Rückblick
Familiengeschichte - Die gestreckten Versionen der Boeing 787

Während das Zulassungsprogramm der gestreckten 787-9 vor dem Abschluss stand, legten die Boeing-Ingenieure die Konstruktionsdaten der danach folgenden 787-10 fest. Lesen Sie hier im Rückblick einen Artikel aus der FLUG REVUE 05/2014.

Familiengeschichte - Die gestreckten Versionen der Boeing 787

Familiengeschichte - Die gestreckten Versionen der Boeing 787

Wir haben jetzt rund 400 Flüge und fast 1000 Flugteststunden mit der 787-9 absolviert, sagt Boeing-787-Entwicklungsvorstand Mark Jenks beim Gespräch mit der FLUG REVUE. „Die fliegen sehr regelmäßig. Wir hatten gerade eben unsere Morgenbesprechung der Flugtests, und auch heute sind wieder alle Testflugzeuge in der Luft.“

Boeing setzt drei 787-9 für die Flugerprobung und Zulassung der neuesten Dreamliner-Version ein. Je ein Flugzeug, innen jeweils nur mit Testkabine, ist mit Triebwerken von Rolls-Royce (internes Kürzel ZB001) und GE Aviation (internes Kürzel ZB021) ausgestattet. Das dritte Flugzeug (internes Kürzel ZB002), ebenfalls mit Rolls-Royce-Antrieb, verfügt dagegen schon über eine Teil-Kabineneinrichtung, die man für die Tests und Zulassung der Kabine braucht. Und genau dieses dritte Flugzeug soll am Tag des Gesprächs im Testmittelpunkt stehen, wie Mark Jenks verrät:

„Heute sind unter anderem Rauchtests in der Kabine an der Reihe. Dabei verwenden wir so etwas Ähnliches wie den Bühnennebel im Theater. Für die FAA-‚Smoke Test Certification‘ müssen wir nachweisen, dass unsere Rauchmelder jeglichen Rauch an Bord bemerken und melden, und dass die Klimaanlage möglichen Rauch im Frachtraum nicht etwa in die Passagierkabine gelangen lässt.“

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Leitwerk der Boeing 787-10. Foto und Copyright: Boeing

Schon im Dezember 2013 hatte Boeing mit der 787-9 die FAA-Testzulassung „Type Inspection Authorization“ erreicht. Seitdem hat, nach der Anfangsflugerprobung durch Boeing, mit der der gesamte Flugbereich erschlossen wurde, die Zulassungsflugerprobung nach FAA-Vorgaben begonnen. Jetzt dürfen auch FAA-Ingenieure an Bord und FAA-Testpiloten ans Steuer. „Jeder Tag bringt andere Tests. Wir wiederholen aber jetzt auch viele Boeing-Tests aus der Anfangsflugerprobung vor FAA-Vertretern, zum Beispiel die sogenannten ‚Stability and Control Tests‘ und Zuverlässigkeitstests für die ETOPS-Langstreckenzulassung. Die 787-9 funktioniert weitgehend wie geplant“, sagt Mark Jenks erleichtert. Es habe keine Überraschungen im Testprogramm gegeben.

„Wir haben sogar schon erste Serienflugzeuge in der Produktion. Die laufen auch schon ganz normal auf der gleichen Linie und im gleichen Takt wie die bisherigen Boeing 787-8. Die Endmontagemannschaft muss ja auch nicht viel anders machen. Die meiste Arbeit mit der neuen Version haben da schon eher die Zulieferer”, so der 787-Entwicklungsvorstand. „Wir haben viel aus den Schwierigkeiten mit der 787-8 gelernt“, räumt Jenks ein.

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Boeing zog die Lehren aus dem holprigen 787-Anlauf

Ein Boeing 787-9-Prototyp passiert bei einem Testflug den Gipfel des Vulkans Mount Rainier vor den Toren von Seattle. Foto und Copyright: Boeing

Boeing hat nach den anfänglichen Dreamliner-Problemen die gesamte Organisationsstruktur geändert. Die gesamte Entwicklungsseite der Zivilflugsparte verantwortet nun der energische Scott Fancher, dem auch Mark Jenks untersteht. Um die Produktionsseite kümmert sich dagegen Pat Shanahan, der das zeitweilige 787-Chaos erfolgreich entwirrt hatte.

„Die 787-9 ist gerade im Übergang von der Entwicklung zur Produktion. Ich bringe sie durch die Zulassung und mache alles fertig“, sagt Jenks über seine Aufgaben. „Die neue Organisationsstruktur hilft uns dabei. Außerdem haben wir alle Prozesse ein wenig optimiert und auch bei den Lieferanten ein bisschen verändert“ Entscheidend für den verbesserten Ablauf sei die nun insgesamt viel höhere Disziplin. „Bei der 787-9 haben wir streng darauf geachtet, dass sie mit dem Meilenstein ‚firm configuration’ (der Festlegung der Konstruktion) auch wirklich komplett fertig war. Außerdem haben wir von der 787-8 gelernt, dass manche Zulieferer nicht genug eigene Entwicklungskapazität hatten. Diese Dinge haben wir selbst übernommen. Wir können uns jetzt mehr auf die Entwicklung konzentrieren und reden auch viel mehr mit den Kollegen von den benachbarten Entwicklungsprogrammen 737 MAX und der 777X. Die 787-9 ist so gut wie zugelassen.“ Mitte des Jahres will Jenks die FAA-Musterzulassung seiner 787-9 geschafft haben und das erste Flugzeug an Air New Zealand ausliefern.

Doch die Boeing 787-9 ist nur ein Teil von Jenks’ Aufgaben. Längst sitzt er auch an der noch längeren Boeing 787-10, der größten Dreamliner-Version. „Wir erreichen die ‚firm configuration‘ in diesem Jahr. Das wird der wichtigste Meilenstein des Jahres. Bisher gibt es keine Probleme. Danach beginnt die Detailkonstruktion. Die Indienststellung der 787-10 ist für 2018 geplant. Von da aus rechnen wir zurück.“

Aus der Sicht des Konstruktionsingenieurs hält Jenks das nochmalige Strecken der 787 für keine allzu schwere Aufgabe. „Die 787-10 ist ein einfacher Stretch der 787-9. Die maximale Startmasse der 787-10 wächst ja gegenüber der 787-9 nicht. Dadurch schaffen wir zwar nicht mehr die volle Reichweite einer 787-9, aber die Reichweite ist immer noch sehr gut. Im Gegenzug bleiben sich beide Versionen technisch aber sehr ähnlich, und das ist sehr wichtig – für den leichteren Bau bei uns, für die Lieferanten und natürlich für die Kunden. Wir optimieren die 787-10 auf sehr hohe Kommunalität.“

Neu an der 787-10 ist vor allem das leistungsgesteigerte „environmental control system“ für den Kabinenkomfort an Bord. Gegenüber 280 Passagieren in der 63 Meter langen 787-9 muss es in der auf 68 Meter gestreckten 787-10 nun mit bis zu 323 Fluggästen erheblich mehr Insassen versorgen.

Laut Mark Jenks müssen an der Außenhaut der 787-10 nur wenige Stellen strukturell verstärkt werden. „Die längeren Rumpfsektionen sind der größte Unterschied. Die Produktionswerkszeuge dafür, es sind die Teile mit dem längsten Vorlauf, haben wir sogar schon bestellt.“

Ein weiterer Unterschied der Boeing 787-10 gegenüber ihren kleineren Schwestern wird ein ausfahrbarer Hecksporn sein. Er verhindert, dass das Flugzeug beim zu energischen Rotieren beim Start oder bei einer Landung mit zu niedriger Geschwindigkeit hart mit dem Heck auf der Piste aufschlägt. Laut Mark Jenks ähnelt dieser Hecksporn dem schon heute bei der Boeing 777-300ER üblichen und stellt keine besondere Herausforderung dar. Dagegen habe die Boeing 787 die künftige Boeing 777X beim Flügel inspiriert. Der künftige größte Zweistrahler der Welt werde einen CFK-Flügel nutzen, der dem modernen Tragwerk seiner kleineren Schwester 787 stark ähnele.

Endmontagestandort der 787-10

Zehn Flugzeuge pro Monat verlassen die beiden Endmontagelinien in Everett und Charleston. Foto und Copyright: Boeing

Nicht bestätigen wollte Jenks Informationen der FLUG REVUE, nach denen Boeing bereits eine noch größere Version des Dreamlifter-Spezialtransporters für Teile der 787, und vermutlich auch 777X, plant und weltweit bei den möglichen 747-Umbauwerften bereits Angebote einholt.

Auch der Endmontagestandort der 787-10 ist noch nicht festgelegt worden. Zur Auswahl stehen Everett und Charleston, wo sich die beiden 787-Endmontagelinien befinden. Gerade erst hat Boeing die Auswahl noch einmal verzögert, will sich aber in diesem Jahr endgültig entscheiden. Ab Mitte des Jahres soll Charleston monatlich drei 787 endmontieren, darunter ab Herbst auch die 787-9. Laut Mark Jenks gäbe es für Boeing keinen funktionalen Vorteil, die 787-10 unbedingt in der Nähe der 777X-Linie in Everett produzieren zu müssen.

Noch deutlich größer als die schon gestreckte 787-9 fällt die künftige 787-10 aus. Grafik und Copyright: Boeing

Zum Thema 787-Produktion ging bei Boeing kürzlich eine unangenehme Nachricht von Mitsubishi Heavy Industries ein. Der Flügelzulieferer räumte darin ein, dass Veränderungen im Herstellungsverfahren bei einem Los neuer 787-Flügel zu Haarrissen in den sogenannten „shear ties“ an den Flügelrippen geführt haben könnten. 43 Flugzeuge im Produktionsprozess - keines wurde schon ausgeliefert - müssen jetzt inspiziert werden. Laut Boeing sind die für 2014 geplante Jahresproduktion von 110 Flugzeugen der 787 und die Produktionsrate von zehn Flugzeugen pro Monat aber dadurch nicht gefährdet. „Entgegen anderslautenden Medienberichten sind auch keine 787-9 betroffen“, sagt Mark Jenks dazu. „Die Produktionsabteilung kümmert sich bereits darum.“

Laut Boeing optimiert man weiterhin die Fertigung, um die sogenannte „traveled work“, unfertig gebliebene Detailarbeiten an einzelnen Sektionen, die später Nacharbeiten erfordern, zu eliminieren. Besonders aus Charleston war im letzten Jahr ein erhöhter Anteil von „traveled work“ gemeldet worden, der mit Verstärkungspersonal bekämpft werden musste. Unterdessen kümmert sich Boeing auch um die ersten produzierten Dreamliner. Während die noch nicht dem Serienstandard entsprechenden Testflugzeuge 1 bis 3 mittlerweile eingelagert wurden, dient Dreamliner Nr. 4 Tests von Verbesserungsmöglichkeiten an Kundenflugzeugen. Außerdem fliegt er im Boeing-Eco-Demonstrator-Programm und soll anschließend verkauft werden. Die Flugzeuge 5 und 6 werden derzeit in Everett und San Antonio auf den Serienstandard nachgerüstet. Darüber hinaus vermarkte man auch die restlichen Flugzeuge der frühen Produktionslose „aktiv“, so Boeing. Die frühen Flugzeuge fallen etwas schwerer aus als aktuell produzierte Dreamliner. Noch parkt eine ganze Reihe dieser Dreamliner ohne Triebwerke in Everett und wartet auf die Nachrüstung. Am wahrscheinlichsten dürfte ein Verkauf als VIP-Jet sein, bei denen die Standardisierung eine geringere Rolle spielt.

Zu einem Zwischenfall einer Boeing 787-8 von Air India in Malaysia gibt Boeing Entwarnung. Das Flugzeug (VT-ANJ) war am 5. Februar nach einem Ausfall aller Computer des Flight Management Systems vorsorglich nach Kuala Lumpur ausgewichen. Laut Boeing habe es sich um einen Softwarefehler gehandelt, der erkannt worden sei und nun abgestellt werde. Das Flugzeug habe bald wieder in Dienst gestellt werden können, und seine Reservesysteme hätten jederzeit funktioniert.

Anders als Airbus bei der A350, wo parallel Lithium-Ionen-Batterien an den A350-Prototypen und Nickel-Cadmium-Batterien für die Serienflugzeuge zugelassen werden, will Boeing das Batteriesystem der 787 nicht mehr ändern. Die jetzige Ausführung mit verbesserten Lithium-Ionen-Batterien in Titankästen liefere die erwartete Zuverlässigkeit und erfülle sämtliche Vorgaben.

FLUG REVUE Ausgabe 05/2014

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