Enthusiasten retten den ersten Lear 23
Der Urvater aller Businessjets soll wieder fliegen

Eine Gruppe von Enthusiasten will den ersten Learjet retten, der jemals ausgeliefert wurde. Das Flugzeug mit der Seriennummer 003 soll komplett restauriert und wieder flugtüchtig gemacht werden.

Der Urvater aller Businessjets soll wieder fliegen

Stummelflügel, Tiptanks, dazu kurze Fahrwerksbeinchen und eine tief nach unten gezogene Cockpitscheibe, die ihm die Erscheinung eines Rennwagens gibt. Ja, der Auftritt des "23" ist sexy. Selbst jetzt, sechs Jahrzehnte nach dem Erstflug, würde man das so bezeichnen. Der "23" ist das Original, das Flugzeug, das der Grund dafür ist, weshalb der Volksmund immer noch von einem "Learjet" redet, wenn eigentlich ein "Geschäftsreiseflugzeug" gemeint ist – ein Markt, in dem zwischen Citations, Phenoms, Gulfstreams und Globals der Urvater aller Business Jets und dessen Nachfahren längst nur noch eine Nebenrolle spielen. Zuletzt hatte Bombardier die Rechte an der Marke besessen, 2021 verließ der letzte Learjet, ein Modell 75 Liberty, den Auslieferungshangar.

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Vom Urtyp Lear Jet 23 war da keiner mehr in der Luft. Schon gleich gar nicht in Europa. Aber auch nicht in den USA, einem sonst in Sachen Fluglärm sehr entspannten Land – dort durfte der Lear 23 seit 2015 nur noch mit einem installierten "Hush Kit" geflogen werden, ohne den er die dann neuen Lärmanforderungen der "Stage 3" nicht mehr erfüllte.

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Derartige Nebensächlichkeiten waren Bill Lear sicherlich egal, als er in den Sechzigern das Flugzeug entwarf. Klein, schnell und einfach sollte es sein. Punkt.

Bis dahin war der heute als Flugzeugbauer bekannte Bill Lear vor allem Erfinder. Sein Glück, dass er neben dem Autoradio auch das 8-Track-Tape erfindet – für Nicht-Audio-Nostalgiker: der Vorläufer der späteren Compact Casette. Die Erlöse daraus steckt er nämlich das Flugzeugprojekt. Und auch von der Bauchlandung des zweiten Prototyps auf einem Acker tuschelt man, dass die Versicherungssumme gerade noch rechtzeitig kam, um der Firma wieder einmal das Überleben zu sichern.

Promis sind begeistert vom Lear Jet 23

Mit seiner Vorstellung von einem Privatjet trifft Lear die Wünsche des Markts: Als dann 1964 der erste Lear 23 ausgeliefert wird, wollen alle, die es sich leisten können, einen der sexy Jets. Frank Sinatra hat einen, fliegt damit über 1500 Stunden. Und leiht ihn Elvis Presley. Unbestätigten Gerüchten nach soll Lisa-Marie, die Tochter des "King of Rock'n'Roll" exakt neun Monate danach das Licht der Welt erblickt haben. Wir wollen jetzt kein Kopfkino auslösen, aber gegen die Glaubwürdigkeit dieser Geschichte gibt es ein gewichtiges Argument, und das sind die inneren Werte des Learjet 23: Denn über Geräumigkeit in der Kabine schweigen wir lieber – zumindest nach heutigen Maßstäben ist sie schlicht nicht vorhanden. Zwei Ledersitze im Heck, ein Stuhl rechts neben der Tür, und links eine Bank für zwei bis drei Mitreisende. Weitere Extras? Fehlanzeige. Schon die Bordbar, die sich Frank Sinatra installieren lässt, ist platzmäßig grenzwertig. Die Kunden sehen über die enge Röhre hinweg. Wenn man in einen Learjet nicht gediegen einsteigen kann, dann zieht man ihn sich eben an.

In sieben Minuten auf Reiseflughöhe

Bei den Piloten ist der Lear 23 ohnehin über jeden Zweifel erhaben: Er ist der Starfighter der Business Aviation. Dass die General Electric CJ610-4 Triebwerke vom militärischen J85 abstammen, das auch die Northrop F5 Tiger antreibt, ist dabei nur eine Anekdote am Rande. Viel wichtiger sind die Flugleistungen: Vollbeladen steigt der Lear 23 in sieben Minuten auf Flugfläche 400 (40.000 ft). 7000 ft/min am Vario ist nicht ungewöhnlich. Und schnell ist er auch noch: 450 Knoten Reisegeschwindigkeit. Die Kehrseite der Medaille: Nur voll konfiguriert bleibt die Stall Speed bei 90 Knoten. Clean eher bei 120. Und wenn die Strömung abreißt, dann kippt der Lear schlagartig ab. Die Statistik ist erschreckend: Jeder fünfte jemals gebaute Lear 23 hat seine Piloten und Passagiere getötet, insgesamt sterben bei Unfällen mit dem Muster mehr als 50 Menschen.

Die Produktion des Lear 23 endet 1966 nach 101 ausgelieferten Flugzeuge. Seine Nachfolger der 20er-Modellreihe spielen in der heutigen Geschäftsluftfahrt allenfalls noch eine Randrolle.

Ein ehrgeiziger Plan

So war auch der erste jemals ausgelieferte Lear Jet 23 beinahe in Vergessenheit geraten. Der eigens für seins Rettung gegründete Verein Classic Lear Jet Foundation hatte das Flugzeug auf dem Vorfeld des Bartow Executive Airports im US-Bundesstaat Florida entdeckt. Der derzeitige Zustand des Jets mit der Registrierung N3BL: seit Jahren nicht lufttüchtig. Oder genauer gesagt: erbärmlich. Vor einem Jahr wurden die Pläne konkret, den Jet nach Wichita zu transportieren und dort von Grund auf zu restaurieren. Am heutigen Mittwoch wird der Transporter in Wichita erwartet. Eine Begrüßungsfeier ist schon organisiert. Am Ende soll der erste Lear Jet 23 wieder fliegen. Und weil das kein billiger Plan ist, haben die Enthusiasten eben die Foundation gegründet, samt Internetseite mit Sponsorenliste und Spendenaufruf.

Einige der Mitglieder der Classic Lear Jet Foundation arbeiteten früher selbst bei Learjet.

N3BL ist übrigens nicht nur der erste an einen Kunden ausgelieferte Lear 23, sondern auch der älteste, der möglicherweise wieder fliegen wird: Der Prototyp des Lear 23 wurde bei einer Bauchlandung in einem Weizenfeld zerstört. Bei einem simulierten Triebwerksausfall im Start reichte die Steigleistung nicht, weil die Besatzung versehentlich die Bremsklappen ausgefahren hatte. Und Seriennummer 002 hat einen Ehrenplatz im Washingtoner National Air and Space Museum erhalten.

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Noch mehr "23"

In Kalifornien stehen die beiden Lear Jet 23, die weltweit als letzte noch in der Luft waren – dann standen die großen Wartungsereignisse an, die alle zwölf Jahre fällig sind. Seitdem sind die beiden Jets gegroundet. Jetzt sind 200 Arbeitsstunden und Ersatzteile nötig – mindestens 120.000 Dollar, vorausgesetzt, es treten bei der Inspektion keine größeren Probleme zutage. Eigentümer Jim hofft deshalb auf einen unerwarteten Geldsegen. Dass die "23" wieder fliegen müssen, daran besteht bei Enthusiasten schließlich kein Zweifel.

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Erscheinungsdatum 05.09.2023