Herrlicher Sonnenschein über Toulouse begrüßte die fünfköpfige Testcrew, als sie sich am Vormittag nach den Briefings auf den Weg zur A320neo mit der Seriennummer 6101 und der passenden Kennung F-WNEO machte. Während Kapitän Philippe Pellerin, sein Co Etienne Miche de Malleray und Flugtestingenieur Jean-Paul Lambert ihre Plätze im Cockpit einnahmen, richteten sich der Triebwerksspezialist Manfred Birnfeld und Sandra Bour-Schaefer vor den in der Kabine montierten Überwachungsmonitoren ein.
Kurz vor zwölf Uhr setzte sich die erste A320 der neuen Generation dann in Bewegung und rollte zur Bahn 32L in Blagnac. Unter dem Beifall der Zuschauer hob die für den Erstflug 60 Tonnen schwere Maschine überpünktlich etwa eine Minute vor 12:00 Uhr ab und stieg in nordwestlicher Richtung weg. In den folgenden knapp zweieinhalb Stunden arbeitete die Crew, unterstützt von der Mannschaft im Telemetrieraum am Boden, ein umfangreiches Programm ab. So wurde alle Systeme gecheckt und ein beträchtlicher Teil des Flugbereichs bis in Höhen von knapp 8000 Metern eröffnet. „Viel Spaß“ hätten sie gehabt und das Flugzeug sei „sehr vielversprechend“, erklärte Pilot Pellerin nach der Landung um 14:22 Uhr. Das Flugverhalten fühle sich an wie in einer normalen A320, was eine gute Sache sei, ergänzte de Malleray. „Eine Menge Arbeit liegt aber noch vor uns. Aber ich bin zuversichtlich, dass (die pünktliche Zulassung) machbar ist“, blickte Manfred Birnfeld voraus.
Eine reibungslose Einführung der A320neo ist auch notwendig, denn die neue Generation des Bestsellers ist ein Schlüsselprojekt für Airbus. Die bisher 60 Kunden warten schon und haben mit 3257 Bestellungen Vorschusslorbeeren verteilt wie bei noch keinem Verkehrsflugzeugprogramm. Im Rennen mit der Boeing 737 MAX ist Airbus derzeit mit einem Marktanteil von 60 Prozent in der Führungsposition. Dank ihrer gegenüber der 737 MAX größeren Bodenfreiheit kann die A320neo neben dem CFM-International-LEAP-1A auch die im Durchmesser deutlich größeren PurePower-PW1100G-JM-Getriebefan-Triebwerke unter ihren Flügeln tragen. Der Getriebfan verhilft besonders der A321neo zu einer attraktiven Kombination aus hoher Kapazität und guter Wirtschaftlichkeit. Für die gesamte A320-neo-Familie versprechen die Werbeprospekte zwei Tonnen mehr Nutzlast, fast 1000 Kilometer mehr Reichweite und zunächst um 15 Prozent geringere Kraftstoffverbrauchswerte und Schadstoffemissionen.
Bis auf das kleinste Familienmitglied, die A318, will Airbus die gesamte A320-Familie zur neo-Generation aufwerten. Bis zum Jahresende 2015 soll die A320neo zugelassen sein. Für diesen Zulassungsmarathon von rund 3000 Stunden sind nicht weniger als acht Flugzeuge im Einsatz: vier A320neo, zwei A319neo und zwei A321neo, jeweils mit beiden Triebwerksvarianten für die Zulassung der Antriebe. Sechs dieser acht Testflugzeuge werden in Hamburg gebaut. Mit der A320neo, MSN6286, D-AUBA rollte in Hamburg bereits das erste „Development Aircraft“ dieser Reihe aus der Halle. Zwei A320-neo mit PW-Triebwerken, die erste mit schwerer, die zweite mit leichter Flugtestausrüstung, sollen noch in diesem Jahr fliegen. Im Frühjahr 2015 folgt dann die erste A320neo mit CFM-Triebwerken und schwerer Flugtestausrüstung, Mitte 2015 die zweite mit leichter Flugtestausrüstung.
Die Flugzeuge spulen das komplette Testprogramm ab: Flugerprobung der Handlingeigenschaften, Leistungsmessungen, Triebwerkstests, Hitzetests, Höhentests, Kältetests, Lärmmessungen, ETOPS-Langstreckenflüge und Einmotorenflüge, Kabinentests, sowie Tests des Autopiloten und der modifizierten Flugsteuerungssoftware an Bord.
Auch bei der verkürzten A319neo und der gestreckten A321neo macht die Variante mit dem PW-Triebwerk den Anfang im Testbetrieb, danach folgt jeweils die CFM-Ausführung. Schon bevor die erste A320neo flog, war Airbus rund 250 Teststunden in der Luft: So wurden Änderungen des Flugverhaltens am mit Sharklets nachgerüsteten A320-Prototyp mit konventionellen Triebwerken untersucht. Außerdem wurde die hintere Verkleidung des neo-Pylonen an einer A380 geprüft und das störungsfreie Funktionieren der Schubumkehr auf einem Teststand bestätigt.
Im Sommer begann Airbus außerdem eine „Virtual First Flight“-Kampagne im Simulator und bei Bodentests. Die Airbus-Flugtestorganisation muss mit ihren 43 Testpiloten, 58 Flugtestingenieuren, 11 Test Flight Engineers (sie betreuen einzelne Testflugzeuge) und 35 Boden-testingenieuren eine stattliche Flotte betreuen: Neben den bald acht neo-Flugzeugen sind auch andere, wie A380 und A400M, zum Zwecke weiterer Verbesserungen in der Luft, und natürlich muss auch die A350-900 zur A350-1000 weiterentwickelt werden. Im Jahr 2014 sind stolze 22 Flugzeuge bei der Testorganisation von Airbus im Einsatz. 2015 werden es 16 Flugzeuge sein, 2016 sind es 19 Flugzeuge.





Immer Mehr Sitze an Bord





Bis zu 189 Passagiere dürfen die A320ceo (conventional engine option) und A320neo (new engine option) befördern – dank ihrer relativ großen Kabinentüren und Notausgänge und der neuerdings verfügbaren Ausstattung mit zweispurigen Notrutschen. Die A321, der künftige Star der neo-Familie, soll von 220 Passagieren für Charter- oder Niedrigpreis-Airlines auf 240 Sitze gebracht werden können, was sechs Prozent Kraftstoffkosten pro Sitz spart. Für diese „Cabin Flex“-Ausführung plant Airbus eine spezielle A321-Rumpfausführung ohne „Tür 2“, also das Türpaar vor den Flügeln. Stattdessen soll die „Tür 3“, das Türpaar direkt hinter den Flügeln, um vier Spante heckwärts verlegt werden. Über dem Flügel werden bei der verdichteten Bestuhlungsvariante doppelte Notausgänge installiert. Modifiziert wird auch der Heckbereich in der Kabine: Statt der großen Küche vor dem hinteren Druckschott werden dort zwei Toilettenräume platziert, und es bleibt noch Platz für eine kleinere Küche. Dadurch gewinnt man Sitze, so dass letztlich 240 bei nur 28 Zoll (71,1 cm) Abstand in den Rumpf passen.
Dank ihrer besseren Aerodynamik, dank neuer Triebwerke und dank besserer Software verbessern sich die Start- und Landeleistungen der A320neo-Familie deutlich. Airbus rechnet vor, dass man mit der A320neo zum Beispiel auf einer 1000-Kilometer-Kurzstrecke 35 Passagiere zusätzlich gegenüber einer A320 mit herkömmlichen CFM56-5B-Triebwerken mitnehmen könne, wenn man von besonders anspruchsvollen Flughäfen wie Santos Dumont in Rio (sehr kurze Bahnen) abfliegt. Die größere A321neo könne auf einer 4600 Kilometer langen Beispielmission ab Phoenix (Wüstenhitze) im Vergleich zu den Vorgängern immer noch 25 Passagiere zusätzlich befördern, wirbt der Hersteller. Der Lärm der Triebwerke liege dabei 15 EPNdB unter den zulässigen Grenzen von Chapter 4. Schon bei den Bodenrolltests konnte man hören, dass die A320neo ungewöhnlich leise ist.
Während die Airbus-Flugtestabteilung ihre Flugzeuge auf das Versuchsprogramm vorbereitet, plant die Produktionsabteilung bereits den Hochlauf der Fertigung bei den vier Endmontagelinien: Die Toulouser Zeitung „La Dépêche“ meldete Mitte September, Airbus habe auf einer Konferenz in Toulouse die Zulieferer auf stark steigende Produktionsraten der A320neo eingeschworen. Bisher war offiziell bekannt, dass Airbus die A320-Produktion ab Mitte 2015 von heute 42 Flugzeugen steigern möchte und ab März 2016 nochmals auf 46 Flugzeuge im Monat erhöhen will. Laut „La Dépêche“ liefen nun aber bereits Studien bei dem Hersteller, im Jahr 2017 sogar Fertigungsraten von etwa 50 Flugzeugen im Monat und 2020 sogar von etwa 60 Flugzeugen der A320neo-Familie pro Monat zu erreichen. Airbus dränge die Zulieferer relativ unverblümt dazu, ihre Infrastruktur für die neuen Produktionsziele erheblich zu erweitern, sonst werde man sich auch anderer Lieferanten bedienen.
FLUG REVUE Ausgabe 11/2014




