Recaro-CEO Hiller: „Ich wünsche mir, dass man noch individueller reisen kann“

Mark Hiller, CEO von Recaro Aircraft Seating
„Ich wünsche mir, dass man noch individueller reisen kann“

ArtikeldatumVeröffentlicht am 08.08.2025
Als Favorit speichern
„Ich wünsche mir, dass man noch individueller reisen kann“
Foto: RECARO

Mark Hiller ist seit 2012 CEO und seit 2014 Gesellschafter von Recaro Aircraft Seating und seit 2022 zusätzlich CEO der Recaro Holding. Im Interview spricht der promovierte Wirtschaftsingenieur über Wachstumspläne des Unternehmens und darüber, wie wir künftig im Flugzeug sitzen.

Herr Dr. Hiller, Recaro Aircraft Seating ist auf Wachstumskurs. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Erfolgreich ist unser Auftragsbuch mit mehr als zwei Milliarden Euro, was uns den Ausblick gibt. Der Umsatz ist nach wie vor unterhalb von vor Covid. Aber wir sehen, dass wir mit großen Wachstumsraten, größer als zehn Prozent, für die Zukunft planen können. Wenn man von Erfolgsgeheimnis sprechen will: dann ist es das Team. Während Covid haben wir an dem Team festgehalten. Wir konnten die Expertise und die Erfahrung nutzen, um in neue Innovationen zu investieren. So ein R3-Produkt, das sehr erfolgreich ist, ist in der Zeit entstanden, als es wenig Aufträge und Umsatz gab. Wir waren in der Lage zu investieren, auch wenn die wirtschaftlichen Zahlen nicht gut waren. Wir haben uns damals auf das Wachstum vorbereitet, das nun kommt.

RECARO
Recaro Aircraft Seating ist Marktführer bei Economy-Class-Sitzen. Das wollen Sie auch in der Business Class erreichen. Wo stehen Sie aktuell?

Unser Marktanteil liegt in dem Bereich grob bei zehn Prozent. Um Marktführer zu sein, braucht man einen Marktanteil um die 25 Prozent.

Und wie forcieren Sie das Geschäft mit den Business-Class-Sitzen?

Schritt für Schritt. Es wäre zu einfach, in dem Marktumfeld viele Aufträge anzunehmen, die man nachher womöglich nicht alle bedienen kann. Neben dem Umstand, das Auftragsbuch zu füllen, ist es wichtig, es in der richtigen Abfolge zu tun. Wir schauen, welche Möglichkeiten gerade gut zu unseren Fähigkeiten, zu unseren Produkten passen. Das sieht man zum Beispiel daran, dass wir den R7, den wir für die A350 oder die 787 schon geliefert haben, nun für die A330 anpassen.

RECARO
Wie sieht es mit der A321XLR aus, also Standardrumpfjets auf Langstrecken?

Das ist ein Markt, den wir sehen. Aber da gehen wir jetzt bewusst nicht rein. A330 ist für uns erst einmal das Naheliegendere. Sitze für Langstrecken-Standardrumpfjets sind womöglich etwas für die Zukunft. Man sieht nach dem ersten Hype: Meistens sind es kleinere Teilflotten. Es muss sich erst noch zeigen, ob sich das etabliert oder nicht.

Apropos Trends: Ein großes Thema in der Flugzeugkabine ist Barrierefreiheit. Wie bildet Recaro Aircraft Seating das ab?

Wenn man sich die demografische Entwicklung in den gesättigten oder reiferen Märkten anschaut, wird Accessibility zunehmend zum Thema. Wir sind mit den Kunden in intensivem Austausch. Gerade bei neuen Programmen, speziell auch in der Business Class, wo wir zusammen mit der Airline nachweisen, wie die Accessibility ist: Wie groß ist die Gangbreite? Wie groß ist der Zugang zum Sitz, um beispielsweise von einem Rollstuhl in den Sitz zu gelangen? Genauso in der Economy und Premium Economy Class. Dort kann man die Armlehne – sie ist in einem Kasten mit dem Tisch drin – selbst zur Seite wegklappen, um sich dann entsprechend aus einem Rollstuhl umsetzen zu können.

Wo sehen Sie weitere Trends bei Flugzeugsitzen?

Nachhaltigkeit sehen wir nach wie vor, auch wenn jetzt manche der Meinung sind, das hat keine große Bedeutung mehr. Wir sind der Meinung, dass es unsere Verpflichtung und unser Auftrag ist, das zu tun, was wir tun können – vor allem über Leichtbau einen Beitrag zu leisten, aber auch über den Einsatz von recyceltem Material. Deshalb haben wir auch Themen konsequent weiterverfolgt, wie das Fischernetz oder das Holzdekor oder eine Kabelplatte aus recyceltem Kunststoff. Dann sehen wir das ganze Thema Premiumness, in allen Klassen. Selbst wenn man die Premium Economy anschaut, spielt Privacy eine Rolle. Das sind Themen, die den Airlines zunehmend wichtig sind. Wie können sie differenzieren? Wie kann Materialität ausgewählt werden, damit sie mehr Premiumness ausstrahlt? Zum Beispiel wie Leder bei den Arm Caps, usw. Nachhaltigkeit ist auch in der Business Class wichtig.

Und wie sieht es in der Economy Class aus? Wie gibt man dem Passagier trotz der Enge ein gutes Raumgefühl?

Mit dem R3 zeigen wir, dass wir eineinhalb Inch mehr Living Space realisiert haben. Jetzt geht es darum, nicht die eineinhalb Inch im Pitch [Sitzabstand; d. Red.] zu reduzieren, sondern zu schauen, wie man diesen an den Passagier weitergibt. Einige Airlines haben uns gesagt, dass sie nicht von der Premium Economy überzeugt sind. Sie wollen den R3 auf dem Pitch von 32 oder sogar 33 Inch und sehen einen großen Komfortgewinn, den sie den Passagieren für einen guten Preis anbieten können.

Auf der einen Seite haben wir Leichtbau und Nachhaltigkeit, auf der anderen Seite bauen Airlines die höheren Klassen mit größeren und schwereren Sitzen aus. Machen sich die Fluggesellschaften damit nicht unglaubwürdig?

Wir sehen uns als Marktführer in der Economy Class gut aufgestellt. 80 Prozent der Passagiere reisen in der Economy Class, in der wir mit Leichtbau und der besten Ausnutzung des Raums einen Beitrag leisten. Nichtsdestotrotz bringt die Business Class auch für den Sitzhersteller die Verpflichtung, sie möglichst effizient und leicht zu realisieren. Deshalb sind wir sehr stolz auf den R7, es ist das leichteste Business-Class-Produkt im Markt. Es geht bei 82 Kilogramm los und je nach Ausstattung und mit Tür geht es in Richtung 90, 92 Kilogramm. Es gibt andere Produkte im Markt, deren Gewicht deutlich dreistellig ist. Da ist das Ende der Fahnenstange auch noch nicht erreicht. Wir sehen unsere Aufgabe darin, nicht nur neue Features zu entwickeln wie eine Tür, sondern diese im Sinne des Leichtbaus zu realisieren. Die Gewichtsreduzierung ist doppelt wichtig, nicht nur vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit, sondern auch, weil das Gewicht vorne im Flugzeug ist.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass es in der Kabine noch mehr verschiedene Möglichkeiten gibt und man noch individueller reisen kann. Im Gespräch waren auch schon verschiedene Zonen in der Kabine, wie man es vom Zug kennt. Zum Beispiel eine Family Zone, oder eine Privacy Zone, wenn man zum Beispiel Ruhe möchte zum Arbeiten oder Schlafen. Das sind Dinge, die interessant und in den nächsten zehn Jahren realisierbar sind. Ein weiteres Thema ist Flexibilität in der Kabine. Hierzu haben wir in der Vergangenheit auch schon was dazu gezeigt. Die Idee: Sie fliegen nach London, haben auf dem Rückflug weniger Passagiere, verschieben die Sitze und können damit einen noch besseren Komfort erzielen. Seinerzeit haben sich die Airlines schwergetan, wie sie das vermarkten und im Betrieb umsetzen können. Die Skycouch, die wir mit Air New Zealand eingeführt haben, ist auch ein gutes Beispiel in diese Richtung. Schlussendlich geht es darum, Sitz-Konzepte und -Lösungen zu entwickeln, mit denen genau diese Flexibilität einfacher zu realisieren ist.