Schwere Zeiten für Vierstrahler
Dieses „Ei“ hatte sich Airbus selbst in Nest gelegt: Am Rande einer Airbus-Investorentagung in London blickte Konzern-Finanzchef Harald Wilhelm kurz vor Weihnachten durch die nüchterne Brille des kühlen Rechners auf das A380-Programm: Im Jahr 2015 werde der Riese erstmals in der reinen Produktion schwarze Zahlen erreichen und diese auch in den Jahren 2016 und 2017 wahren. Für die Zeit danach müsse man aber entweder die Nachfrage durch eine Überarbeitung des Flugzeugs mit neueren Triebwerken ankurbeln oder das Programm einstellen! Auch Konzernchef Tom Enders unterstützte auf der Konferenz grundsätzlich die Forderung nach Rentabilität aller Programme. Die Randbemerkung Wilhelms, vermutlich nur allgemein als Signal an die Investoren gedacht, dass man mit deren Geld keinesfalls zu freigiebig umgehe, lief aber nur als verkürzte Schlagzeile um die Welt: „Airbus erwägt, die A380 einzustellen.“ Der Airbus-Aktienkurs fiel daraufhin vorübergehend um 14 Prozent. Keineswegs werde die A380 aufgegeben, stellte Airbus-Chef Fabrice Brégier schon am nächsten Tag auf der gleichen Konferenz klar. Es gebe noch weiteres Marktpotenzial für die A380, und man werde noch neue Kunden finden. Deshalb wolle man die A380 überarbeiten, bekräftigte Brégier, ohne Details zu nennen. Außerdem werde man eine Version mit verdichteter Bestuhlung entwickeln, so der Chef der Airbus-Verkehrsflugzeugsparte.
Emirates-Chef Tim Clark, größter Kunde des europäischen Flaggschiffs, reagierte mit einem flammenden Plädoyer für die A380. Die A380 sei ein großartiges Flugzeug, das die Welt benötige. Er werde sofort 140 Airbus „A380neo“ bestellen, falls Airbus eine solche Variante herausbringe. Emirates hänge an der A380. Schon immer hatte Emirates auch eine vergrößerte A380-Version gefordert und in ihrer Werft in Dubai sogar schon vorsorglich Standplätze für eine „A380-900“ markiert.
Mit 140 Bestellungen für den Airbus-Riesen ist Emirates der alles entscheidende Kunde für den Giganten. Mit der A380, dem weltgrößten Vierstrahler, und der Boeing 777-300ER, dem größten Zweistrahler, nutzt die Fluggesellschaft die zwei Riesenmuster hauptsächlich, um alle ihre Zielorte auf der Welt mit einmaligem Umsteigen an ihrem Drehkreuz in Dubai zu verknüpfen. Dabei bedient die A380 teilweise sogar regionale Kurzstrecken nach Kuwait oder auch Routen zu „kleineren“ Flughäfen wie Manchester oder München, das sogar schon zweimal pro Tag mit dem Doppelstock-Jet angesteuert wird. Das Haupteinsatzgebiet der A380 sind aber Drehkreuzverbindungen, insbesondere zu überlasteten Flughäfen mit Slotmangel, wie Los Angeles, Chicago oder London-Heathrow, wo bereits 20 Airbus-A380-Flüge unterschiedlicher Airlines pro Tag landen. Hier kann jede A380 die meisten Passagiere pro Slot befördern. Wachstum sei sonst gar nicht mehr möglich, heißt es dazu aus der Airbus-Verkaufsabteilung. Alle 15 Jahre verdoppele sich das weltweite Aufkommen im Luftverkehr, ungeachtet aller Krisen. Nicht die Infrastruktur müsse man mit immer neuen Startbahnen ausbauen, sondern einfach nur größere Flugzeuge einsetzen.
Doch von den derzeit 317 bestellten A380 hat Airbus angesichts einer jährlichen Produktionsrate von mittlerweile 30 Flugzeugen bereits 152 Doppeldecker ausgeliefert. Der Auftragsberg schmilzt, ohne dass noch entsprechende Mengen Neubestellungen eingingen. Zuletzt orderte die Leasingfirma Amedeo im Frühjahr 2014 bei Airbus 20 Flugzeuge zur Lieferung ab 2017, für die aber auch noch keine Leasingkunden bekannt sind. Weil Amedeo, wie jeder Kunde, etwa zwei Jahre vor einer Auslieferung die Konfiguration des Flugzeugs festlegen muss, drängt die Zeit, neue Kunden zu finden. Amedeo hofft besonders auf kleinere A380-Neukunden, die bisher von der eigenen Beschaffung des, laut Listenpreis, neu 428 Millionen Dollar teuren Vierstrahlers absehen. Manche Airline fürchtet, den Giganten nur auf einer einzelnen Strecke und vielleicht nur in der Hauptsaison rentabel füllen zu können. Auch beim Weiterverkauf eines solchen Riesen mag mancher Airline-Manager fürchten, den großen „Exoten“ gebraucht nicht mehr gebührend teuer am Markt losschlagen zu können.
Leichter füllen lassen sich, bei ähnlich günstigen Betriebskosten pro Sitz, moderne Großraum-Zweistrahler wie Boeing 777 und Airbus A350, mit denen Airbus und Boeing ihren vierstrahligen Giganten immer größere, hausinterne Konkurrenten an die Seite stellen. Die großen Zweistrahler gelten als ideal, wenn eine Airline pro Tag mehrere Flüge auf einer Hauptstrecke anbieten möchte, etwa um zahlungskräftige Geschäftsreisende wahlweise morgens und abends zu erreichen. Und sie können in ihrem Bauch noch viel lukrative Fracht mitnehmen. Das bekommen vor allem die früher unangefochtenen reinen Frachtflugzeuge, darunter die Boeing 747-8F, zu spüren. Die neue Macht der Zweistrahler drückt sich auch in deren selbstbewussten Listenpreisen aus. So kostet die künftige Boeing 777-9X stolze 388,7 Millionen Dollar. Die viel größere, vierstrahlige Boeing 747-8 gibt es dagegen schon für 367,8 Millionen Dollar im Boeing-Angebot.





Vierstrahler-Produktionslinien brauchen neues Futter





Bei Boeings Jumbo Jet sieht die Auftragslage sogar noch bedrohlicher aus als bei der A380. Wegen schwacher Nachfrage senkt der Hersteller die monatliche Jumbo-Produktion ab September 2015 von 1,5 auf 1,3 Flugzeuge pro Monat. Immer wieder hat Boeing bekräftigt, zur 747 zu stehen, aber von der jüngsten Generation, der 747-8, konnten bisher nur 68 Frachter und nur 51 Flugzeuge der Passagierversion verkauft werden. Einige fabrikneue Frachter flogen sogar direkt ab Werk auf die Wüstenparkplätze in Arizona, um bessere Zeiten am Frachtmarkt abzuwarten. Denn die oben genannten Zweistrahler machen mit Unterflurfracht dem Jumbo seine frühere Kernkompetenz Fracht zunehmend streitig. Noch schlechter steht es um die Jumbo-Passagierversion. Nur wenige Airlines, wie Lufthansa, Korean Air und Air China, entschieden sich bisher für den gestreckten Riesen, das längste Passagierflugzeug der Welt. Als VIP-Flugzeug hat die 747-8 dagegen ihren Markt gefunden: Acht der ersten 24 Passagierjumbos gab es in der VIP-Ausführung. Dagegen strich Airbus zum Jahresende 2014 den bisher einzigen Auftrag für die A380 in der VIP-Ausführung wieder aus der Bestellliste.
Einen bröckelnden Auftragsbestand und ungewisse Kundenabnahmen erlebt Airbus auch bei der A380 in der regulären Airlineversion. Zwar hört man von den großen klassischen Airline-Betreibern der A380 durchweg zufriedene Urteile über die Einsatzzuverlässigkeit der A380 und die gute Passagierakzeptanz, aber kleinere Aufträge wie die von Air Austral (2), Virgin Atlantic (6) oder Transaero (4) gelten keineswegs als gesichert. Bereits gestrichen hat Airbus vier Bestellungen der japanischen Skymark, nachdem Raten nicht überwiesen wurden. Andere Airlines, wie Qantas, haben ihr Geschäftsmodell geändert und benötigen, da nun direkt mit dem von Emirates verbündet, nicht mehr die ursprünglich geplante Liefermenge.
Wie sieht die Lösung für die Riesen aus? Eine nochmalige Überarbeitung für die Boeing 747-8 scheint ungewiss, denn Boeing hat mit der 777X mittlerweile eine leistungsfähige Alternative im Programm. Derzeit kann der Hersteller die Jumbo-Produktion mit den festen Bestellungen etwa bis zum Jahr 2017 auslasten, danach bräuchte man weitere Festaufträge. Gerade hat die US Air Force beschlossen, die Boeing 747-8 als nächstes Präsidentenflugzeug für die USA zu beschaffen. Damit dürften, nach einer formellen Auftragserteilung, frühestens 2017 oder 2018 noch drei Flugzeuge gebaut werden, vielleicht die letzten Jumbo Jets. Bei Boeing und im Werk Everett gehen dann aber keinesfalls die Lichter aus, denn genau hier baut man mit der Boeing 777-300ER einen der härtesten Jumbo-Konkurrenten und mit der künftigen 777-9X vielleicht sogar den „Jumbo-Killer“ im selben Hallentrakt.
Mit der Entscheidung zur Überarbeitung der noch auf viel Wachstum ausgelegten A380, dem deutlich jüngeren Grundentwurf, winkt dem größten Airbus-Programm dagegen noch eine längere Produktionsdauer. Emirates-Chef Tim Clark sprach öffentlich bereits von rund zwölf Prozent besseren Verbrauchswerten einer A380neo mit neuen Triebwerken, Turbofans, die genau der A330neo-Leistungsklasse entsprechen würden. Deshalb dürfte Airbus hierbei auf eine Zusammenarbeit mit Rolls-Royce, wahrscheinlich sogar auf eine alleinige Triebwerkspartnerschaft mit den Briten, setzen. Unterdessen greift der Jumbo Jet noch einmal die A380 an: Wie die amerikanische Website „Leeham News“ meldete, übermittelte Boeing der Emirates-Eigentümerfamilie über diplomatische Kanäle ein Angebot, 100 Boeing 747-8 zum Vorzugspreis zu liefern. Die Dubai Air Show im kommenden November dürfte für A380 oder 747-8 endgültige Klarheit bringen.
FLUG REVUE Ausgabe 04/2015




