Rückblick
Airbus A350 im Flugtest

„Erst vor gut einem Jahr, im Juli 2012, haben wir mit der Endmontage begonnen, und heute fliegen schon zwei A350“, blickt Airbus-A350-Programmchef Didier Evrard bei einer Presseveranstaltung am 21. Oktober 2013 in Toulouse stolz zurück.

Airbus A350 im Flugtest

„Der interne Plan war: Erstflug vor der Messe in Le Bourget. Das haben wir aber vorher nicht verraten“, plaudert der französische Ingenieur aus dem Nähkästchen. „Es hat sogar etwas früher geklappt, und wir haben der Konkurrenz die Show gestohlen“, triumphiert der sonst eher intellektuell-sachliche Programmchef. Gut 370 Flugstunden und 75 Flüge verzeichnete Evrard bis Ende Oktober. Am 4. November lag dieser Wert schon bei über 500 Flugteststunden und über hundert Flügen, denn seit dem 14. Oktober hilft als zweite fliegende A350 der Prototyp mit der Herstellernummer MSN3 beim Erprobungsprogramm. Nur die ersten beiden, fast baugleichen Flugzeuge sind mit einer schweren Flugtestinstrumentierung ausgerüstet. In der Kabine sind statt Sesseln Ballasttanks und Computer installiert. In die Struktur eingebettete Sensoren messen alle Lasten und Verwindungen. Außerdem wurde das Heck für Startversuche mit extrem niedriger Geschwindigkeit durch einen ausfahrbaren und gefederten Hecksporn gesichert.

„Schon beim vierten Flug mit MSN1 haben wir die erste automatische Landung durchgeführt“, berichtet Hugues van der Stichel, einer der drei Projekttestpiloten für die A350. „Außerdem haben wir Radbremsungen mit Höchstmasse und Höchstleistung absolviert und probeweise das Fahrwerk im Notmodus per Schwerkraft ausfahren lassen. Bei unserem 29. Flug Ende August war Fabrice Brégier an Bord.“ Während des Reiseflugs habe der Airbus-Vorstandschef sogar einmal kurz selbst am Steuer gesessen, sagt der Testpilot. Zu den aufregendsten Manövern habe der Vmu-Test („velocity minimum unstick“) am 26. September gehört. Mit Minimalfahrt wird die Flugzeugnase beim Start schon weit vor der normalen Abhebegeschwindigkeit in die Luft genommen.

Dabei setzt das Heck auf der Startbahn auf und schleift auf einem vorsorglich installierten Hecksporn Funken schlagend über die Piste, bis das Flugzeug sich schließlich mit der geringstmöglichen Fahrt in die Luft erhebt. Aus diesem gefährlichen Zustand des Langsamflugs heraus muss das Flugzeug auf die normale, sichere Geschwindigkeit beschleunigen und den Bodeneffekt verlassen, bis es seinen Steigflug normal fortsetzen kann.

Je nach Wetterlage und Windbedingungen wählt die Crew für die Landung einen geeigneten Flugplatz mit langer Piste und wenig Flugbetrieb. Diesmal landete man um 6.30 Uhr in der Region Champagne auf dem ehemaligen Militärstützpunkt Vatry mit 3,8 Kilometer langer Piste. Die wurde auch benötigt, denn „mit elf Grad Anstellwinkel rollten wir 2000 bis 3000 Meter,“ so Van der Stichel.

„Zunächst beschleunigen wir mit Vollgas auf etwa 80 Knoten (148 km/h), um wenig Anlaufstrecke zu verbrauchen“, beschreibt der Testpilot das Verfahren. „Dann ziehen wir bis zum vollen Ausschlag am Sidestick. Währenddessen vermindern wir den Schub, damit wir ganz sanft abheben. Dann kommt die Nase hoch, wir stabilisieren, fühlen den Kontakt des Hecks auf der Landebahn und legen noch nicht zu viel Gewicht auf den Hecksporn. Dann kommt die Nase weiter hoch, der Hecksporn wird voll eingedrückt und wir heben ab. Das ist riskant. Man könnte das Flugzeug beim zu harten Aufsetzen mit dem Heck beschädigen, denn Sie suchen Bodenkontakt mit einer Stelle, die eigentlich nicht dafür gebaut ist“, erläutert van der Stichel, der bei diesem Test selbst auf dem rechten Sitz saß und die A350 zusammen mit Frank Chapman und Flugtestingenieur Pascal Verneau (Schubkontrolle) steuerte.

Insgesamt wurden in dreieinhalb Stunden zwölf Teststarts durchgeführt, um das Verhalten bei verschiedenen Klappenstellungen zu überprüfen. Die minimale Abhebegeschwindigkeit lag bei etwa 240 km/h. Die Vmu-Testreihe gilt als eines der anspruchsvollsten Manöver der gesamten Erprobung. Wegen der extrem niedrigen Geschwindigkeit ist die aerodynamische Ruderwirkung stark eingeschränkt. Besonders im Fall von planerisch jederzeit anzunehmenden Triebwerksausfällen gilt dies als große Herausforderung für die Testpiloten. Außerdem kann sich das Flugzeug im schwer am Computer zu simulierenden Langsamflugbereich anders verhalten als angenommen und beispielsweise seitlich ausbrechen.

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Flattertests, weitere Prüfungen und steiler Produktionshochlauf

Nachdem diese heiklen Manöver absolviert waren, kam ab dem 23. Oktober für die A350 das nächste Kapitel an die Reihe: die Flattertests. Das Flugzeug geht dazu mit „Vollgas“ in einen starken Sinkflug, der die A350 schrittweise über die „rote Linie“ und weit über die Höchstgeschwindigkeit im späteren Flugbetrieb hinaus bringt, bis dicht an ihre Bruchgrenze. Die Flügelspitzen dürfen dabei keine gefährlichen Flatterschwingungen entwickeln, die sich binnen Sekunden vom harmlosen Wippen zum zerstörerischen Schlagen und Brechen aufschaukeln können. Stattdessen muss die Flugzeugstruktur alle auftretenden Schwingungen dämpfen. Weil Flattertests nicht ungefährlich sind, legt die Besatzung dazu Overalls, Helme, Fallschirme, Schwimmwesten und Springerstiefel an. Außerdem wird die Notabsprungluke im vorderen Frachttor aktiviert.

Sechs anstrengende Flüge, bei denen nonstop volle Konzentration gefordert war, mussten die Testcrews absolvieren, um alle notwendigen Flatterdaten zu erfliegen. Nachdem der gesamte Flugbereich vom langsamsten Tempo bis zur Maximalfahrt vermessen war, begann im November die Vorbereitung von MSN1 auf Vereisungstests. Bekanntlich können sich bei bestimmten Bedingungen gefährliche Eisablagerungen an den Flügeln bilden. Diese Vereisung wird normalerweise durch beheizte Vorflügel, Leitwerke und Triebwerksaufhängungen verhindert. Dennoch beobachtet man im praktischen Flugtest, wie und wo sich Vereisung aufbaut und wie sich das Flugverhalten ändert. Die besten Vereisungsbedingungen findet man in Wintergewittern.

Deswegen dürften der A350 bald auch zahlreiche Blitzeinschläge bevorstehen. Vor den Vereisungstests erfolgt als nächster Programmpunkt die Erprobung mit künstlich angebrachten Eisprofilen. Diese werden als orangefarbig markierte Leisten auf die Vorderkanten der Tragflächen und Leitwerke gesetzt und bei ganzen Serien von Flugtests, insbesondere Langsamflugtests mit Strömungsabriss, vermessen.

Unterdessen werden auch die nächsten Flugzeuge für Prüfungen vorbereitet: MSN2, die dritte A350, ist bereits endmontiert. Sie und MSN4, die sich derzeit in der Flügelmontage befindet, sollen im Februar 2014 zum Erstflug starten. MSN2 besitzt viele Elemente einer Kabineneinrichtung, um technische Zulassungstests, etwa der Ruheräume für die Besatzung, zu absolvieren. MSN4 verfügt dagegen schon weitgehend über eine Kabine im Airline-Standard. Fehlt noch MSN5, deren Endmontage Anfang November begonnen hat. Sie ist das erste Flugzeug mit vollem Serienstandard und kompletter Kabinenausstattung.

Von den insgesamt 2500 Flugteststunden bis zur Zulassung wird MSN1 etwa 800 Stunden absolvieren, MSN3 rund 600, MSN2 und MSN4 je rund 400 und MSN5 rund 300 Flugstunden. Noch vor Jahresende beginnt der Bau des ersten Kundenflugzeugs (MSN6) für Qatar Airways. Nach aktuellem Stand ist die Auslieferung für Herbst 2014 vorgesehen.

Ab Jahresanfang 2014 wird monatlich eine A350 gebaut. Ein Jahr später soll diese Rate schon bei drei Flugzeugen liegen. Weil ab Ende 2015 auch die nochmals gestreckte Version, die A350-1000, endmontiert wird, möchte Airbus die Fertigungsanlagen in Toulouse um eine dritte Rumpfmontagestation (Station 50) und eine fünfte Ausstattungsstation (Station 30) erweitern. Schon heute sind über 760 Flugzeuge an 38 Kunden verkauft. Auch die größte Version, die A350-1000, bildet noch nicht notwendigerweise das obere Ende der Familie. Wie Programmchef Didier Evrard auf eine Frage der FLUG REVUE erklärte, verfügt die A350 noch über konstruktive Reserven beim Flügel-Rumpf-Übergang: Technisch gesehen könne Airbus also noch längere und schwerere Versionen bauen, falls der Markt einmal danach verlangen sollte.

FLUG REVUE Ausgabe 01/2014

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