Sowjetisches Altmetall: Die Flotte der Air Koryo

Nordkoreas Airliner-Juwelen
Sowjetisches Altmetall: Die Flotte der Air Koryo

Veröffentlicht am 30.06.2019
Sowjetisches Altmetall: Die Flotte der Air Koryo
Foto: Patrick Zwerger

Das Brummen der vier Iwtschenko-Turbopropmotoren geht durch Mark und Bein, als die Iljuschin Il-18, Kennzeichen P-835 und Baujahr 1969, mit Vollgas über die Runway des Internationalen Flughafens Pjöngjang-Sunan prescht, Sekunden später majestätisch in die Luft steigt und Kurs auf die Hafenstadt Wonsan nimmt. Bordunterhaltung ist hier unnötig, hören würde man sowieso nichts – und außerdem ist der Blick aus dem Fenster tausendmal spannender. Immerhin fliegen wir gerade mitten über Nordkorea, eines der geheimnisvollsten Länder der Welt – in einem Flugzeugtyp, der sonst nirgendwo auf der Welt mehr Passagiere transportiert. Und mit einer Fluggesellschaft, die in Europa als „schlechteste Airline der Welt“ bekannt ist, weil sie im Ranking des Bewertungsportals Skytrax den letzten Platz seit Jahren abonniert hat.

Patrick Zwerger

Zu Recht? Schwer zu sagen. Wer allerdings einmal selbst in das charmante Lächeln der Air Koryo-Stewardessen geblickt hat, das selbst den gewöhnungsbedürftigen „Air Koryo-Burger“ als Bordverpflegung vergessen macht, und wer sich selbst ein Bild über den ordentlichen technischen und optischen Zustand der Air Koryo-Maschinen gemacht hat, kann sich eines gewissen Zweifels nicht erwehren. Vor allem dann, wenn sein Herz für die Luftfahrt schlägt – denn ein aviatisches Abenteuer ist der Flug mit Il-18, Tu-134 und Co. allemal. Eines, das man so auf der Welt kein zweites Mal mehr erleben kann.

Die Anfänge: Auferstanden aus Ruinen

Choson Minhang, so hieß Air Koryo offiziell bis 1993, nahm am 21. September 1955 den Flugbetrieb auf. Bis heute ist sie die einzige zivile Fluggesellschaft Nordkoreas, das in dritter Generation von der omnipräsenten Kim-Dynastie beherrscht wird. Heute regiert in Nordkorea Kim Jong-un, und der zivile Flugverkehr, national wie international, ist mehr als überschaubar. Doch zu Zeiten seines Großvaters, des Staatsgründers und „ewigen Präsidenten“ Kim Il-sung, sah die Welt noch völlig anders aus.

Nach dem verheerenden Koreakrieg, der nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern vor allem auch als Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West geführt worden war und die Teilung Koreas bis heute zementiert, konzentrierten sich beide koreanische Staaten mit enormer Energie auf einen raschen Wiederaufbau ihrer zerstörten Länder. Im Norden, wo der Kommunist Kim Il-sung mit Unterstützung der Sowjetunion ein sozialistisch geprägtes Gesellschaftssystem etablierte, stützte man sich dabei auf Hilfe des „Großen Bruders“ aus Moskau. Der schickte nicht nur Hilfsgüter und Experten ins Land, sondern half auch beim Aufbau einer nationalen Fluggesellschaft. Bereits 1950, noch mitten im Krieg, hatte es in Gestalt der SOKAO eine koreanisch-sowjetische Airline gegeben. Nun aber, so das neue Selbstverständnis der Demokratischen Volksrepublik Korea, wollte man die Sache komplett in die eigenen Hände nehmen.

Patrick Zwerger

Die Blütezeit des Luftverkehrs in Nordkorea

Die Flotte der Choson Minhang bestand zunächst aus gebrauchten Lisunow Li-2 (Lizenzbau der DC-3), Antonow An-2 und Iljuschin Il-12. Damit ließ sich ein erstes, bescheidenes Netz von Inlandsverbindungen aufbauen. Von Pjöngjang aus flog Choson Minhang ab 1958 die Hafenstädte Hamhung im Osten und Chongjin im Nordosten des Landes an. Auch Peking wurde angeflogen. In den 60er-Jahren stießen Iljuschin Il-14 und Il-18 zur Flotte, und mit der Tupolew 154B begann für die Nordkoreaner 1975 das Jet-Zeitalter. Moskau, Ost-Berlin, Sofia und Prag bereicherten den Choson Minhang-Flugplan, während im Inland die veralteten Kolbenflugzeuge durch modernere Tupolew Tu-134 und Antonow An-24 ersetzt wurden. 1982 schließlich erhielt Choson Minhang mit der Iljuschin Il-62M ihren ersten Langstreckenjet, der auch Nonstop-Verbindungen in weit entlegene Gefilde möglich machte.

Patrick Zwerger

Als wäre die Zeit einfach stehen geblieben

Und dann geschah – lange nicht mehr viel. Blickt man auf die Flotte der heutigen Air Koryo, findet man zu großen Teilen dieselben Typen wie damals. Noch immer stehen auf dem Vorfeld des Pjöngjanger Flughafens Tu-154B, Tu-134, Il-62 und Co. herum, und noch immer halten die Mechaniker der Air Koryo die alten Haudegen in aufopferungsvoller Arbeit so gut es geht in Schuss. Allerdings: Die wenigen Linienverbindungen, die Air Koryo derzeit betreibt, werden seit geraumer Zeit ausschließlich von neuerem Fluggerät bedient: 2007 erhielten die Nordkoreaner ihre erste Tupolew Tu 204-300, drei Jahre später ergänzte eine Tu 204-100 die Flotte. Im Zuge dessen hob die EU ihre 2006 ausgesprochene Verbannung der Air Koryo aus ihrem Luftraum wieder auf. Regelmäßiger Verkehr zwischen Pjöngjang und Europa findet allerdings nach wie vor nicht statt. Im Flugplan der Air Koryo finden sich mit Peking, Shanghai und Shenyang in China sowie Wladiwostok im Osten Russlands nur vier Ziele, die mehrfach wöchentlich angeflogen werden. Neben den beiden Tu-204 setzt Air Koryo hierfür auch zwei Antonow 148 ein.

Patrick Zwerger

Modernisierung der Flotte ist dringend nötig

Gerne würde man den nostalgischen Teil der Flotte ebenfalls durch neue Jets ersetzen, doch Sanktionen der UN und die politische wie wirtchaftliche Isolation des Landes lassen dieses Vorhaben wie einen frommen Wunsch erscheinen. Russland hat vor einigen Wochen jedoch angekündigt, sich bei der UNO für eine entsprechende Lockerung der Sanktionen einzusetzen, damit Air Koryo seine Flotte endlich modernisieren kann. Gelänge dies, wäre es sowohl für Russland als auch für die Nordkoreaner ein guter Deal: Während Letztere das Durchschnittsalter ihres welkenden Flugzeugparks binnen kurzer Zeit drastisch senken könnten, würde sich für die Russen ein neuer Absatzmarkt eröffnen, den sie für die Vermarktung ihrer schwächelnden Vorzeigeflieger Suchoi Superjet und Irkut MS-21 bestens gebrauchen könnten. Auch der Kauf von Iljuschin Il-96 für die Langstrecke war in den letzten Jahren immer wieder im Gespräch. Für diesen Flugzeugtyp ist Cubana, die staatliche Airline Kubas, derzeit der einzige kommerzielle Betreiber. Allerdings liebäugelte Russland zuletzt immer wieder mit einer Neuauflage des Großraum-Jets.