Japans Comeback
Mitsubishi MRJ auf dem Weg zum Erstflug

Mit dem MRJ will Mitsubishi erstmals ein eigenes Verkehrsflugzeug auf den Markt bringen. Nach mehrjähriger Verspätung steht der mit Getriebefans ausgestattete Regional Jet nun kurz vor dem Erstflug. Die anschließende Flugerprobung wird zeigen, ob die ehrgeizigen Ziele gegenüber den konkurrierenden Flugzeugen realistisch sind.

Mitsubishi MRJ auf dem Weg zum Erstflug

Mitsubishi MRJ auf dem Weg zum Erstflug

Nach langer Abstinenz versucht sich Japan wieder auf dem Markt der Verkehrsflugzeuge. Die japanische Luftfahrtindustrie hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem auf die Lizenzfertigung und die Teileproduktion konzentriert. Die meisten Eigenentwicklungen waren auf den militärischen Bereich oder das Geschäftsreisesegment beschränkt. Die einzige Ausnahme bildete der Turboprop NAMC YS-11 aus den 1960er Jahren, der sich jedoch nicht zu einem kommerziellen Erfolg entwickelte. Diese Negativbilanz will Mitsubishi Heavy Industries nun mit dem MRJ (Mitsubishi Regional Jet) ändern und gründete 2008 dazu eigens die Mitsubishi Aircraft Corporation. 

Wie bei fast allen aktuell in der Entwicklung befindlichen Regionaljets kommt auch beim MRJ die PurePower-Familie von Pratt & Whitney zum Einsatz. Neben der CSeries war das japanische Muster die erste Anwendung für den Getriebefan. Damals war der Erfolg der neuen Antriebsfamilie, die wesentlich zu den Vorteilen gegenüber den Konkurrenzmodellen beiträgt, noch nicht abzusehen. Der Treibstoffverbrauch des MRJ beträgt laut den Japanern mehr als 20 Prozent weniger als der der aktuellen E-Jets von Embraer. Die vom Fluglärm des MRJ90 betroffene Fläche soll beispielsweise beim Start in Amsterdam-Schiphol im Vergleich zu einer E-190 um 40 Prozent kleiner sein. 

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Zeitvorteil gegenüber der Konkurrenz schmilzt

Grafik: FLUG REVUE

Mit dem Start der zweiten E-Jet-Generation schlugen die Brasilianer zurück, und zwar ebenfalls mit dem Getriebefan. Das PW1700G der Embraer E175-E2 ist in weiten Teilen baugleich mit dem PW1217G des MRJ. Dennoch sieht sich Mitsubishi weiter im Vorteil, weil man im Vergleich zur Konkurrenz einen komplett neuen Entwurf bietet: „Da wir bei Null anfingen, hatten wir gute Möglichkeiten, die neuesten Technologien zu verwenden“, sagt Hideyuki Kamiya, Direktor für strategisches Marketing bei der Mitsubishi Aircraft Corporation. So setzen die Konstrukteure auf modernste Aerodynamik und eine Tragfläche mit hoher Streckung. Im Cockpit kommt neue Avionik von Rockwell Collins mit vier 38-Zentimeter-Bildschirmen zum Einsatz. 

Der neue Entwurf bietet aber auch ein höheres Entwicklungsrisiko, zumal den Japanern Erfahrungen bei Entwicklung und Zulassung eines kompletten Verkehrsflugzeugs fehlen, wie sich später zeigen sollte. Zwischenzeitlich musste Mitsubishi bei der Fertigung des Prototyps aufgrund von Fehlern in der Zulassungsdokumentation von vorne anfangen und rund 25 Prozent der Teile wieder verschrotten. Zudem dauerten viele Arbeiten länger als gedacht, sodass es zu mehrfachen Verzögerungen kam. Änderungen des Entwurfs wie der Materialwechsel der Flügel von Verbundwerkstoffen zu Aluminium im Jahr 2009 kosteten ebenfalls wertvolle Zeit. Auf der positiven Seite erlaubten die Verspätungen Pratt & Whitney, am Triebwerk einige Verbesserungen durchzuführen, die sich zwischenzeitlich bei den Tests der anderen PurePower-Mitglieder ergeben hatten. 

Der Erstflug ist nun für Oktober geplant, fast ein Jahr nach dem Roll-out am 18. Oktober 2014. Zu jenem Zeitpunkt hatte sich der damalige Präsident von Mitsubishi Aircraft, Hideaki Omiya, bei der Feier in Nagoya zuversichtlich gegeben: „Ein Produkt „made in Japan“, das ein Höchstmaß an Wirtschaftlichkeit und Kabinenkomfort bietet, verlässt endlich die Welt der Träume und wird Realität. Wir senden den MRJ mit größter Zuversicht und Stolz bald in die Welt hinaus.“

Die fünf Prototypen sollen zusammen 2500 Flugstunden absolvieren. Die Indienststellung ist für das zweite Quartal 2017 vorgesehen, knapp vier Jahre später als ursprünglich avisiert. 

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Flugtests sollen in Japan und den USA stattfinden

Grafik: FLUG REVUE

Dennoch hofft Marketingdirektor Hideyuki Kamiya weiter auf den Zeitvorteil gegenüber Embraer, deren E175-E2 2020 einsatzbereit sein soll: „Unser Produkt ist drei Jahre früher verfügbar.“ 

Unterstützung holt sich Mitsubishi in den USA bei der Firma AeroTEC, die für das MRJ-Programm in Seattle ein Ingenieurzentrum mit 150 Angestellten betreiben wird. Außerdem führen beide Unternehmen einen Teil der Flugversuche vom Grant Country International Airport in Moses Lake im Bundesstaat Washington durch. Tests von hoch gelegenen Flugplätzen aus sollen auf dem Gunnison-Crested Butte Regional Airport in Colorado stattfinden. Sonderversuche auf der Runway sind in Roswell, New Mexico, vorgesehen. Die Klimaerprobung erfolgt im McKinley-Labor in Florida. 

Der US-Anteil kommt nicht von ungefähr, schließlich sieht Kamiya den größten Markt für den MRJ in Nordamerika: „Die maximale Startmasse liegt unter 40 000 Kilogramm. Der MRJ ist auf dem US-Markt ein gutes Flugzeug  als Nachfolger von 50-Sitzern.“ Aufgrund der „Scope Clause“ genannten Regeln der US-Pilotengewerkschaften dürfen die Regionalpartner der großen Airlines keine schwereren Flugzeuge betreiben. Eventuell muss Mitsubishi hier nachbessern, um das Limit einzuhalten. Die Verkäufe des MRJ verliefen zunächst schleppend, bis zwei durchaus überraschende Großaufträge aus den USA von SkyWest und Trans States die Zahl der georderten Flugzeuge auf 223 klettern ließ. 

Weitere Verspätungen dürften insbesondere die US-Kunden äußerst kritisch sehen, zumal SkyWest auch 100 E175-E2 von Embraer bestellt hat. Aufgrund des erfreulichen Auftragsbestands sehen sich die Japaner allerdings mit einem schnelleren Fertigungshochlauf konfrontiert, als zunächst angenommen. Eine neue Endmontagehalle in Nagoya-Komaki soll die maximale Fertigungskapazität auf zwölf Flugzeuge pro Monat erhöhen. „Wir zielen auf eine Rate von zehn Maschinen“, erklärt Kamiya. Zunächst konzentriert sich die Fertigung auf den MRJ90. Die Produktion des kleineren MRJ70 für 76 Passagiere ist zeitlich ein Jahr hinter der des MRJ90 angesiedelt. Da Embraer auf eine modernisierte Version der E170 verzichtet – der aktuelle Auftragsbestand umfasst nur fünf Flugzeuge –, dürfte der MRJ70 der einzige neue 70-Sitzer auf dem Markt werden. Verkauft hat Mitsubishi indes noch keinen einzigen. Auf mehr Interesse könnte der MRJ100X mit Platz für 100 Fluggäste stoßen. „Wir warten auf ein gutes Timing, um dieses Programm zu starten“, meint Kamiya. 

Die nächste Herausforderung wartet dann mit der Errichtung eines zuverlässigen weltweiten Kundendienstes. Hier will Mitsubishi mit Boeing zusammenarbeiten und von der Erfahrung des Flugzeugherstellers profitieren.

MRJ-Chronik

Grafik: FLUG REVUE

2002: Das japanische Wirtschafts-, Handels- und Industrieministerium (METI) schreibt eine Studie für die Entwicklung eines 30-sitzigen Regionaljets im eigenen Land aus.

2003: Mitsubishi erhält den Zuschlag und beginnt mit der auf fünf Jahre angelegten Studien- und Entwicklungsphase (Volumen: rund 420 Millionen Dollar); Kawasaki nahm nicht an der Ausschreibung teil, da man das Marktpotenzial als zu gering erachtete.

Frühjahr 2005: Der 30-Sitzer wird wegen geringen Erfolgsaussichten zugunsten einer Familie mit 70 bis 90 Sitzen aufgegeben.

Herbst 2006: Rolls-Royce soll das RB282 als Antrieb liefern.

10. Oktober 2007: Auswahl des Getriebefans PW1217G von Pratt & Whitney.

Oktober 2007: Genehmigung zum Verkaufsstart.

Februar 2008: Auswahl von Programmpartnern: Hydraulik: Parker Aerospace; Elektrik, Klimaanlage und Hilfsgasturbine: Hamilton Sundstrand; Avionik: Rockwell Collins, Fahrwerk: Sumitomo.

28. März 2008: Programmstart mit Bestellung von All Nippon Airways (ANA) über 25 MRJ90. Erstflug für 2012 und Indienststellung für 2013 geplant.

1. April 2008: Mitsubishi Aircraft Corporation nimmt Betrieb auf.

9. September 2009: Endgültiger Entwurf wird ausgewählt.

2. Oktober 2009: Absichtserklärung von Trans States Holdings über den Kauf von 50 MRJ.

September 2010: Kritische Entwurfsüberprüfung.

23. September 2010: BAE Systems soll Flugtestausrüstung für MRJ liefern.

30. September 2010: Beginn der Teilefertigung.

27. Dezember 2010: Festschreibung des Trans-States-Auftrags.

5. April 2011: Beginn der Montage.

16. Juni 2011: Absichtserklärung der ANI Group Holding für den Kauf von fünf MRJ; wird später aufgelöst.

22. Juni 2011: Mitsubishi und Boeing schließen einen Vertrag über die Zusammenarbeit beim Kundendienst für den MRJ.

Oktober 2011: PW1217G schließt Bodentests ab.

Dezember 2011: Systemprüfstand (Iron-Bird) geht in Dienst.

25. April 2012: Verschiebung des Erstflugs auf das dritte Quartal 2013 und der Indienststellung auf 2015.

30. April 2012: Beginn der Flugerprobung des PW1217G an einer Boeing 747SP.

11. Juli 2012: Absichtserklärung von SkyWest über den Kauf von 100 MRJ, die ab 2017 geliefert werden sollen.

9. August 2012: Ankündigung der PW1217G-Endmontage in Japan.

13. Dezember 2012: Festschreibung der SkyWest-Bestellung.

22. August 2013: Verschiebung der Erstauslieferung um zwei Jahre auf das zweite Quartal 2017 und des Erstflugs von Ende 2013 auf das zweite Quartal 2015.

15. Oktober 2013: Beginn der Endmontage des ersten Prototyps (Flight Test Aircraft, FTA1).

Mai 2014: Roll-out des Prototyps für statische Belastungsversuche.

5. Juni 2014: Erster Getriebefan geliefert.

17. Juni 2014: Verbindungen von Rumpf und Tragfläche bei FTA1.

15. Juli 2014: Air Mandalay bestellt sechs MRJ90.

Juli 2014: Mitsubishi kündigt Durchführung von Flugtests in den USA an.

28. August 2014: Japan Airlines unterzeichnet Absichtserklärung über den Kauf von 32 MRJ.

26. September 2014: Eastern Air Lines unterschreibt definitiven Kaufvertrag über 20 MRJ90.

18. Oktober 2014: Roll-out in Nagoya. Erstflug nun für zweites Quartal 2015 geplant.

25. Dezember 2014: Biegetest der Tragfläche.

13. Januar 2015: Erster Triebwerkslauf am FTA 1.

8. Juni 2015: Beginn der Rollversuche mit FTA 1.

FLUG REVUE Ausgabe 09/2015

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Erscheinungsdatum 06.03.2023