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Produktionsrate sinkt dauerhaft - Boeing 747 auf der Kippe

Produktionsrate sinkt dauerhaft
Boeing 747 auf der Kippe

Mit einer unauffälligen Börsenmitteilung könnte Boeing das Ende der 747 eingeläutet haben.

Boeing 747 auf der Kippe

Der routinemäßig bei der US-Börsenaufsicht von Boeing zu veröffentlichende „Form 10-Q“-Bericht für das zweite Quartal 2016 enthielt diesmal Sprengstoff zum Thema Boeing-747-Programm. Kurz nach den Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen, nicht lange nach der Luftfahrtmesse in Farnborough und in den Sommerferien „versteckt“, teilte Boeing sich verschlechternde Aussichten für den Jumbo mit: 

„Unerwartet niedrige Nachfrage nach großen Passagier- und Frachtflugzeugen und ein unerwartet geringes weltweites Luftfrachtwachstum verstärken die Unsicherheit am Markt“, gab der Flugzeughersteller darin trocken zu Protokoll. „Deswegen haben wir den Plan aufgegeben, ab 2019 wieder eine Produktionsrate von einem Flugzeug pro Monat zu erreichen.“ Seit diesem September baut Boeing nur noch 0,5 Jumbos im Monat, alle zwei Monate einen Jet, ein neuer Tiefststand. In den besten Zeiten der 747-400 waren bis zu sechs Jumbos pro Monat vom Band gelaufen. Damals war der Jumbo für Boeing ein Dukatenesel, der pro Flugzeug einen Reingewinn in Höhe des Kaufpreises einer 737 abgeworfen haben soll. Dagegen wird die jetzige, sehr wahrscheinlich nicht profitable Rate nun, anders als noch in Farnborough erhofft, zum Dauerzustand. Bei der früheren Boeing 717 hatte Boeing bis zur Einstellung stets mindestens ein Flugzeug pro Monat in Long Beach gebaut. Dies sei der absolute Mindestwert bei einem gut eingespielten Programm und mit einer eingespielten Mannschaft, um wenigstens die laufenden Kosten zu decken, hieß es damals bei Boeing.

Mit der deutlichen Reduzierung der Fertigungsrate stellt sich für das 747-Programm die Existenzfrage. Auch dessen erwarteter Gesamtabsatz senkte der Hersteller von 1574 Jumbos auf nur noch 1555. Damit musste Boeing eine Sonderbelastung von 1,2 Milliarden Dollar verbuchen. Bis zum Jahr 2019, dem Ende des jetzigen Planungshorizonts, will der Hersteller noch 32 Flugzeuge ausliefern. Im Flugzeugbau müssen die sogenannten „Long Lead Items“, also Teile mit langem Vorlauf, bis zu zwei Jahre vor einer geplanten Auslieferung bestellt werden. Ein spontaner Produktionshochlauf wäre damit nicht so einfach möglich. 

Schon im zweiten Halbjahr 2015 und im ersten Quartal 2016 hatte Boeing Sonderbelastungen für das 747-Programm in Höhe von 955 Millionen Dollar verbucht, nachdem wegen schwacher Nachfrage die nun dauerhaft gewordene Senkung der Produktionsrate ab September hatte beschlossen werden müssen.

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Einstellung nach den Präsidenten-Jumbos?

Boeing räumte außerdem ein, dass man noch „einige“ unverkaufte Neuflugzeuge auf Halde habe und nicht alle noch verfügbaren Produktionsslots schon vergeben seien. Man werde nach weiteren Abnehmern suchen und weitere Maßnahmen zur Kostenreduzierung vornehmen. Schon in der Vergangenheit hatte Boeing die Jumbo-Produktionsmannschaft deutlich reduziert und dauerhaft zu anderen Programmen versetzt sowie durch den abwechselnden Bau von jeweils zusammenhängenden Losen der Passagierversion und der Frachtversion versucht, die Produktivität zu erhöhen und die Kosten zu senken. Eine neue Boeing 747-8 kostet derzeit 378,5 Millionen Dollar, die Frachtversion gibt es ab 379,1 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Ein zweistrahliger 777-Frachter ist schon für 318,7 Millionen Dollar im Angebot.

Der für die Programmzukunft entscheidende Satz steht aber am Ende der 10-Q-Mitteilung: „Falls wir nicht genug neue Aufträge finden sollten und Nachfrage-, Absatz-, Produktions- und andere Risiken nicht entschärfen können, sind weitere erhebliche Verluste möglich, und es ist durchaus denkbar, dass wir entscheiden könnten, die Produktion der 747 einzustellen.“

In der neuesten, gerade erst für die Jahre 2016 bis 2035 vorgestellten Absatzprognose sagt Boeing einen Gesamtbedarf für 530 neue „große Großraumflugzeuge“ im Wert von 220 Milliarden Dollar voraus. Allerdings werde sich die weltweite Flotte dieser Flugzeuggröße von heute 740 auf 700 Flugzeuge im Jahr 2035 verringern.

Stand Ende Juli 2016 zählt Boeing offiziell noch zehn feste Bestellungen für 747-8-Frachter und zehn feste Bestellungen für die Passagierversion. 64 Frachter und 51 Passagierflugzeuge wurden insgesamt bereits ausgeliefert.

Einen prestigeträchtigen Kunden hat die Boeing 747-8 noch sicher: den US-Präsidenten. Seit Januar bereitet man im Auftrag der US Air Force den Entwurf eines, formell noch nicht bestellten, neuen Präsidentenflugzeugs für die USA auf Basis der 747-8 vor. Vermutlich zwei, möglicherweise auch drei Jumbo Jets werden für diese Aufgabe gebaut.

Der Präsidenten-Jumbo weicht mit seiner speziellen Inneneinrichtung – einer Härtung gegen elektrische und elektronische Störungen, der Fähigkeit zur Luftbetankung und extremen Ultralangstreckenflügen, einer großen Kommunikationsanlage sowie Bug- und Hecktreppen – von der Standardversion deutlich ab. Deswegen erfolgt nach der Endmontage in Everett noch ein mehrjähriger, geheimer Umbau mit Erprobung und Zulassung bei einem noch zu bestimmenden Vertragspartner der Regierung. 

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Wann erholt sich die Frachtnachfrage?

Die Indienststellung der neuen Präsidenten-Jumbos ist deshalb erst für das Jahr 2024 vorgesehen. Sie lösen dann zwei nach 1990 gelieferte Boeing 747-200B ab und werden vielleicht die letztgebauten Boeing 747-8 sein. Das Schicksal dieses Typs dürfte vor allem von der Entwicklung des Frachtmarktes und insbesondere der Luftfrachtnachfrage aus Asien abhängen. Wegen der seit 2008 andauernden Flaute und schwächerer Nachfrage aus China werden die vorhandenen Flotten weniger intensiv genutzt und müssen erst später ersetzt oder erweitert werden. Gleichzeitig macht ein niedriger Ölpreis den Betrieb älterer Frachter rentabler als noch vor wenigen Jahren, während eine stark steigende Zahl moderner Großraum-Zweistrahler immer mehr zusätzliche Unterflur-Frachtkapazität auf den Markt wirft und die Preise unter Druck bringt.

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