Seattle, 2015: Boeing ist in Eile. Die 737 MAX hinkt dem Konkurrenzmodell Airbus A320neo um neun Monate und eine vierstellige Zahl Aufträge hinterher. Etwas Boden will Boeing in der Zulassung gutmachen. Die US-Luftfahrtaufsicht FAA weist ihre Prüfer zum Abnicken von Boeing vorgelegter Testdokumentationen an.
Das enthüllt die „Seattle Times“. Die Zeitung und Reporter Dominic Gates sind gut im Boeing-Universum vernetzt. Der Bericht legt gravierende Verstöße gegen die Sicherheitskultur bei der Zulassung der 737 MAX nahe und stützt sich auf die Aussagen „unmittelbar“ an dem Verfahren beteiligter Ingenieure. Im Zentrum des Bebens steht die „Sicherheitsanalyse“ zum Fluglagekorrektor MCAS, die Boeing der FAA vorlegte. Darin habe Boeing die Wirkung des neuen Systems heruntergespielt – an den Serienflugzeugen sei das MCAS zu „vierfach“ größen Eingriffen in die Trimmung in der Lage gewesen als in dem Dokument angegeben.
MCAS: System ohne Redundanz
Die Folgen eines Systemversagens stuften die Boeing-Ingenieure laut „Seattle Times“ in der Sicherheitsanalyse zwar nicht als „katastrophal“ aber immer noch als „gefährlich“ ein. Doch auch damit hätte sich das MCAS nicht auf Daten eines einzigen Sensors stützen dürften – wurde von Boeing aber dennoch ohne Redundanz ausgelegt: ein fehlerhafter Sensor reicht, um das System zu gefährlichen Trugschlüssen über die Lage des Flugzeugs in der Luft und korrigierenden Eingriffen zu verleiten.
Von Seiten der FAA-Spitze „gingen ständig neue Beratungen aus, immer mehr Punkte an Boeing zu delegieren“, berichtete ein ehemaliger FAA-Ingenieur der „Seattle Times“ über enormen Termindruck in der Zulassung. „Eine vollständige und gründliche Gegenprüfung der Unterlagen fand nicht statt.“
Boeing pocht in einer Stellungnahme zu dem „Seattle Times“-Bericht darauf, dass die 737 MAX „in Übereinstimmung mit den Verfahren der FAA“ die Flugerlaubnis erhalten habe. Der Hersteller will in wenigen Tagen ein Softwareupdate für das MCAS vorlegen. Das Update wurde laut Boeing über die letzten Monate „in enger Zusammenarbeit mit der FAA“ entwickelt.
Zulassung der 737 MAX wird überprüft
Für die möglichen Verstöße im Zulassungsverfahren interessiert sich laut einem weiteren Pressebericht inzwischen die Justiz. Eine Grand Jury in Washington habe dazu von mindestens einer Person Dokumente und Korrespondenz eingefordert, berichtete das „Wall Street Journal“ am Sonntag in seiner Online-Ausgabe und berief sich dabei auf mit der Sache vertraute Personen.
Das Verkehrsministerium habe unterdessen die Zulassung der Modellreihe Boeing 737 MAX durch die US-Luftfahrtbehörde FAA im Auge.Boeing wollte sich auf Nachfrage der Zeitung nicht zu dem Thema äußern. Bei den Ministerien war laut „Wall Street Journal“ am Sonntag niemand für eine Stellungnahme erreichbar.
In der Anforderung der Unterlagen durch die Grand Jury wird dem Bericht zufolge ein Ermittler des US-Justizministeriums als Kontakt genannt. Das Schreiben wurde demnach am 11. März verschickt – einen Tag nach dem zweiten Absturz, bei dem alle Insassen einer Boeing 737 MAX 8 von Ethiopian Airlines ums Leben gekommen waren.