Gulfstream G700: Das neue Topmodell unter den Businessjets

Kurz vor der Zulassung?
Gulfstream G700: Das neue Topmodell

Zuletzt aktualisiert am 14.03.2024

Es hat viel länger gedauert, als Gulfstream zunächst dachte, aber nun steht die FAA-Zulassung der mindestens 75 Millionen Dollar (70 Mio. Euro) teuren G700 wohl kurz bevor. Damit kann der Hersteller aus Savannah endlich mit der Auslieferung seines neuen Spitzenmodells beginnen. Bis zu 50 Flugzeuge könnten dieses Jahr an Kunden übergeben werden, denn die Fertigung läuft schon seit geraumer Zeit: Bis Ende 2023 standen zum Beispiel 15 fertig ausgestattete G700 bereit, insgesamt sollen schon über 30 Flugzeuge gebaut sein. Sie nicht liefern zu können, schlug mit einer Milliarde Dollar Umsatzausfall und 250 Millionen Dollar weniger Gewinn ins Kontor. Gulfstream lieferte 2023 nur 111 Flugzeuge aus, weniger als die geplanten 135 und auch weniger als im Jahr 2022.

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Reichweite erhöht

Mit der G700 führt Gulfstream sein neues Spitzenmodell ein, das die Position des Unternehmens bei den großen Langstreckenjets gegenüber Konkurrent Bombardier (Global 7500) festigen soll. Der Jet bietet Spitzenwerte in vielen Bereichen: So wurde die maximale Reichweite im letzten September aufgrund der guten Testdaten von 7500 auf 7750 NM (14 350 km) bei einer Reisegeschwindigkeit von Mach 0.85 angehoben, womit man knapp vor der Global 7500 (7700 NM) liegt. Bei Mach 0.9 kommt die G700 nun 6650 NM (12 315 km) weit, auch hier ein Plus von 250 NM (460 km). Angehoben wurde zudem die MMO (Maximum Operating Speed) von Mach 0.925 auf Mach 0.935.

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Kabinen-Ausstattung

Als Top-Verkaufsargument sieht Gulfstream auch die Kabine. Diese misst 2,49 x 1,91 x 17,40Meter und sei die "höchste, breiteste und längste" in der Branche – jedenfalls bis Dassault bei der Falcon 10X mit 2,77 x 2,03 Metern noch ein paar Zentimeter drauflegt (Länge 16,40 m). Damit lassen sich in der G700 bis zu fünf separate Bereiche realisieren, einschließlich der "Ultragalley" und einer großen Suite mit Dusche. Wie üblich werden die großen, ovalen Fenster mit einer Breite von 75 Zentimetern verwendet. Eine auf 20000 LEDs basierende Beleuchtung "kann jeden Sonnenstand" simulieren. Zugelassen wird die G700 für maximal 19 Passagiere, üblich dürften aber Ausstattungen mit zehn normalen Sitzen, einem Sofa und einem Bett sein. Hier stehen acht Schlafplätze zur Verfügung. Hervorgehoben wird auch die "branchenweit niedrigste Kabinendruckhöhe": 865 Meter bei einer Flughöhe von 12 500 Metern. Die Nutzlast ist mit 2900 Kilogramm angegeben.

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Symmetry-Cockpit

Neben den Passagieren hat Gulfstream auch die Crew im Blick. Es wird ein "Symmetry"-Cockpit auf Basis des Honeywell Primus Epic verbaut. Dieses hat vier große Farbdisplays auf dem Instrumentenbrett und insgesamt zehn Touchscreens für Informationen und die Eingaben der Crew. Gesteuert wird mit Sidesticks, wobei sich diese synchron bewegen, sodass auch der jeweils nicht fliegende Pilot ein Gefühl für die Eingaben seines fliegenden Kollegen bekommt. Das führt zu einem deutlich besseren Situationsbewusstsein, so Gulfstream. Das Fly-by-Wire-System wird von Parker Aerospace geliefert. Thales ist für den Flugkontrollcomputer zuständig. Installiert wird auch ein Sichtsystem, basierend auf einem Infrarotsensor, was bei Anflügen mit schlechter Sicht hilfreich ist. Dazu kommt ein Synthetic Vision System, das eine computergenerierte Außensicht erzeugt. Beide Bilder werden auf beiden Head-up-Displaysangezeigt.

Als Antrieb wurde das Rolls-Royce Pearl 700 (BR700-730B2-14) gewählt, das beim Center of Excellence für Geschäftsreisetriebwerke in Dahlewitz entwickelt wurde. Es hat als Kern das Advance2 und ein neues, angepasstes Niederdrucksystem. Damit steigt gegenüber dem BR725 die Startleistung um etwa acht Prozent auf 81,2 Kilonewton. Der spezifische Kraftstoffverbrauch soll sich um fünf Prozent verbessert haben.

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Ankündigung und Erstflug

Angekündigt wurde die G700 am Vorabend der NBAA Convention & Exhibition im Oktober 2019 in Las Vegas. Während der Veranstaltung enthüllte Gulfstream-Präsident Mark Burns ein Modell der G700 in Originalgröße und zeigte ein Video, wie das Flugzeug aus eigener Kraft in der Gulfstream-Zentrale in Savannah rollt. In Vorbereitung auf den Erstflug hatte Gulfstream bereits fast 14000 Stunden Labortests einschließlich der erforderlichen Strukturtests erfolgreich abgeschlossen. Die Zulassung wurde für 2022 erwartet. Ihren Erstflug absolvierte die G700 am 14. Februar 2020. Der Take-off vom Savannah/Hilton Head International Airport war um 13:19 Uhr, die Landung folgte 2 Stunden und 32 Minuten später. Der Jet absolvierte den Flug mit einer 30/70-Mischung aus nachhaltigem Flugkraftstoff. Die Testflugzeuge zwei und drei folgen am 20. März beziehungsweise am 8. Mai. Bis dahin wurden mehr als 100 Stunden geflogen, wobei eine maximale Höhe von 16460 Metern und eine Höchstgeschwindigkeit von Mach 0.94 erreicht wurden. Neben der Erweiterung des Flugbereichs standen Flattertests, Tests der Flugeigenschaften und der Flugsteuerung sowie der mechanischen Systeme und Flüge in bekannte Vereisungsbedingungen auf dem Programm.

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Rekordflüge

Ein Jahr nach dem Erstflug waren 1100 Flugstunden erreicht. In der Kältekammer des McKinley Climatic Laboratory auf der Eglin Air Force Base in Florida musste sich die G700 unter eisigen Bedingungen bewähren. Versuche auf hoch gelegenen Plätzen fanden auf dem Telluride Regional Airport in Colorado (2765 Meter) statt. Die G700 übertraf ihre maximale Betriebsgeschwindigkeit im Zuge der Tests und erreichte Mach 0.99. Bis zum Jahresende 2021 hatte der neue Jet Streckenrekorde auf wichtigen Flügen zu Kundenbesichtigungen aufgestellt. Im September zum Beispiel stellte das voll ausgestattete Serientestflugzeug Geschwindigkeitsrekorde von Savannah nach Doha (Katar) auf. Von Doha nach Paris und von Paris zurück nach Savannah. Anschließend unternahm die G700 Rekordflüge von Houston (Texas) nach Riad und kehrte in Rekordzeit von Riad nach Savannah zurück. Mittlerweile hat die G700 mehr als 50 Streckenrekorde aufgestellt.

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Verzögerte Zulassung

Im April 2022 musste Gulfstreams Muttergesellschaft General Dynamics dann erstmals einräumen, dass sich die Zulassung "um drei bis sechs Monate" verzögern könnte, da die FAA eine gründlichere "Zeile für Zeile"-Prüfung der Flugsteuersoftware angeordnet hatte. Auslöser für die Vorgehensweise der FAA, so suggerierte General Dynamics, waren die Probleme mit der Boeing 737. Im Mai 2022 gab die G700 ihr Debüt auf der EBACE in Genf – natürlich nicht, ohne auch hier einen neuen Geschwindigkeitsrekord ab Savannah aufzustellen (7 Stunden und 37 Minuten). Im Herbst folgte eine weltweite Vorführtour, unter anderem nach Asien. Die Versuche gingen auch 2023 weiter. Bis zur EBACE im Mai wurden zum Beispiel am Cecil Airport in Jacksonville, Florida, bei Flugqualitätstests "eine hervorragende Stabilität und Kontrolle beim Start, bei der Landung und im Steigflug" nachgewiesen. Bei der Wallops Flight Facility der NASA wurden Landungen und Rollmanöver zwischen 60 und 120 Knoten bei nasser Bahn absolviert. Darüber hinaus wies die G700 bei Überflügen Geräuschpegel nach, die weit unter den FAA-Grenzwerten liegen. "Die G700 übertrifft weiterhin unsere Erwartungen in allen Aspekten des Flugtestprogramms", sagte Mark Burns. Was fehlte, war aber immer noch die FAA-Zulassung. Diese lag auch bis zum Jahresende nicht vor, was zu den zu Beginn angesprochenen Umsatz- und Gewinneinbußen führte.