Im Mai 2013 drängte Norwegian Airlines mit einer betont jungen Flotte und ambitionierten Langstreckenplänen zu Dumping-Preisen auf den Markt. Ihre rot-weißen Dreamliner sollten die großen Netzwerkcarrier unter Druck bringen und ihnen die Passagiere abwerben. Acht Jahre und einen Aktienkursabsturz um fast 100% später erklärte Konzernchef Jacob Schram im Januar 2021 das Projekt "Low-Cost-Langstrecke" für gescheitert. Norwegian werde sich in Zukunft auf ihr Kurzstreckennetzwerk fokussieren, das schon immer "das Rückgrat des Unternehmens" gebildet habe, so der Manager. Die Pandemie taugt als Ursache aber nur bedingt, denn Norwegian flog schon vor Corona in Turbulenzen. Bei genauerer Betrachtung der Branche fällt auf, dass der Pferdefuß wohl weniger bei Norwegian selbst, sondern eher im Projekt "Langstrecke zu Dumpingpreisen" begründet liegt. Ein ähnliches Schicksal hatte auch schon Wow Air aus Island getroffen – eine seit Jahren strauchelnde Air Asia X sei dabei gar nicht erst erwähnt.

Scheinbar einfaches Konzept
Das Prinzip ist im Ursprung sehr simpel und erscheint wenig risikobehaftet: Man nehme ein Minimum an Service, eine Prise Verhandlungsgeschick mit Zulieferern und ein offensives Marketing, paart dies mit Niedrigpreisen und fertig ist das Erfolgsrezept Low-Cost-Carrier. Nun ergänze man in dem Konzept, das Ryanair, Easyjet und Co. seit Jahren zu Überfliegern im Passagierwachstum macht, einfach die homogene Mittelstreckenflotte mit sparsamen Langstreckenjets und die vermeintliche Marktnische mit Erfolgsgarantie ist servierbereit. Nur anscheinend ist die Sache nicht so einfach.

Von Weeze nach New York?
Ryanair fliegt nach wie vor bewusst vor allem Provinzflughäfen in der Nähe größerer Ballungsgebiete an. Dies bringt die Airline, neben günstigen Flughafenentgelten, bei Gebührenverhandlungen in eine machtvolle Verhandlungsposition, da sie meist der größte – wenn nicht sogar der einzige – Carrier am Platz ist. Ebenso erlauben die viel kürzeren Roll- und Abfertigungszeiten an Regionalairports eine engere Taktung im Flugplan, was mehr Flüge pro Maschine an einem Tag bedeutet.
Das Konzept mag zwar für einen Airbus A320 oder eine Boeing 737 funktionieren, doch stößt beinahe jeder kleinere Flughafen bei der Abfertigung von Großraumflugzeugen und der damit verbundenen Passagierzahl an seine Grenzen. Langstrecke ab Weeze (oder jedem anderen Regionalflughafen) scheint also schon hinsichtlich dieses Punktes nicht praktikabel, zumindest nicht mit Widebodies.

Wer umsteigt, verliert
Vollblut-Billigflieger bieten keine Umsteigeverbindungen oder durchgechecktes Gepäck an. Was im ersten Moment wie ein kleiner zusätzlicher Service wirkt, verursacht im Hintergrund enorme administrative Mehrarbeit. Bietet eine Airline beispielsweise eine Umsteigeverbindung von Paris über Berlin nach Moskau an, müssen die Flüge Paris-Berlin und Berlin-Moskau zeitlich aufeinander abgestimmt sein. Komplexe Netzwerkstrukturen sind für Billigflieger aber eher unattraktiv. Die Sitzreihen auf den Point-to-Point-Verbindungen werden primär mit lokalen Privatreisenden gefüllt, die entweder eh in die jeweilige Zielregion verreisen wollten oder sich nun erst von den niedrigen Preisen überzeugen lassen, dieses Urlaubsziel überhaupt in Erwähnung zu ziehen. Low-Cost-Carrier werben ihre Passagiere somit nicht ausschließlich bei konkurrierenden Airlines ab, sondern generieren Nachfrage mit preisgünstigen Schnäppchen. Auch dieses Prinzip mag bei Flugzeugen bis zur Größe einer A320 praktikabel sein, aber 300 Sitze in einer Boeing 787 können mit lokalem Verkehr in nur wenigen Weltregionen dauerhaft gefüllt werden.

Acht hungrige Stunden an Bord?
Weitere Sparvorteile, die auf der Kurz- und Mittelstrecke zu erzielen sind, fallen bei Langstrecken ebenfalls weg. Das Fehlen kostenloser Bordverpflegung und Bordunterhaltung wiegt auf einem Acht- oder Neunstundenflug deutlich schwerer als bei einem Trip von Memmingen nach Stansted. Auch der Sitzabstand in der Economy-Class ist bereits das maximal Zumutbare und kann von Low-Cost-Carriern nicht noch unterboten werden. Während zudem Kurz- und Mittelstreckenreisen oft kurzfristig angetreten werden, erfolgt die Buchung einer Fernreise meist lange im Voraus. Das passt nicht in die Politik der Billigflieger, denn der übliche Preisverlauf eines Low-Cost-Carriers indiziert einen starken Preisanstieg, je näher der Abflug rückt. Höhere Tarife für Spontanbucher gleichen so die günstigen Einstiegspreise in einem gewissen Maße aus. Ein Aspekt, der bei geringer Spontannachfrage kaum zum Tragen kommt. Unabhängig davon ist selbst bei großen Netzwerkfluggesellschaften die effektive Blockstundenzahl von Langstreckenjets am Maximum angelangt. Eine Eingliederung zusätzlicher Flüge ist für den Billiganbieter, anders als bei Kurzstrecken, schlicht nicht umsetzbar. Auch ein Flugzeug hat schließlich nur 24 Stunden pro Tag.

Vor den Ölfirmen ist jede Airline gleich
Zwar nutzen Low-Cost-Carrier umfassende Möglichkeiten, um die betrieblichen Kosten am Boden zu senken, doch die Treibstoffkosten am Markt sind auch für Ryanair und Co. ein großer operativer Posten, der keinen Raum für Einsparungen im Vergleich zu Mitbewerbern lässt. Folglich dient insbesondere die Preispolitik für die Bodenabfertigung und das Personal als maßgeblicher Faktor für den Wettbewerbsvorteil. Je länger die Flugdauer ist, und demzufolge der Anteil des Kerosins an den Gesamtkosten, desto geringer ist jedoch der Kostenvorteil von Low-Cost-Carriern zu Netzwerk-Carriern. Studien besagen, dass dieser von bis zu 60 Prozent im Kurzstreckenverkehr auf nur noch etwa zehn Prozent auf der Langstrecke zusammenschrumpft.
Es gibt auch profitable Ausnahmen
Trotz dieser schwierigen Ausgangslage scheint es allerdings auch Airlines zu geben, die den schmalen Grat zwischen hohen Betriebskosten und geringen Preisen perfekt abgestimmt haben. So flogen Condor und TUI zuletzt vor der Pandemie Gewinne ein und waren profitable Anbieter mit Low-Cost-ähnlichen Tarifen. Zu beachten gilt jedoch, dass beide jeweils als Konzernmutter einen starken Reiseveranstalter im Rücken haben oder eng mit solchen zusammenarbeiten. Die eigenen Sitze werden so zu einem großen Teil mit Pauschaulreisenden gefüllt. Aber auch Westjet, Azul, Cebu Pacific oder Scoot scheinen ausreichend Nachfrage zu generieren und sich über die Jahre ein gewinnbringendes Geschäftsmodell aufgebaut zu haben.
Bringen A321LR und B737MAX einen Wandel?
Bisher waren Modelle mit größerer Reichweite stets mit Großraumkabinen verbunden, die sich im Point-to-Point-Verkehr nicht rentabel betrieben ließen. Die neuen Mittelstreckenjets mit Reichweiten von bis zu 9.000 Kilometern zeichnen allerdings einen neuen Zukunftstrend ab, der den Langstreckenmarkt revolutionieren könnte. Zwar bleiben die Markteintrittsbarrieren für Low-Cost-Carrier im Interkontinentalverkehr weiterhin hoch und mit großen Investitionen verbunden, jedoch könnten mit Narrowbodies zumindest die Profitaussichten auf ein Level ansteigen, das einen Low-Cost-Carrier auch auf der Langstrecke dauerhaft beflügelt. So ist es durchaus nicht utopisch, dass selbst Platzhirsche wie easyjet oder Ryanair sich eines Tages auf Überseerouten wagen.
