Umweltfreundliche Verkehrsflugzeuge

Leiser, sauberer, sparsamer
Umweltfreundliche Verkehrsflugzeuge

Zuletzt aktualisiert am 26.06.2015

Die erste Stufe ist geschafft: Mitte November meldete die NASA den Abschluss einer Serie von Windkanaltests im Ames-Forschungszentrum mit dem modifizierten Seitenleitwerk einer Boeing 757. Die bei der Firma Advanced Technologies in Newport News überholte und völlig umgebaute Gebraucht-Heckflosse stammte von einem Flugzeugfriedhof in der Wüste Arizonas. Sie verfügt nun über ein ganzes Raster von schwenkbaren Öffnungen, aus denen man gezielt Druckluft leiten kann, um die Strömung am Leitwerk zu beeinflussen. Diese „active flow control“ soll die aerodynamische Wirkung des Leitwerks so stark verbessern, dass man dessen Fläche bei künftigen Flugzeuggenerationen verkleinern kann. Das würde Gewicht, Triebwerksleistung, Treibstoff und Lärm sparen. Die vielversprechende neue „Öko“-Heckflosse soll nun auch in einer echten Boeing 757 eingebaut und ab 2015 als „757 ecoDemonstrator“ im Flug getestet werden. Das entsprechende Flugzeug, eine gebrauchte Boeing 757 von TUI, hat Boeing bereits zum Umbau übernommen.

„Die Testergebnisse der Windkanaltests sind sehr vielversprechend, und gemeinsam mit der kommenden Flugtestkampagne werden sie sich auf die zukünftige Konstruktion ‚grüner‘ Flugzeuge auswirken“, sagt NASAProjektleiter Fay Collier. Mit der Testreihe „ecoDemonstrator“ will Boeing den Einsatz neuer Technologien, Materialien und Methoden im Flugzeugbau beschleunigen, um neueste Erkenntnisse der Wissenschaft schneller in die Praxis zu übernehmen. Selbst nach dem Ende der Flugtests wird der Jet noch dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen: Boeing will mit seiner Hilfe das umweltgerechte Zerlegen und Wiederverwerten von Teilen erproben.

Schon 2012 hatte Boeing eine fabrikneue Boeing 737-800, die dem Hersteller leihweise von American Airlines überlassen worden war, als „ecoDemonstrator“ eingesetzt. Dieses Flugzeug war, nur für die Testflüge, mit einer adaptiven Flügelhinterkante, einer verstellbaren Düsenaustrittsöffnung, einer aktiven Vibrationsdämpfung der Triebwerke, einer Brennstoffzelle für die Stromerzeugung und mit einer neuen Software für die Flugwegoptimierung ausgestattet worden. Mittlerweile ist dieses Flugzeug wieder auf den Serienzustand zurückgerüstet und ausgeliefert worden, während die gewonnenen Daten ausgewertet werden.

Natürlich werden neue Technologien im Flugzeugbau auch in Europa untersucht. Airbus
will zum Beispiel 2015 den Test-Airbus ATRA des DLR mit einer 90-kW-Brennstoffzelle bestücken, um damit gleich alle Nichtantriebssysteme an Bord zu versorgen, darunter Lichter, Bordunterhaltungssysteme, Avionik und Hydraulik. Ein elektrisches Rollen mit dieser A320 hatte das DLR schon 2011 erfolgreich demonstriert.

In der optimierten Flugführung liegt noch großes Sparpotenzial

Auch Safran und Honeywell testen elektrisches Rollen mit der A320. Vorteil: Man vermindert die Laufzeit, den Verbrauch und den Lärm der Triebwerke, aber schafft engste Kurven und sogar Rückwärtsfahrten auf dem Vorfeld. Der Fahrstrom stammt wahlweise aus der herkömmlichen Hilfsgasturbine  (APU) im Heck oder einer alternativ eingebauten Brennstoffzelle.

Auch nach dem Abheben geht es ums Kraftstoffsparen, und zwar durch eine optimierte Flugführung. Sie steht im Mittelpunkt der aktuellen europäischen Forschung. So absolvierte der Airbus-A320-Prototyp MSN001 Mitte März schon den zweiten Flugtest für das EU-Flugsicherungs-Forschungsprojekt „i4D“. Dabei geht es nicht nur um genaueste Navigation im dreidimensionalen Raum, sondern auch um die Zeitachse – als vierte Dimension. Das Projekt im Rahmen des Forschungsprogramms SESAR soll den Kohlendioxidausstoß im Luftverkehr um zehn Prozent senken, Verspätungen verringern und die Reisezeiten verkürzen. An dem Projekt arbeiten Thales, das nordeuropäische Forschungskonsortium NORACON1, die Flugsicherungszentrale Maastricht Upper Area Control Centre (MUAC), das spanische Unternehmen Indra, Eurocontrol, Honeywell und Airbus mit.

Beim jüngsten Flug war die A320 von Toulouse nach Kopenhagen und Stockholm unterwegs. Auf dem Hinflug nutzte das Testflugzeug ein Honeywell-Flight-Management-System, auf dem Rückweg ein Konkurrenzsystem von Thales. Bei dem Flug sollte bestätigt werden, dass man durch den Austausch der Daten des Flugweges und der Flugzeit zwischen Flugzeug und Bodenstationen unter realen Bedingungen sicherer und effizienter fliegen kann. Durch die ständige Aktualisierung der Anzeige der Ankunftszeit kann das Flugzeug zum Beispiel während des Fluges gezielt „trödeln“, falls es zu früh eintreffen würde, statt über dem Ziel sinnlos Warteschleifen zu drehen. Außerdem ist das Einfädeln in den Verkehr am Zielflughafen mit sehr hoher Genauigkeit möglich. Dadurch kann man auch Kapazitätsengpässe entschärfen.

Wenn SESAR erfolgreich abgeschlossen wird, könnte es schon 2018 im europäischen Luftverkehr eingeführt werden. Falls es gelänge, die zivilen Fluglotsen von ihren zahlreichen Einschränkungen durch militärische Sperrgebiete und kleinteilige Luftraumgrenzen zu befreien, ließen sich, nach Ansicht der großen Flugzeughersteller und unter Idealbedingungen, durch kürzere Flugrouten und weniger Staus am Himmel bis zu 15 Prozent Kerosin im Luftverkehr einsparen. Dies entspräche dem Verbesserungspotenzial einer völlig neuen Flugzeuggeneration.

Noch wie etwas fernere Zukunftsmusik klingt die Forschung der amerikanischen Universität MIT (Massachusetts Institute of Technology) an Flugzeugkonfigurationen für morgen. Mit Hilfe der NASA entwarfen die Wissenschaftler bereits einen besonders effizienten Verbundwerkstoff-Zweistrahler von der Größe einer Boeing 737-800 oder eines Airbus A320. Der MIT-Entwurf mit dem Namen „D8“ und doppelt abgestrebtem T-Leitwerk ist als „Double Bubble“-Rumpf angelegt. Dabei werden zwei Standardrümpfe parallel nebeneinander so angeordnet, dass eine Art kompaktes Großraumflugzeug mit zwei Gängen in der Kabine entsteht.

Im NASA-Unterschall-Windkanal in Langley wurde bereits ein D8-Modell im Maßstab 1:11 vermessen. Clou des Entwurfes ist die Anordnung seiner beiden Triebwerke auf dem Heck. Durch diese Position soll der Widerstand der Triebwerke verringert werden, während diese gleichzeitig einen Teil der Grenzschicht über der Rumpfhaut absaugen. Außerdem können die aerodynamisch optimierten, sehr schlanken Flügel frei von Triebwerkslasten und  -systemen gehalten werden.

Lärmfrage entscheidet über die Zukunft des Überschallfluges

Das „grüne“ Denken hat mittlerweile sogar die Überschallluftfahrt erfasst. Das berühmte Entwurfsbüro „Lockheed Skunk Works“, hier entstanden einst die U-2 und die SR-71, erdachte ein Konzept für ein „grünes Überschallflugzeug“. Der zweistrahlige Entwurf mit je einem Triebwerk über und unter dem Rumpf soll durch seine spezielle Formgebung den Überschallknall vermindern. In der gleichen Richtung forscht auch die NASA mit einem eigenen Entwurf, dessen relativ geringe Lärmabstrahlung sogar Überschallflüge über Land möglich machen soll. Ob ein angesichts seines höheren Energiebedarfs grundsätzlich teurerer Überschalljet aber noch einmal eine Chance im Passagierverkehr hat, ist noch nicht geklärt. Derzeit gelten zahlungskräftige Regierungsflugstaffeln, Scheichs und Oligarchen als wahrscheinlichste Kundengruppe in diesem exotischen Geschwindigkeitssegment, nicht aber herkömmliche Airlines.

Doch neben den ganz großen Geniestreichen spielen sich viele Veränderungen im Detail ab. So rüstete Boeing-Ingenieur David Matthews erst 2010 den Boeing-Bestseller 737 mit einer tropfenförmigen und damit strömungsgünstigeren Anti-Kollisionsleuchte aus. Zusammen mit aerodynamisch verbesserten Radverkleidungen, einem strömungsgünstigeren Auslass der Klimaanlage und optimierten Vorflügeln und Flügelhinterkanten sparen alle neuen Boeing 737NG seitdem rund zwei Prozent Treibstoff oder rund 120 000 Dollar pro Jahr und Flugzeug.

Mit einer kleinen Detailverbesserung sorgt auch Lufthansa für weniger Lärm ihrer Flugzeuge. An den Flügelunterseiten seiner Airbus A320 lässt das Unternehmen neuerdings an der Tankentlüftungsöffnung einen kleinen, vom DLR entwickelten Wirbelerzeuger montieren. Er beeinflusst die Strömung und verhindert einen sonst im Landeanflug entstehenden tiefen Heulton. Damit sinkt der Gesamtschallpegel um zwei Dezibel. Airbus bietet diese Zusatzausstattung mittlerweile allen A320-Kunden an.

FLUG REVUE Ausgabe 05/2014