Mein Flug mit der DC-8: Die letzte DC-8 der USA fliegt in den Ruhestand

An Bord der letzten DC-8 der USA
Mein Mitflug im christlichen Jet-Oldtimer

ArtikeldatumVeröffentlicht am 25.12.2025
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Vor dem Boarding wird gebetet. Gemeinsam. Nicht etwa, weil von den Anwesenden irgendjemand Furcht verspüren würde beim Gedanken daran, gleich in ein Flugzeug einzusteigen, das seinen Erstflug bereits im Januar 1969 feierte. Sondern weil dieses Flugzeug, die Douglas DC-8-72CF mit dem Kennzeichen N782SP, der christlichen Hilfsorganisation Samaritan’s Purse gehört. Und da gehört das gemeinsame Gebet vor dem Start von Haus aus dazu. Mehr als 200 Hilfsflüge hat Samaritan’s Purse mit der DC-8 schon absolviert, seit der Vierstrahler 2016 seine humanitäre Laufbahn startete. Heute, ein knappes Jahrzehnt später, ist die N782SP die letzte DC-8 überhaupt im US-Register. Und sie steht im Winter ihres Flugzeuglebens, denn in Gestalt einer Boeing 767-300 parkt die Nachfolgerin schon bei Samaritan’s Purse in Greensboro (North Carolina) im Hangar.

Beladung der Douglas DC-8 von Samaritan’s Purse
Samaritan’s Purse

Mit der alten Lady zum Fliegertreffen

Für den Großraum-Twin interessiert sich heute aber keiner, denn noch ist die DC-8, die alte Lady aus Long Beach, quickfidel. Der Flug, bei dem ich dabei sein darf, ist gleichwohl kein humanitärer. Unsere Route führt nicht in ein Katastrophengebiet irgendwo auf der Welt, sondern nach Oshkosh in Wisconsin. Dort ist die N782SP als Star des diesjährigen AirVenture-Fliegertreffens angekündigt. Draußen vor dem Hangar brennt die Morgensonne gnadenlos vom wolkenlosen Himmel. Schon jetzt zeigt das Thermometer an diesem schwülen Sommertag über 30 Grad Celsius. Und da die DC-8 nicht über eine APU (Auxiliary Power Unit) verfügt, die in moderneren Flugzeugen für die Klimatisierung am Boden sorgt, erreicht die Temperatur in der Flugzeugkabine mühelos Backofenniveau. 32 Sitze in sechs Reihen bietet die Samariter-DC-8 – alle im hinteren Bereich. Davor befindet sich, erreichbar über eine kleine Tür, der Frachtraum, wiederum davor das Cockpit. Die Passagiersitze selbst stammen aus der Economy Class von American Airlines. Sitz 1A ist heute meiner. Das Fehlen einer APU bedeutet auch, dass zum Starten der Triebwerke eine sogenannte Air Starter Unit (ASU) erforderlich ist. Diese liefert – deutlich hörbar auch im Heck des Flugzeugs – die Druckluft für den Triebwerksstart. Nacheinander erwachen durch den Air-Starter links die Triebwerke 1 und 2 zum Leben. Anschließend werden die beiden rechten Triebwerke über das sogenannte Cross-Bleed-Startverfahren angelassen, bei dem die Zapfluft der beiden bereits laufenden Triebwerke verwendet wird. Wenig später erfüllt das mehrstimmige Konzert der vier CFM56-2C1-Triebwerke die Kabine.

"Helping in Jesus Name"-Schriftzug auf der Douglas DC-8 von Samaritan’s Purse
Bernd Sturm

Abheben mit vier Triebwerken

Pünktlich um 9 Uhr Ortszeit erfolgt der Pushback – und kurz darauf rollt unsere DC-8 auch schon zur Startbahn 23L des Flughafens Greensboro. Im Cockpit geht die Crew die "Before Start"-Checklist durch – dann schiebt Kapitän Greg Clover bei angezogener Bremse die vier Schubhebel in Startposition. Da die DC-8 keine Triebwerkssynchronisation besitzt, übernimmt der Flugingenieur die Feinjustierung.

Als der Kommandant die Bremsen löst, geht ein Ruck durch die Kabine. Mit beeindruckender Beschleunigung, die alle Insassen sanft in die Sitze drückt, nähert sich der alte Vierstrahler seiner Abhebegeschwindigkeit – um schließlich steil in den azurblauen, wolkenlosen Himmel aufzusteigen. Für ein Flugzeug dieses Alters ist der Geräuschpegel an Bord überraschend gering. Klar, denn die CFM56-Turbofans haben 1982 die originalen, deutlich lauteren JT3D von Pratt & Whitney ersetzt. Mit Erreichen der Reiseflughöhe beginnen die beiden charmanten Flugbegleiterinnen Carol Faulkner und Cathy Gellatly mit dem Service. Sandwiches und alkoholfreie Getränke sollen die Zeit bis zur Landung verkürzen. Allerdings bleibt wenig Zeit zum Essen, denn der Reiseflug bietet mir endlich auch die Chance, einen Blick ins Cockpit zu werfen – für dessen Besuch ich mich zunächst durch die schmale, niedrige Tür zum Frachtraum zwängen muss, um selbigen dann längs einmal komplett zu durchschreiten.

Cockpit der Douglas DC-8 von Samaritan’s Purse
Bernd Sturm

Hohe Arbeitsbelastung im Dreimann-Cockpit

Am Ziel angekommen, heißen mich neben Kapitän Greg Clover auch John O‘Neil, der heute als Erster Offizier fungiert, sowie Flugingenieur Joseph Proffitt willkommen. Die drei haben weiter alle Hände voll zu tun, denn die Arbeitsbelastung im DC-8-Cockpit ist auch zwischen Start und Landung erheblich größer als in modernen, computergestützten Flugzeugen. Mit wenigen Ausnahmen ist die DC-8 noch immer mit alten, analogen Instrumenten ausgestattet. Das ebenfalls noch im Originalzustand befindliche Panel des Flugingenieurs erfordert auch während des Reiseflugs große Aufmerksamkeit. Alle Bordsysteme werden manuell bedient und gesteuert. Den unteren Teil der Konsole dominiert das sehr komplexe Treibstoffsystem der DC-8, das aus acht einzelnen Tanks besteht. Der Flugingenieur erledigt die gesamte Treibstoffverteilung und -verwaltung manuell. Auch bei der Bedienung aller weiteren Bordsysteme – Hydraulik, Pneumatik, Elektrik, Kabinendruckausgleich – spielt der dritte Mann auf dem Flight Deck eine Schlüsselrolle.

"Die DC-8 erfordert eine viel vorausschauendere Planung als moderne Jets", erklärt Copilot John O’Neil. "Als Piloten müssen wir die Flugbahn vorhersehen und dem Flugzeug mental immer weit voraus sein." Das macht sich besonders bei der Planung des Sinkflugs bemerkbar, da die DC-8 keine Störklappen besitzt, mit denen man eingreifen könnte, sollte man während des Sinkfluges vom Flugprofil her zu hoch geraten. Daher ist für jeden Anflug eine besonders konservative und präzise Sinkflugplanung erforderlich. "Das kann vor allem dann schwierig werden, wenn man in Katastrophengebieten operiert, wo die Planung oft durch bergiges Gelände, Flugsicherungsbeschränkungen oder Gebiete mit andauernden Kampfhandlungen eingeschränkt ist", macht John klar. Die original motorisierten DC-8 konnten für einen beschleunigten Sinkflug noch in der Luft die Schubumkehr der beiden inneren Triebwerke setzen. Bei den CFM56 ist das jedoch nicht mehr möglich.

Douglas DC-8 von Samaritan’s Purse in der Frontansicht in Larnaca
Rolandos Constantinides

Ein würdiger Abschied

Tatsächlich ist, schneller als mir lieb ist, die Zeit des Sinkflugs auch schon gekommen. Und so überlasse ich die drei Gentlemen im Cockpit sich selbst und begebe mich zurück an meinen Platz – wo immerhin noch mein angebissenes Sandwich auf mich wartet. Dann lehne ich mich zurück, genieße die letzten Minuten des wahrscheinlich letzten DC-8-Fluges in meinem Leben. Durch die großen, quadratischen Kabinenfenster sehe ich die Felder von Wisconsin näher und näher kommen. Landeklappen und Fahrwerk werden ausgefahren – die Geräusche dazu klingen signifikant anders als man es aus modernen Jet-Airlinern kennt. Am Boden zeichnet sich die Silhouette unserer alten Lady als Schatten ab – noch einmal wird mir so bewusst, dass ich mich in einem Passagierjet der ersten Generation befinde.

Im Anflug auf Oshkosh schweben wir über Hunderte von Flugzeugen hinweg, die bereits ihre Parkpositionen für die Airshow eingenommen haben – was für ein Anblick! Dann, um kurz vor 11 Uhr Ortszeit, setzt die DC-8 sanft auf der Landebahn 36 auf. Der Umkehrschub der Triebwerke bremst das Flugzeug schnell ab, wir rollen zum Parkplatz. Durchs Fenster blicke ich in die Gesichter Zehntausender Luftfahrtenthusiasten, die den gerade gelandeten, geschichtsträchtigen Vierstrahler bewundern. Ein mehr als würdiger öffentlicher Abschluss der Karriere eines Flugzeugs, das sich seinen Ruhestand nach rund 99 000 Flugstunden redlich verdient hat. Knapp fünf Monate nach meinem DC-8-Flug nach Oshkosh, am 4. Dezember 2025, bricht die N782SP zu ihrem letzten humanitären Einsatz auf – und fliegt Weihnachtsgeschenke für Kinder ins Hurrikan-gebeutelte Jamaika. Ihre letzte Ruhestätte findet sie danach in Lynchburg, Virginia. Dort wird sie auf dem Gelände der privaten, christlichen Liberty University ausgestellt.

Douglas DC-8 von Samaritan’s Purse bei Sonnenuntergang in Larnaca
Rolandos Constantinides

Die Geschichte der DC-8 N782SP (Seriennummer 46013)

  • 24. Dezember 1968 Fertigstellung in Long Beach (Kalifornien)
  • 27. Januar 1969 Auslieferung an Finnair als DC-8-62CF (Kennzeichen OH-LFR, ab April 1969 OH-LFT)
  • 1981 Übernahme durch die Armée de l’Air (Kennzeichen F-RAFG)
  • 1982 Umrüstung auf CFM56 zur DC-8-72CF
  • 2005 Übernahme durch Air Transport International (als N721CX)
  • Von November 2014 bis März 2015 eingelagert in Roswell (USA)
  • 2015 Übernahme durch Samaritan’s Purse