Flughafen Toulouse-Blagnac am Morgen des 24. November. Trotz grauen Novemberhimmels und feuchter Witterung herrscht gespannte Erstflugstimmung. Die Airbus-Mitarbeiter sind aus den Werkshallen und Büros an den Vorfeldrand geströmt. Mit laufenden Triebwerken steht die erste A350-1000, MSN059, bereits am Ende der Startbahn 32L und wartet nur noch auf den Falcon-20-Business-Jet in der Platzrunde, der ihren Flug als Fotoplattform der Testabteilung begleiten wird. Der übrige Flugbetrieb ruht.
Als die Falcon 20 ins kurze Endteil eindreht, gibt Flug AIB01L Schub. Stobende Gischtwolken hinter den beiden Rolls-Royce-Triebwerken künden davon, dass die Turbofans volle Leistung abgeben. 1,3 Tonnen Luft zieht jedes Triebwerk pro Sekunde durch seine Gehäuse, in die ein Concorde-Rumpf passen würde. Immerhin sind die neuesten Trent XWB-97 mit 432 Kilonewton Leistung die stärksten Triebwerke, die Airbus jemals in einem Verkehrsflugzeug installiert hat. Jede einzelne der 68 Verdichterschaufeln erzeugt die Kraft eines Formel-1-Rennwagens.
Nach müheloser Beschleunigung und erstaunlich leise hebt die A350-1000 sanft ab und entschwebt, in lockerer Formation mit der Falcon fliegend, in der niedrigen Wolkendecke. Landeklappen und Fahrwerk bleiben noch ausgefahren. In dieser Konfiguration könnte man bei Bedarf sofort wieder landen. Mit vorsichtigen Steuereingaben und simulierten Landeanflügen in sicherer Höhe beginnt das Flugtestprogramm, das bis zur Zulassung der A350-1000 insgesamt 1600 Stunden umfassen wird. Drei Flugzeuge werden dafür im Einsatz sein, bei der A350-900 waren es noch fünf.
Nach dem Start im „Direct Law“ der Flugsteuerung schaltet die Crew mit den Testpiloten Hugues van der Stichel, Frank Chapmann und Test Flight Engineer Gérard Maisonneuve im Cockpit und den Flight Test Engineers Patrick du Ché, Emanuele Costanzo und Stéphane Vaux in der Kabine in den „Normal Law“-Modus um. Damit filtern die Computer an Bord, wie im späteren Linienbetrieb, automatisch alle Steuerbefehle und optimieren die Ausschläge der Steuerflächen. Währenddessen beobachtet und filmt die Falcon den Airbus: Treten Flüssigkeiten, etwa Kerosin oder Hy-drauliköl aus? Vibrieren oder lösen sich Teile? Alles in Ordnung, „very normal“, funkt die Testcrew. Nun kann auch die Druckkabine in Betrieb genommen werden. Dafür klettert die A350 auf Höhen bis zu Flugfläche 250 (7600 Meter) und erfliegt schon das für den Normalbetrieb übliche Geschwindigkeitsspektrum zwischen 145 und 340 Knoten.
„Beim gesamten Erstflug ist man so konzentriert, da merkt man gar keine einzelnen Momente besonderer Anspannung mehr“, berichtet Flugtestingenieur Patrick du Ché kurz nach der Landung im Gespräch mit der FLUG REVUE. Bei einem Erstflug seien der Termindruck und die Anwesenheit der Medien die größte Besonderheit. „Eigentlich ist alles schon vorher gelöst. Wir testen die sogenannten ‚degraded modes‘ (Störungen und Ausfälle) im Labor, im Flugsimulator und in unserem Gesamtsystemsimulator ‚Iron Bird‘. Vor allem Dinge, die man niemals erwartet: Sie steuern nach links, aber das Flugzeug fliegt nach rechts. Oder irgendein System fällt aus. Heute, beim echten Flug, war alles transparent.“
Bodenstationen auch in Bremen und Hamburg
Patrick du Ché – er sitzt als Head of Flight & Integration Tests in der Kabine und gibt die Kommandos beim Testflug – blickt auf die noch bevorstehende größte Herausforderung: „Der Test der Maximalgeschwindigkeit VD/MD in ein bis zwei Monaten ist das Kritischste.“ Bei diesen Hochgeschwindigkeitstests erfliegt die A350 im Sturzflug ihre absolute Maximalgeschwindigkeit, direkt an der Bruchgrenze. Danach muss das Flugzeug erst mal zur Strukturinspektion. „Wir machen das schrittweise bei vier bis sechs Flügen. Wir sind keine Cowboys. Wir gehen so langsam vor, dass bei den schwierigen Themen eigentlich nichts Unerwartetes mehr passiert“, sagt du Ché. „Überraschungen kommen dann eher aus den Bereichen, aus denen man sie nicht mehr erwartet hat, das lehrt jedenfalls die Erfahrung.“
Damit während der Testflüge schon kleinste Abweichungen sofort bemerkt werden, misst MSN059 ständig 600 000 Flugdaten, die an 3300 Messpunkten, zu denen 120 Kilometer Kabel an Bord verlegt wurden, gewonnen werden. Bis zu 15 Videokameras zeigen auch den Telemetrieräumen in Toulouse, Bremen, Hamburg und Filton in Echtzeit die Lage an Bord. Durchschnittlich 100 Mbit Daten pro Sekunde überträgt das Testflugzeug an den Boden.
Bis zu drei Flugtestingenieure und höchstens zwei Triebwerksspezialisten sind in der Kabine. Sie können hier alle Cockpitanzeigen, Systemdaten und Aufzeichnungen abrufen. Auf Knopfdruck können außerdem 60 jeweils vorbereitete Testszenarien ausgelöst werden. Dabei greifen die Ingenieure tief in die Bordcomputer des Flugzeugs ein, etwa um gezielt Schwingungen einzuleiten, welche die Flugzeugstruktur anschließend dämpfen muss. Hinter der Ingenieurstation befinden sich die typischen Ballasttank-Fässer mit zehn Tonnen Wasser-Glykol-Gemisch. Durch Umpumpen kann man die Schwerpunktlage in nur vier Minuten um bis zu zehn Prozent verändern, was sich direkt auf die Flugeigenschaften auswirkt. Ganz hinten, im Heck der kargen, unverkleideten Kabine lassen sich bei Bedarf auch noch 51 Passagiersitze einbauen. Hier können Techniker mitfliegen, wenn der Prototyp auf entlegenen Außenstationen betreut werden soll.
Nach vier Stunden und 18 Minuten schwebt die A350-1000 wieder in Toulouse ein und landet sanft. „Wir haben alle Ziele erreicht. Das wird ein großartiges Flugzeug!“, sagt Testpilot Hugues van der Stichel direkt nach dem Flug. Airbus-Chef Fabrice Brégier klingt kämpferischer: „Die A350-1000 hat die Boeing 777-300ER gekillt. Boeing musste die 777-9 starten, schon lange vor unserem Erstflug. Mehr Sitze hat die 777-9 nur, damit sie bei den Kosten pro Sitz wettbewerbsfähig ist, nicht weil der Markt diese Sitze nachfragt. Was wir wollten, haben wir erreicht.“
In der zweiten Jahreshälfte 2017 soll Qatar Airways die erste A350-1000 übernehmen. Sie ist der größte Kunde mit Bestellungen für 37 Flugzeuge. Airbus hat bisher 195 A350-1000 an elf Kunden verkauft.





Daten: Airbus A350-1000





Airbus A350-1000
Zweistrahliges Langstrecken-Verkehrsflugzeug für 366 Passagiere bei Dreiklassenbestuhlung oder maximal 440
• Länge: 73,78 m, Höhe: 17,08 m, Spannweite: 64,75 m
• Rumpfverlängerung: 6 Spante vorne, 5 Spante hinten; Hauptfahrwerk mit je sechs Rädern, vertiefte Flügelhinterkante, verstärkte Struktur
• Triebwerke Rolls-Royce Trent XWB-97; höherer Luftdurchsatz, adaptives Kühlsystem für die Startphase
• Leermasse: 220 t, max. Startmasse: 308 t, Reichweite: 14 800 km
• Listenpreis: 355,7 Mio. Dollar
Testflugzeug MSN059
Schwere Testausrüstung. Testumfang: 600 Flug-
stunden. Erstflug, Erschließung des Flugbereichs, Festlegung der Konfiguration, Systemtests, Triebwerkstests, Modifikationstests nach der Zulassung
Testflugzeug MSN071
Schwere Testausrüstung. Testumfang: 500 Flugstunden. Leistungstests, Systemtests, Triebwerkstests, Kältetests, Höhentests, Hitzetests
Testflugzeug MSN065
Leichte Testausrüstung. Testumfang: 500 Flug-stunden. Kabinenentwicklung und Zulassung, ETOPS-Zulassung, Streckenflugerprobung, Lärmtests
FLUG REVUE Ausgabe 01/2017