte volle Besuchstag aus. Am nächsten Morgen teilte sich die Gruppe der Rückkehrer: Ein Teil wollte wegen der nur noch auf dieser Route regelmäßig eingesetzten Tupolew Tu-154B2 ins chinesische Shenyang abfliegen, der Rest kehrte, wie auf dem Hinweg, direkt nach Peking zurück.
Doch wegen des plötzlichen Andrangs nach Shenyang wurde der Flug kurzfristig auf die größere Il-62 umgestellt, während dafür die Peking-Reisenden in den unerwarteten „Genuss“ der Tu-154B2, P-561, kamen. Überzähliges Handgepäck wurde an Bord der Tu-154 übrigens vor dem Start von den regulären Passagieren im Gang deponiert, dort von den Flugbegleitern eingesammelt und nach der Landung wieder im Gang „ausgelegt“.
Das ungewöhnlichste Flugzeug der Reise parkte auf dem Vorfeld in Pjöngjang: eine äußerlich flugbereit wirkende Iljuschin Il-14 in den Farben von Air Koryo, über deren Betreiber und heutigen oder früheren Verwendungszweck aber nur ausweichende Angaben gemacht wurden. Das Flugzeug, möglicherweise als VIP-Transporter oder Trainer eingesetzt, scheint jedenfalls nicht zum regulären Flottenbestand des Passagierflugunternehmens zu gehören und ein Exot zu sein, aber auf Nachfrage durfte er immerhin von außen fotografiert werden.
Alte Muster verschwinden von allen Auslandsrouten





Noch exotischer war ein nach asiatischer Sitte von der Gruppe als Geschenk an Air Koryo überreichtes Flugzeugmodell einer Tupolew Tu-144 in (fiktionalen) Air-Koryo-Farben. Der Unternehmensvertreter, der die Gabe entgegennahm, nutzte die Gelegenheit gleich zu einer seltenen Präsentation seiner Airline vor westlichem Publikum. Demnach wurde ziviler Luftverkehr bereits 1949 mit Hilfe der Sowjetunion vorbereitet, allerdings während des Kriegs von 1950 bis 1953 nicht weiter verfolgt. 1955 sei dann die zivile Luftfahrtbehörde Choson Minhang gegründet worden, die erst 1992 in Air Koryo umgetauft worden sei. Nach 2002 seien Airline und Luftfahrtbehörde organisatorisch getrennt worden. Die Struktur bestehe aktuell aus einem Vorstandsvorsitzenden, einem Vizepräsidenten, neun Bereichsleitern und 19 Sektionen. Die Airline beschäftige fast 500 Mitarbeiter, darunter 80 im Cockpit, 30 in der Kabine, 290 Techniker und 32 sonstige. Die Piloten stammten vom Militär und würden auch dort ausgebildet. Air Koryo verfüge über einen eigenen Il-18-Simulator in Pjöngjang, angeblich sogar mit selbst entwickelter Software. Die Kabinenbesatzungen würden frei auf allen Mustern eingesetzt. Seit 1996 ist das Unternehmen IATA-Mitglied. Die aktuell betriebene Flotte bestehe aus zehn Flugzeugen, darunter Tu-204-100 und Tu-204-300 sowie Il-62M, Tu-154B, Tu-134, Il-18 und Il-76 (Frachter). Große Werftaufenthalte würden in Russland absolviert. Da gemäß IATA-Regeln ab 2013 die älteren östlichen Flugzeugmuster nicht mehr ins Ausland fliegen dürften, verkehre dann nur noch die Tu-204 auf internationalen Routen, heißt es bei Air Koryo. Geplant sei eine Flottenerweiterung für zusätzliche Strecken nach Asien und Europa.
Eine Gruppenreise in die Diktatur Nordkorea dürfte nicht jedermanns Sache sein. Wer sich aber für schon heute historische Flugzeugmuster im regulären Flugbetrieb begeistern kann und noch einmal das Heulen und Singen der klassischen Triebwerke hören und dokumentieren will, kommt bei dieser außergewöhnlichen Tour voll auf seine Kosten. Zudem dürfte man damit eher die Befürworter einer vorsichtigen Öffnung unterstützen. Nachdem drei weitere Reisetermine 2012 bereits ausgebucht sind, planen die Nordkoreaner schon drei zusätzliche Gruppentouren für Flugzeugfans für das Jahr 2013. Dabei soll es, im Mai oder Juli, auch erstmals eine rein deutschsprachige Reise geben und die Möglichkeit, gegen Zuschlag auch mit Il-76-Frachtern und Mil-Mi-17-Hubschraubern mitzufliegen.
FLUG REVUE Ausgabe 08/2012