Die begrenzten Reichweiten der Passagiermaschinen des vergangenen Jahrhunderts machten eine direkte Flugführung für eine möglichst kurze Flugzeit enorm wichtig, um unnötige Tankstopps zu vermeiden. Während Reisende heute in unter zwölf Stunden von London nach Tokio gelangen können, waren im Jahr 1950 dafür noch mehr als die dreifache Flugzeit und bis zu acht Tankstopps, unter anderem in Rom, Karatschi und Manila, notwendig. Grund dafür war jedoch nicht nur die deutlich geringere Reichweite der eingesetzten Airliner, sondern auch der Umweg von bis zu 6.500 Kilometern, der zwischen den knapp 10.000 Kilometern entfernten Städteneinkalkuliert werden musste.
Keine Überflugrechte
Grund dafür waren mangelnde Überflugrechte. Während des Kalten Krieges verweigerte die Sowjetunion den meisten ausländischen Fluggesellschaften die Erlaubnis, ihren Luftraum zu durchfliegen. Damit europäische Airlines Flugziele in Ostasien bedienen konnten, mussten sie deshalb massiv längere Routen über das Mittelmeer, den Nahen Osten und den Hindukusch in Kauf nehmen, was die Reisezeit künstlich verlängerte und den Flugpreis in die Höhe steigen ließ. Für preissensiblere Bevölkerungsschichten wurden zwar auch Verbindungen mit günstiger zu betreibenden Propellermaschinen angeboten. Jedoch benötigten diese bis zu 90 Stunden für dieselbe Strecke, die Jets wie die de Havilland Comet an einem Wochenende zurücklegten.

Gamechanger Polarroute
Der schnellere Weg nach Asien unter Vermeidung des sowjetischen Luftraums führte über das Nordpolarmeer. Dieses Potenzial wurde jedoch erst nach einigen Jahren erkannt. Als erste zivile Fluggesellschaft überflog SAS die Arktis auf ihren Routen an die US-amerikanische Westküste mit speziell umgebauten Maschinen, deren Navigationssysteme auch am Nordpol zuverlässig arbeiteten. Viele europäische Airlines folgten einige Zeit später, was zu enormen Zeiteinsparungen führte. Die Flotten der 1950iger-Jahre konnten die Strecken jedoch noch nicht im Nonstop-Verkehr bedienen, weshalb nach der Atlantiküberquerung stets mindestens ein Tankstopp notwendig wurde. Davon profitierte der kleine Flughafen von Anchorage.

Wie Anchorage zur Metropole wurde
Die neue Polarroute verkürzte die Reisezeit von Europa an die US-Westküste um bis 14 Stunden. Ihren Tankstopp legten die europäischen Maschinen fortan in der größten Stadt Alaskas ein, deren damalige Einwohnerzahl von unter 50.000 in etwa dem heutigen Coburg entspach. Als wenige Jahre später die ersten Fluggesellschaften begannen, ihre Routen nach Südostasien ebenfalls über die Polarroute und Anchorage zu führen, wurde die Stadt im Golf von Alaska schon bald zur internationalen Metropole.

Öffnung des sowjetischen Luftraums
Mit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 fand ein Kurswechsel im Kreml statt. Russland vergab von nun an Ein- und Überflugrechte für ausländische Fluggesellschaften. Was in der Theorie nun möglich war, stellte sich in der Praxis aber als großes Sicherheitsrisiko heraus. Nicht nur war die Infrastruktur der Flugsicherung aus Zeiten der Sowjetunion massiv veraltet, auch war die breite Masse der russischen Fluglotsen der englischen Sprache nicht mächtig. Erst als diese Startschwierigkeiten behoben waren, stellten die europäischen Airlines ihre Flugführung nach Südostasien sukzessive auf Direktflüge durch den sibirischen Luftraum um. Dies brachte den Airlines große Einsparungen durch geringe Treibstoff- und Abfertigungskosten, die sonst in Anchorage anfielen, und den Reisenden gleichzeitig einen riesigen Zeitgewinn.
Zur Kasse, bitte!
Mit der Öffnung des russischen Luftraums nahmen auch sehr rasant die Anzahl der ausländischen Flugbewegungen zu. Bis heute nutzt der Kreml seine geographische Lage gezielt aus und berechnet verhältnismäßig hohe Flugsicherungskosten. Auf Flügen von Europa nach Asien werden bis zu 100 US-Dollar pro Ticket fällig. Diese Geschäftsidee erinnert an eine Praxis der 1970iger-Jahre: Die wenigen europäischen Fluggesellschaften, die zum damaligen Zeitpunkt in die Sowjetunion einfliegen durften, um Moskau in ihr Streckennetz zu integrieren, mussten Ausgleichszahlungen an Aeroflot leisten, wenn die angebotenen Kapazitäten zum jeweiligen Herkunftsflughafen das Flugangebot der sowjetischen Airline überstiegen. Diese Kompensationszahlungen waren für die staatliche Fluglinie so lukrativ, dass sie jahrelang die defizitäre Unternehmensstruktur refinanzierten.

Russischer Alleingang bis heute
Das 1945 in Kraft getretene Transit Agreement der ICAO garantiert, dass alle beteiligten Länder sich gegenseitig uneingeschränkte Überflugrechte gewähren. Das Chicagoer Abkommen gilt bis heute als Standardwerk der Luftfreiheiten und wird von den meisten Ländern bedingungslos anerkannt.
Russland hingegen beruft sich bis heute auf seine Lufthoheit und entscheidet im Einzelfall über die Erteilung von Flugrechten. So ist es beispielsweise gängige Praxis, dass nur eine Passagierairline pro Nation Einflugrechte in den russischen Luftraum erhält. Zwar bestätigen hier Ausnahmen die Regel, wie British Airways und Virgin Atlantic, die auf ihren Routen nach Asien beide den sibirischen Luftraum durchfliegen. Jedoch scheut Russland nicht davor zurück, Anträge abzulehnen. Norwegian etwa hat sich im Kontrast dazu viele Jahre um eine Einflugerlaubnis bemüht, um asiatische Metropolen in ihr Streckennetz aufnehmen zu können. Die Genehmigung blieb jedoch verwehrt. Unter Betrachtung der Tatsache, dass SAS als skandinavische Airline zwar Flugrechte besitzt, diese jedoch nicht nutzt, erscheint die Entscheidung noch willkürlicher. Für Fluggäste führt der mangelnde Wettbewerb, der damit einhergeht, vor allem zu höheren Ticketpreisen.

Politisches Verhandlungsmittel
Russland ist sich seiner Bedeutung für die Verkehrsströme des Europa-Asien-Marktes sehr bewusst und nutzt diese Macht als politisches Verhandlungs- und Druckmittel. So entzog der Kreml 2014 als Antwort auf die Sanktionen der Europäischen Union europäischen Fluglinien temporär die Verkehrsrechte. Selbiges geschah im Jahr 2017 für KLM, da russische Airlines aus subjektiver Sicht bei der Slotvergabe am Flughafen Amsterdam Schiphol benachteiligt wurden. Im April 2018 traf es hingegen US-amerikanische Fluggesellschaften als Antwort auf militärische Aktionen in Syrien. Inwiefern Russland seine Macht in Zukunft nutzt, um politische Kontroversen auch außerhalb des Luftverkehrs zu seinen Gunsten zu beeinflussen, bleibt unvorhersehbar.